Ausgabe: November-Dezember 2021
SchwerpunktHey, woran glaubst du eigentlich?

Interreligiöser Dialog ist für ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten von großer Bedeutung. Wie sieht das bei der jungen Generation aus? Sprechen junge Menschen miteinander über ihren Glauben, über das, was sie eint und was sie vielleicht trennt? Spielt eine andere Glaubensüberzeugung beim Kennenlernen neuer Menschen eine Rolle? Eine Befragung zeigt, dass eine gegenseitige Akzeptanz sowie die Offenheit, mehr über den anderen zu erfahren, wichtig sind.

„Von der fünften bis zur zwölften Klasse war ich in einer christlichen Musical-Gruppe, was mich enorm geprägt hat. Gerade in jungen Jahren hat es für mich alles verändert und mir die ganzen Jahre hinweg sehr viel Halt gegeben. Ich bin immer noch gläubig und gehe regelmäßig in eine christliche Freikirche. Ich finde es schön, eine Gemeinde zu haben, mit der man regelmäßige Aktivitäten unternehmen kann. Mein Partner ist ebenfalls Christ. Ich habe aber auch christliche Freundinnen, mit denen ich mich über meinen Glauben austausche. Natürlich habe ich auch welche aus unterschiedlichen Religionen und Kulturen, die an etwas anderes glauben, was sie selbst nicht definieren können. Glaube ist ein Thema, worüber wir offen sprechen. Da mein Glaube ein großer Teil meines Lebens ist, erzähle ich gerne davon. Die Offenheit für das zu haben, was andere Menschen glauben und zusätzlich sein eigenes Herz teilen zu dürfen, ist sehr wertvoll.
Allerdings spielt der Glaube beim Kennenlernen von neuen Menschen keine Rolle für mich. Es geht mir vielmehr um den Menschen, was ihn bewegt und wie sein Charakter ist. Klar ist es interessant, etwas über den Glauben der Person zu erfahren, weil mich das Thema persönlich interessiert, jedoch ist es nicht ausschlaggebend, ob ich jemanden näher kennenlernen möchte oder nicht. Ich finde es interessant, wenn sich Menschen gar nicht mit dem Thema „Glaube“ auseinandersetzen und würde gerne erfahren, warum sie es nicht tun. Es wäre schön, wenn man nicht mehr nach der Religionszugehörigkeit, sondern nach dem Glauben fragen würde. Ich finde es wichtiger zu erfahren, wofür das Herz einer Person schlägt und mit was sie sich verbunden fühlt.“
Romina Huhs, 26, Kulmbach

„Meine Eltern kommen beide ursprünglich aus Sizilien und waren schon immer in der katholischen Kirche aktiv. Ich bin dementsprechend in einem religiösen Umfeld aufgewachsen und habe die Veranstaltungen unserer Kirche regelmäßig besucht. Ich würde mich aktuell selbst als religiös bezeichnen, allerdings ist es bei mir eher ein ‚Mittelding‘ – also nicht besonders gläubig, aber auch nicht ungläubig. Vor Corona bin ich öfter in die Kirche gegangen, mittlerweile weniger. Nun gehe ich nur gelegentlich sonntags und zu den wichtigsten Feiertagen, wie zum Beispiel an Weihnachten, in die Kirche.
Wenn ich an meinen Freundeskreis denke, habe ich viele Freunde aus unterschiedlichen Religionen und Kulturen. Darunter sind besonders viele muslimische Freunde, die ihren Glauben allerdings nicht stark ausleben und auch nicht über das Thema sprechen. Allgemein reden wir nicht darüber, wenn wir zusammen sind. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum wir solche Themen nie aufgreifen, da es interessant wäre zu erfahren, wie alle dazu stehen. Wenn ich neue Leute kennenlerne, ist es mir nicht wichtig, welcher Religion die Person angehört. Ich bin offen für jede Kultur und Religion, egal ob christlich, muslimisch oder jüdisch – jeder soll an das glauben, was er persönlich für richtig hält. Ich akzeptiere jeden so wie er ist, da es mir um die Person an sich geht und nicht um ihren Glauben.“
Giuseppe Guadagnano, 19, Wuppertal

„Ich bin in einer ländlichen und religiösen Gegend großgeworden, in der noch alle Kinder christlich getauft wurden. In meiner Grundschule gab es niemanden, der nicht getauft war. Mein familiäres Umfeld würde ich als eher weniger religiös bezeichnen. Ich selbst würde mich nicht direkt als ungläubig bezeichnen, aber ich bin auf jeden Fall nicht mehr religiös. Außerdem gehöre ich keiner Kirchengemeinschaft mehr an und bin aus der Kirche ausgetreten. Das letzte Mal war ich – unabhängig von Feierlichkeiten, wie zum Beispiel Hochzeiten – an meiner Firmung in der Kirche. Zu meinem engeren Freundeskreis, der kulturell divers ist, würde ich niemanden zählen, der religiös motiviert ist. Dennoch unterhalten wir uns gerne über das Thema „Religion“, wobei es aber vielmehr um religiösen Fanatismus geht. Wir stellen uns Fragen wie: Warum entsteht dieser überhaupt? Warum wenden sich Menschen auf diese Art und Weise dem Glauben zu und sehen ihn als ihren einzigen wahren Lebensmittelpunkt? Dabei beziehen wir uns auf alle Religionen, nicht nur auf das Christentum.
Wenn ich neue Menschen kennenlerne, spielt Religion eine untergeordnete Rolle für mich. Beispielsweise habe ich ein halbes Jahr lang in Japan verbracht, wo ich viele Menschen kennengelernt habe. Dort wachsen die meisten Menschen entweder mit dem buddhistischen oder schintoistischen Glauben auf. Auch wenn sie nicht immer religiös sind, nehmen sie natürlich traditionelle Bräuche an. Hier finde ich es spannend, mehr darüber zu erfahren und finde es schön, wenn Menschen offen darüber sprechen.“
Nils Gimpl, 26, Frankfurt

„Ich stamme aus einer sehr religiösen Stadt im Iran und bin in einem religiösen Umfeld aufgewachsen. Mein Vater ist damals dahingezogen, um neben seinem Jurastudium in einer religiösen Schule Kurse zu belegen. Meine ganze Familie ist sehr religiös und ich bin auch zu einer islamischen Schule gegangen. Dort mussten wir zum Beispiel jeden Tag beten und neben dem regulären Kopftuch ein Zusätzliches tragen. Bis vor sechs Jahren war ich noch gläubig und habe jeden Tag gebetet. Aktuell würde ich mich aber nicht mehr als religiös bezeichnen, was sich allerdings erst mit der Zeit so entwickelt hat. Ich habe jedes Jahr gefastet und den Koran gelesen. Doch je älter ich wurde, desto weniger hat es für mich Sinn gemacht. Ich war dann auf der Suche nach einem ‚richtigen‘ Weg. Ich fand mit der Zeit sinnvollere Wege in meinem Leben, mit denen ich meine Werte behalten konnte.
Ich rede nicht gerne über das Thema. Ich denke, dass jeder das Leben aus seiner eigenen Perspektive sieht und für manche ist Religion einfach die beste Art und Weise, ein besseres Leben zu führen. Ich finde es nicht sinnvoll, jemanden von meiner Einstellung zu überzeugen. Stattdessen versuche ich Gemeinsamkeiten zu finden. Zum Beispiel sage ich meinem religiösen Bruder: ‚Es ist sowohl dein als auch mein Wert, dass man nicht lügen darf, wir haben nur unterschiedliche Hintergründe.‘ Ich habe sowohl muslimische als auch christliche Freunde, die ihren Glauben ausleben. Religionszugehörigkeit spielt für mich hierbei aber keine Rolle. Durch die islamische Erziehung ist es dennoch oft schwierig zu sagen, dass man komplett ungläubig ist. Bestimmte Dinge betrachte ich mit religiösen Augen. Da viele Traditionen sehr eng mit dem Islam verbunden sind, kann man diese nicht einfach vermeiden.“
Maryam Khourmehr, 26, Bayreuth