Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2021

Kolumne

Wer zu spät kommt...

Foto: Daniel Hohlfeld / Adobe stock

Die Nachrichten und Bilder, die im August aus Afghanistan in die Welt gesendet wurden, verhießen nichts Gutes: Menschen versuchten verzweifelt, den internationalen Flughafen von Kabul zu erreichen, um sich vor den Taliban in Sicherheit zu bringen. Manche kletterten in waghalsigen Manövern auf oder in Flugzeuge, um irgendwie außer Landes zu kommen. Sogar die Spezialeinheiten mehrerer NATO-Länder, so auch aus Deutschland, hatten alle Hände voll zu tun, das Botschaftspersonal und andere deutsche Staatsangehörige noch rechtzeitig auszufliegen.

Wie konnte es zu einer derart gigantischen Fehleinschätzung kommen? Mehrere Nachrichtendienste westlicher Länder waren noch wenige Tage vor der Übernahme Kabuls durch die Taliban davon überzeugt, dass die afghanische Hauptstadt bis auf Weiteres sicher sei. Aber die Sicherheitskräfte der afghanischen Regierung gaben offensichtlich ohne nennenswerten Widerstand auf und die Taliban-Kämpfer eroberten in Windeseile Landstrich für Landstrich.

Vermutlich ist das chaotische Ende der Besetzung Afghanistans durch die Truppen der NATO-Allianz ein weiterer Ausdruck der unbeschreiblichen Naivität des Westens. Auslöser für den Einsatz waren die Terroranschläge vor 20 Jahren. Viele von uns erinnern sich noch gut daran, was sie damals getan haben oder wo sie gerade waren. Der 11. September 2001 hat sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt wie wenige andere Daten. Insgesamt fanden beinahe 3.000 Menschen bei den Terrorattacken den Tod. Nun kommen mehr als 100.000 Tote, die der Krieg in Afghanistan in den vergangenen 20 Jahren gekostet hat, hinzu.

Wie bruchstückhaft und fragil die politische Überzeugungsarbeit offensichtlich war, mag ein Mosaikstein belegen, über den ein deutscher Soldat aus Afghanistan vor gut zehn Jahren berichtete: viele Bauern des Landes leben vom Mohnanbau und dem Verkauf des Mohns an die Taliban. So sehr der Anbau des Rohstoffs für das Rauschgift Opium zu verurteilen ist, stellt er dennoch die Existenzgrundlage für viele Bauern Afghanistans dar. Anstatt denen den Verlust für den entgangenen Ertrag auszugleichen, wurden häufig deren Felder niedergebrannt. Überzeugungsarbeit für westliche Werte sieht anders aus – auch wenn versucht wurde, die Bekämpfung von Terrorzellen mit einer fundierten Sozial- und Bildungspolitik zu kombinieren

Im Vordergrund stand vermutlich etwas ganz anderes: die Aussicht auf eine gewaltige Menge an wertvollen Rohstoffen. US-Geologen schätzen, dass Afghanistan über Rohstoffe im Wert von drei Billionen Dollar verfügt. In den Böden des Landes lagern angeblich so große Lithium-Reserven wie in Bolivien, dem weltgrößten Lieferanten dieses Rohstoffs. Lithium wird für wieder aufladbare Batterien gebraucht, wie sie in Mobiltelefonen, Laptops oder Elektroautos verwendet werden. Auch die Eisen- und Kupferadern sind offenbar riesig. So sollen zwei Milliarden Tonnen Kupfererz, aber auch Gold und Kohle sowie reiche Vorkommen Seltener Erden in den Böden des Landes schlummern. Zudem werden 1,6 Milliarden Barrel Rohöl im Untergrund vermutet – genug, um das Land zu einem führenden Rohstoffexporteur aufsteigen zu lassen, so US-Experten. Nach dem Rückzug der Westmächte könnte China zum großen Profiteur werden, wenn es gelingt, mit den neuen Machthabern Verträge über den Abbau der Rohstoffe zu schließen und Afghanistan an die Neue Seidenstraße anzuschließen.

Die Einsicht, dass der militärische Einsatz des Westens in Afghanistan zu keinem langfristigen Erfolg wird, kam spät – für viele zu spät.


Verfasst von:

Karl Eder

Dr. Karl Eder ist Geschäftsführer des Landeskomitees der Katholiken in Bayern sowie Vorsitzender der Aktion für das Leben e. V. Er ist promovierter Liturgiewissenschaftler.