Ausgabe: November-Dezember 2021
Schwerpunkt"Wir sind an der Moschee vorbeigefahren..."
Ein interreligiöser Begegnungstag mit Studierenden in einer Moschee
Täglich begegnen wir vielen Menschen unterschiedlichster Religionen, Kulturen und gesellschaftlicher Milieus, ohne das bewusst wahrzunehmen. Davon unterscheidet sich die initiierte Begegnung im Penzberger Islamischen Forum. Wie ist diese gestaltet? Was kann bei solchen Begegnungen gelernt werden?
„Wir sind an der Moschee vorbeigefahren, weil wir dieses Gebäude nicht als Moschee identifizierten.“ – solche Äußerungen hört Gönül Yerli, Religionspädagogin und Vize-Direktorin am Islamischen Forum Penzberg, oft. Kuppel und Minarett sucht man vergeblich, denn es ist ein rechteckiger Bau mit viel Glas und einer Art Kamin. Dies entspricht nicht den Vorstellungen der Studierendengruppe der Universität Augsburg. Und schon sind wir mitten im Austausch über unsere Vorstellungen vom Islam. Doch beginnen wir von vorne.
Face-to-face-Begegnungen
Bereits im vierten Jahr kommt Manfred Riegger, Professor für Religionspädagogik an der Universität Augsburg, mit einer Gruppe katholischer, evangelischer und muslimischer Studierender für einen Tag nach Penzberg. Vorbereitet hat man sich in einem Seminar zu interreligiöser Bildung im Rahmen des Studiums für ein Lehramt mit evangelischer bzw. katholischer Religionslehre bzw. der Zusatzqualifikation interreligiöse Mediation (ZIM). Daher weiß man, dass bei einer persönlichen Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen mehr passiert, als man an der Oberfläche sieht.
In solchen Situationen überlappen sich kulturell und religiös bedingte Codes, Interpretationen und Deutungen dieser Situation, was als interreligiöse und interkulturelle Überschneidungssituationen bezeichnet wird (Joachim Willems). Das beginnt schon bei der Begrüßung, denn eine Studentin fragt Gönül Yerli: „Bin ich so richtig angezogen, oder muss ich ein Kopftuch überwerfen?“ „Nein, sie müssen kein Kopftuch tragen, auch wenn Sie bei mir eines sehen. Ja, wir geben uns zur Begrüßung die Hand, weil das auch der kulturellen Tradition in Deutschland entspricht, zumindest bevor Corona auftrat. Sie brauchen keine Angst zu haben, sich falsch zu verhalten, denn wie man sich in einer Moschee verhält, klären wir gleich.“
Die Gesichter und Haltungen mancher Studierender entspannen sich. Diese Klärungen zu Beginn verhindern viele kritische Überschneidungssituationen, sogenannte „Critical Incidents“, bei denen die Beteiligten jeweils in Übereinstimmung mit unterschiedlichen Deutungs- und Kommunikationsmustern interagieren und früher oder später überrascht sind, weil die Handlung eines Interaktionspartners vor dem Hintergrund der eigenen Muster keinen „Sinn“ mehr machen. Um über ein sprachlich zentriertes Verstehen der Anderen hinauszukommen, ist gemeinsames Tun, leiblich-ganzheitliche Begegnung notwendig.
Begegnung beim gemeinsamen Tun?
Gängige Praxis ist: Das Gebäude gemeinsam von außen betrachten, im Innern die Bildungs-, Verwaltungs- und Gebetsräume erkunden, gemeinsam essen. Den Moscheeunterricht besuchen und sich mit den muslimischen Jugendlichen austauschen, ist weniger alltäglich. Das Mittagsgebet beobachten (Achtung: Zoo-Effekt) wird in vielen Moscheen praktiziert. Weniger gebräuchlich scheint, dass christliche Gäste währenddessen im hinteren Teil des Gebetsraumes in ihrer Tradition beten können. „Ist so etwas überhaupt erlaubt?“, könnte man fragen. Die christlichen Kirchen gestatten – entsprechend des von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1986 initiierten Modells eines Friedensgebetes in Assisi – multireligiöse Feiern als gemeinsames, nebeneinander erfolgendes Gebet von Menschen verschiedener Religionen. Mit Bezug auf den Koran, ist das auch von islamischer Seite her möglich (vgl. Sure 29,46: „Unser Gott und euer Gott ist einer.“ Vgl. auch: 2,139; 3,64; 42,15).
Diese Form des Gebets ist dann nicht nur eine besondere zwischenmenschliche Begegnung, sondern eröffnet möglicherweise eine Begegnung mit Gott. Der anschließende Austausch über Beobachtungs- bzw. Gebetserfahrungen ist vielfältig: Christliche Studierende fragen vorwiegend aus der Beobachterrolle: „Warum beten hier nur Männer? Wieso berührt man mit dem Kopf den Boden?“ „Die Frauen beten auf der Empore. Islam bedeutet Niederwerfung, was sich in dieser Gebetshaltung niederschlägt und Frauen wie Männer gleichermaßen verrichten“, antwortet Gönül Yerli und erklärt die Zusammenhänge ausführlich. Muslimische Studierende erzählen zuweilen vom vergeblichen Versuch, in Augsburg eine Moscheegemeinde zu finden. Auch berichtet die Vize-Direktorin über islamische Jugendliche in der dritten Generation, die freiwillig zum Freitagsgebet kommen, aber eher abgelenkt mitbeten. Auf Nachfrage hört sie von diesen: „Ich komme, weil dies der einzige Ort ist, an dem ich in meiner islamischen Identität nicht hinterfragt werde.“ Einige Studierende fragen: „Kann das dauerhaft stabile Identität begründen?“ Andere antworten: „Wohl kaum.“ In dieser nichtmanipulierenden Begegnung spürt man: Niemand soll zu etwas gebracht werden, was man nicht will. Das ist ein Miteinander in respektierter Differenz (= Konvivenz).
Die Reflexion der Kontakt- bzw. Begegnungsformen eröffnen immer besser gelingende Perspektivenwechsel, bei denen man die eigene Haltung reflektiert (individuelle Ebene), Teilhabe ermöglicht (religiöse, soziale bzw. gesellschaftliche Ebene) und die Akzeptanz von kultureller und religiöser Vielfalt fördert (strukturelle Ebene). So bahnt man inhaltliche und prozessbezogene Kompetenzen an, die auch im späteren Berufsalltag interreligiös bewusstes Handeln ermöglichen: durch einen reflektierten, wahrnehmungs- und differenzsensiblen Umgang mit sich und Menschen der anderen Religion bzw. Konfession, sowie im Bewusstsein der Verbundenheit miteinander und mit Gott.
Ausblick
Im vierten Jahr wird uns deutlich: Mit diesen Begegnungen werden Prozesse angestoßen, die einen selbst Teil des Prozesses werden lassen und weiterwirken. Teilnehmende melden immer wieder zurück: Hier geht es nicht nur um sachkundliches Buchwissen oder eine Art Museumsbesuch. Vielmehr erleben und erfahren wir, wie islamische Religion gelebt und verstanden wird. Dadurch verstehen wir unseren Glauben besser, ja wir fühlen uns ermutigt, ihn intensiver zu leben.
Handlungsempfehlungen für eine gelingende Kommunikation
Die folgenden Voraussetzungen und Handlungsempfehlungen sind eine explizite Zusammenfassung unserer Erfahrungen für immer besser gelingende Kommunikation. Wir kommunizieren miteinander
- in einer freundlichen Atmosphäre des Vertrauens, der Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Offenheit in Respekt vor den anderen als menschliche Personen.
- wenig über abstraktes religiöses Wissen, sondern über persönlich gelebte Religion und subjektive Religiosität mit ihren kulturellen und konfessionellen Besonderheiten.
- über die Inhalte der anderen, kulturell und konfessionell entfalteten Religion, mit demselben Respekt und derselben Anerkennung, wie wir sie gegenüber uns selbst erwarten.
- über das uns fremde der je anderen Religion so, dass das religiös und kulturell Fremde anders und fremd bleiben darf (zum Beispiel lässt sich das christliche Verständnis von Heiligkeit nicht einfach ins Arabische übersetzen). Nur so kann eine Verständigung über bestehenbleibende Unterschiede erfolgen, ohne die andere Seite abzuwerten oder freundlich zu überwältigen.
- über bestehenbleibende Unterschiede mit Rücksichtnahme auf Sensibilitäten religiöser Minderheiten.
- in Achtung der authentischen Selbstinterpretation der Religionsgemeinschaften, außer religiöse Ansichten missachten verfassungsmäßig garantierte Grundrechte und -werte.
- über unterschiedliche Wahrheitserfahrungen so, dass die Wahrheitserfahrungen der anderen ebenso ernstgenommen werden, wie die eigene Beurteilung dieser Erfahrungen.
- in der gemeinsam geteilten Überzeugung und Mission, dass alle Menschen in Gott Frieden finden können.
Titelfoto: Hell und einladend – die Moschee in Penzberg ist ein eindrückliches Bauwerk.