Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2022

Schwerpunkt

Eines der knappsten Güter

Der Flächenfraß in Bayern muss aus ökologischen Gründen dringend gestoppt werden

Vor genau 20 Jahren richtete Günther Beckstein einen dringenden Appell an die Städte und Gemeinden in Bayern: Angesichts fortschreitender Versiegelung, so der damalige Innenminister, sollten die Kommunen sehr sparsam mit ihren Flächen umgehen. Zu jener Zeit wurden noch Tag für Tag im Schnitt 28 Hektar an Fläche im Freistaat verbraucht. Im vergangenen Jahr waren es „nur“ noch 11,6 Hektar täglich. Insgesamt aber wurden in den letzten zwei Jahrzehnten riesige Areale versiegelt.

Die Bodenversiegelung ist ein Problem, welches das industrielle Zeitalter den Menschen beschert hat. Immer mehr Flächen wurden zunächst für Bahnlinien und später für Straßen verbraucht. Boden wurde genutzt, um Wohnungen, Gewerbe- und Industriebetriebe zu bauen. Hinzu kommen heute Flächen für erneuerbare Energien. Etwa für große Photovoltaikanlagen. Längst weiß man: Der Flächenfraß kann und darf nicht derart ungebremst weitergehen. Die Staatsregierung bekräftigte denn auch in der Bayerischen Nachhaltigkeitsstrategie 2017, dass sie den Verbrauch an Fläche langfristig deutlich reduzieren möchte. Ziel sei eine „Flächenkreislaufwirtschaft“.

Viele Menschen, vor allem die Jüngeren, sind heute sehr besorgt wegen des Klimawandels. Dieses Thema dominiert seit langem den öffentlichen Diskurs über Umweltprobleme. Die Bodenversiegelung scheint eher zweitrangig zu sein. Dabei ist auch sie ganz und gar nicht „ohne“. Wird immer mehr Fläche versiegelt, verursacht das vielfältige Probleme, warnte das Bundesumweltministerium schon vor mehr als zehn Jahren. Wertvoller fruchtbarer Boden geht verloren: „Pflanzen und Tiere verlieren ihren Lebensraum.“ Versiegelter Boden vermindert zudem die Versickerung von Niederschlägen: „Das wiederum verschärft die Gefahr von Hochwasser.“

Immer mehr Gemeinden legen Blühwiesen und Grünflächen an, um der Flächenversiegelung entgegen zu wirken.

Unter der Webadresse der Stadt Nürnberg kann ein interessantes Konzept zum behutsamen Umgang mit freien Flächen abgerufen werden: „Masterplan Freiraum“ nennt es sich. „Die Stadt Nürnberg setzt auf eine nachhaltige Stadtentwicklung mit der Vorgabe: Innenentwicklung vor Außenentwicklung‘“, erklärt dazu Umweltreferentin Britta Walthelm. Diese städtebauliche Strategie bezweckt, den zukünftigen Bedarf an Fläche für den Bau von Wohnungen, Arbeitsstätten und Kitas dadurch zu decken, dass man bereits erschlossene Flächen im Stadtinneren nachverdichtet. Flächen auf der „Grünen Wiese“ sollen in Nürnberg möglichst nicht mehr ausgewiesen werden.

Großes Umweltproblem

Allein auf den CO2-Fußabdruck zu schauen, reicht nicht. Im Sinne der Nachhaltigkeit muss der gesamte „ökologische Rucksack“, also der Ressourcenverbrauch, der Wasserfußabdruck und der Flächenverbrauch, betrachtet werden. In Nürnberg wird eben dies versucht. Hier setzt man auch keineswegs allein auf Flächensparen durch Nachverdichtung, betont Britta Walthelm: Die Innenstadt soll gleichzeitig grüner werden. Solche Konzepte sind ganz im Sinn des Bund für Umwelt- und Naturschutz in Bayern (BUND). Der hohe Flächenverbrauch, mahnt der BUND-Vorsitzende Richard Mergner, ist aktuell eines der größten Umweltprobleme im Freistaat.

Anne Weiß stimmt dem, was der Vorsitzende des Naturschutzverbands sagt, voll und ganz zu. Die Geografin ist Flächensparmanagerin bei der Regierung von Unterfranken. Als solche berät sie Gemeinden, wie sie Boden schützen können. Das ist nicht immer einfach. Ein großes Problem besteht darin, dass Bürger Böden als Spekulationsobjekt erworben haben. Rein pekuniär betrachtet, ist das clever: Wer sein übriges Geld vor zehn Jahren in Böden investiert hat, ist heute ein gemachter Mann. Flächen im Inneren von Städten oder Dörfern brachliegen zu lassen, widerspricht allerdings eklatant dem Gemeinwohl. Denn dann muss neues Land außerhalb verbraucht werden.

Der Bedarf an Wohnfläche steigt – für die Zukunft braucht es neue Wohnmodelle.

Gemeinden können in dieser Situation in ein großes Dilemma geraten. Wie geht man mit Bürgerinnen und Bürgern um, die Flächen blockieren? „Mir sagte einmal ein Bürgermeister, dass es nichts nützt, solche Bürger einmal anzusprechen, es nützt auch nichts, sie zweimal anzusprechen“, schildert Anne Weiß. Immer wieder müssten die Eigentümer beackert und auf den Grundsatz „Eigentum verpflichtet!“ hingewiesen werden, bis sie sich einsichtig zeigen und die Baulücke freigeben. Kluge Bürgermeister, so Weiß, wählen dabei auch nicht den offiziellen Weg. Sondern sie setzen sich mal beim Weinfest mit dem Eigentümer zusammen.

Neue Bauformen

Bayerns Bürgermeister wollen sich für den Umweltschutz einsetzen. Sie möchten aber gleichzeitig auch, dass jeder, der das will, in ihrer Gemeinde wohnen kann. Nun steigt seit Jahren der Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum. Hier ist der Handlungsbedarf enorm, weiß auch Anne Weiß. Allerdings stellt sich die Frage, welchen Wohnraum man baut. Mehrfamilienhäuser sind besser als Häuser für eine Familie. Außerdem fragt man sich, ob wirklich immer so groß gebaut werden muss, wie das in den vergangenen Jahren geschah. „Wir Flächensparmanagerinnen wünschen uns mehr Offenheit, einmal neue Bauformen und neue Formen des Zusammenwohnens auszuprobieren“, sagt sie.

Besser ist es auch, ein altes Gebäude zu erhalten und es nach einer Revitalisierung weiter zu nutzen, als neu zu bauen. Dies geschehe in seiner Gemeinde Kürnach, berichtet Bürgermeister René Wohlfart. In der Würzburger Landkreiskommune ist man sehr darum bemüht, Boden zu schonen. „Dies zeigt sich in der sanften Erweiterung unserer Gemeinde durch wenige kleine Neubaugebiete in der jüngeren Vergangenheit“, so der flächensensible Kommunalpolitiker.

In Unterfranken hat sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche zwischen 2014 und 2019 um die Größe von etwa 4.000 Fußballfeldern verringert.

Mit Landwirtschaftsflächen haben sie immer einen Trumpf im Ärmel, glauben andere Gemeinden, die sich dem Druck eines wachsenden Flächenbedarfs ausgesetzt sehen. Unterfrankens Flächensparmanagerinnen sehen dies kritisch. Im Regierungsbezirk reduzierte sich die Landwirtschaftsfläche zwischen 2014 und 2019 um etwa 4.000 Fußballfelder. „Natürlich kommt es hier immer auch auf den Bodenwert an“, sagt Anne Weiß. Es gibt qualitativ bessere und es gibt schlechtere Böden. Wobei sich der „wahre“ Wert des Bodens, was seine vielfältigen ökologischen Leistungen anbelangt, sowieso nicht in seinem Marktwert spiegelt.

Entsiegelung ist möglich

Übrigens gilt der Spruch, dass „futsch futsch und hin hin“ ist, beim Boden nicht ganz: Es ist möglich, Boden wieder zu entsiegeln. Allerdings ist das teuer. Und natürlich hat der entsiegelte Boden nicht die ökologische Qualität eines Bodens, der nie versiegelt war. „Es gibt in Unterfranken auch nur wenige Beispiele von Entsiegelungsprojekten“, sagt Anne Weiß. In jedem Fall sei es besser, Flächen erst gar nicht zuzubetonieren. Das gilt im Übrigen, wie die Geografin betont, nicht zuletzt im privaten Bereich. Auch Steingärten sind aus ökologischen Gründen fatal. Gerade in Hausgärten sollten möglichst viele kleine Insektenparadiese geschaffen werden.

Wer aktuelle Prognosen im Blick hat, müsste alles dafür tun, jetzt nicht falsch zu bauen. „Der Raumordnungsprognose für 2040 zufolge wird sich die Zahl der Drei- und Mehrpersonenhaushalte in den nächsten 20 Jahren um etwa zehn Prozent reduzieren“, sagt Anne Weiß. Gleichzeitig wächst die Zahl der Singlehaushalte. Bürgermeistern, die jetzt neu planen, müsse das bewusst sein. Denn schließlich baut man ja nicht nur für heute. Und auch nicht nur für morgen. Sondern für mehrere Jahrzehnte. Anne Weiß veranschaulicht das an geschichtsträchtigen Häusern: „Wie lange Gebäude nutzbar sind, das zeigen uns denkmalgeschützte Häuser aus dem 17. Jahrhundert.“

Beitragsbild:  Anne Weiß ist Flächensparmanagerin in Unterfranken.

Fotos: Pat Christ


Verfasst von:

Pat Christ

Freie Autorin