Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2022

Schwerpunkt

Abnabelung in ein selbstbestimmtes Leben

Beitragsbild: Adobe Stock / Sewcream

Erkranken Menschen in einem jungen Alter schwer, so stellt sich auch die Frage der geeigneten Wohnform. Während minderjährige Patientinnen und Patienten meistens im häuslichen Umfeld leben können, ist die Situation bei schwer erkrankten jungen Erwachsenen komplizierter. Vor allem in dieser Zielgruppe besteht dringend Handlungsbedarf.

Schwerkranke minderjährige Patientinnen und Patienten sollten bevorzugt in ihrem häuslichen Umfeld leben, zusammen mit ihren Familien oder in geeigneten Pflegefamilien. Damit die betroffenen Familien die Pflege und Versorgung zu Hause meistern können, müssen sie durch zahlreiche, regelhafte Entlastungsangebote im Alltag gestärkt werden. Das bedeutet, dass zusätzlich zur ärztlichen Behandlung, Therapie und Pflege weitere Entlastungsangebote greifen müssen, insbesondere Krisenbetreuung, Pflege- und Angehörigenberatung, sozialmedizinische und teilhabeorientierte Nachsorge sowie ambulante, (teil)stationäre und ehrenamtliche Kinderhospizarbeit zur Entlastung der Familie. Aktuell ist die ambulante Versorgung jedoch meist unzureichend, ihre Vermittlung wird dem Zufall überlassen und die mangelhafte Finanzierung der Angebote bedingt eine hohe Spendenabhängigkeit der Träger. Hinzu kommt der Mangel an Pflegekräften.

Wohnformen finden

Bei jungen schwerkranken Erwachsenen ist die Situation eine andere: Sie haben einen Anspruch auf ein eigenständiges Leben. Dafür sind jedoch besondere Wohnformen erforderlich. Hier gilt es, innovative Ansätze zu entwickeln sowie bestehende Ansätze zu reformieren. Aktuell ergeben sich für diese jungen Leute noch zahlreiche Probleme in der Qualität der Versorgung, wenn sie eigenständig leben möchten, denn die Versorgung umfasst entweder zu wenig Pflegeanteil und zu wenig spezialisierte Behandlungspflege oder kaum bis keine berufliche Förderung und psychosoziale Betreuung. Erforderlich für diese jungen Menschen ist daher ein neues Konzept von Betreutem Wohnen, das individuell angepasste Pflege gleichberechtigt kombiniert mit (heil)pädagogischer Förderung und psychosozialer Betreuung, mit dem Ziel der Teilhabe und einer hohen, individuell ausgerichteten Lebensqualität. Der Fokus in der Betreuung liegt auf Abnabelung und einem selbstbestimmten Leben. Ziel ist die Förderung einer dem Alter und der sozialen Reife entsprechenden Selbstständigkeit und Selbstbestimmung.

Grundsätzlich sind auch für schwerkranke junge Erwachsene kleine Wohngruppen am besten geeignet. Sie funktionieren auch inklusiv. Folgende Wohnmodelle sind empfehlenswert:

  • Betreute WG mit Assistenz für kognitiv starke Patientinnen und Patienten
  • Ambulant betreute oder stationäre WG für geistig leicht, körperlich schwerstbehinderte Patientinnen und Patienten
  • Größere WG mit max. 10 Bewohnern für körperlich und geistig stark eingeschränkte Patientinnen und Patienten (auch Wohnhaus)
  • Onkologische Patientinnen und Patienten, Organ-erkrankte Patientinnen und Patienten – kein spez. Bedarf – eigene WGs, unabhängiger, weniger Betreuungsbedarf

Wichtig für die Finanzierung der Wohngruppen ist die juristische Vereinbarkeit von Leistungen der Pflege aus SGB V und XI, sowie des BTHG – SGB IX und XII (Eingliederung). Alternativ kann seit der Reform des BTHG die Finanzierung auch über ein persönliches Budget erfolgen. Dies gewährt den jungen Menschen und ihren Familien deutlich mehr Autonomie, aber auch viel Eigenverantwortung und gestaltet sich oft schwierig durch den Fachkräftemangel.

Aus genannten Gründen existieren bisher nur handverlesene Wohnangebote für schwerkranke junge Erwachsene in ganz Deutschland und insgesamt besteht ein Defizit an geeigneten Angeboten für die Zielgruppe (ambulant-, teil- und vollstationär). Hier gilt es dringend zu handeln im Sinn der Gleichberechtigung!


Verfasst von:

Christine Bronner

Stellvertretende Vorsitzende Sachausschuss "Ethik", Landeskomitee der Katholiken in Bayern