Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2022

Schwerpunkt

Kein Akt der Barmherzigkeit

Beitragsbild: Adobe Stock / Tanialerro

Plädoyer für ein konzeptionelles Erbbaurecht

Damit die Kirche ihre vielfältigen Aufgaben finanzieren kann, ist sie auf Einnahmen angewiesen. In der Erzdiözese München und Freising werden diese derzeit zu 80 Prozent aus der Kirchensteuer und staatlichen Subventionen generiert, die Erträge aus Finanzanlagen, Mieten und Pachten tragen zusammen weniger als 10 Prozent dazu bei. Angesichts der zu erwartenden Einbrüche bei der Kirchensteuer könnte es eine Option sein, die Einnahmen aus Mieten und Pachten zu steigern.

Dazu wäre Transparenz über den kirchlichen Grundbesitz und die für den Wohnungsbau verwertbaren/bebaubaren Liegenschaften wichtig. Sicher ist aber, dass zumindest in prosperierenden Ballungsräumen die kirchlichen Rechtsträger von den exponentiell steigenden Mieten und Preisen für Grundstücke profitieren. Doch ist bzw. wäre eine derartige Strategie zu rechtfertigen? Nicht ohne Grund verpflichten sich die Kirchen in Veröffentlichungen zur Wohnungsfrage dazu, als Eigentümer von Boden und Gebäuden ethisch verantwortlich zu handeln.

Kirchenrechtliche Vorgaben

Ein Kriterium für den Umgang mit kirchlichen Liegenschaften und Wohnimmobilien kann dem kirchlichen Gesetzbuch (CIC) entnommen werden. In c. 1254 wird für die Kirche das grundlegende Recht konstatiert, Vermögen „zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern“. Im gleichen Atemzug wird die Zweckgebundenheit des Vermögens in Erinnerung gerufen. Der Vermögenserwerb muss ausschließlich den der Kirche „eigenen Zwecken“ dienen, ist also lediglich „Mittel zum Zweck“. Als vorrangige Zwecke werden neben dem Unterhalt der kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die drei kirchlichen Grundfunktionen Liturgie, Verkündigung und Caritas angeführt. Ein zweites Kriterium des CIC für den kirchlichen Umgang mit Vermögen sind die besonderen Sorgfaltspflichten. In c. 1284 werden alle kirchlichen Vermögensverwalter verpflichtet, ihre Verwaltungsaufgaben mit der „Sorgfalt eines guten Hausvaters“ zu erfüllen (c. 1284 § 1). Inhaltlich zielt das patriarchale Bild vor allem auf die Verpflichtung, die Substanz kirchlichen Vermögens zu erhalten.

Bezahlbare Mieten

Auch beim kirchlichen Umgang mit Wohnimmobilien und Grundstücken muss der Grundsatz des Werterhalts eingehalten werden. Andererseits ist es schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit geboten, kirchliche Immobilien „zum Teil unter den ortsüblichen Marktpreisen zu vermieten, um bestimmte Wohnformen (z.B. Mehrgenerationenhäuser) und eine breite Mischung verschiedenster Sozial- und Einkommensmilieus zu fördern“, so die Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik der deutschen Bischofskonferenz im Juni 2021. Eine zentrale Frage ist in diesem Zusammenhang, wie hoch der Anteil der Wohneinheiten ist, die nach sozialen Kriterien vermietet werden, und ob eine Deckelung der Mieten existiert. Hier hat sich in den vergangenen Jahren vieles bewegt. Die Erzdiözese München und Freising will bei kircheneigenen Immobilien ein Drittelungs-Konzept anwenden: 30 Pozent der Wohnungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mittlerer und unterer Gehaltsstufen, weitere 30 Prozent an Menschen, die es schwer haben, auf dem Wohnungsmarkt geeigneten Wohnraum zu finden, die restlichen 40 Prozent zu Konditionen des allgemeinen Wohnungsmarkts. Auch kirchliche Wohnungsbaugesellschaften wollen soziale und ökologische Kriterien stärker gewichten. Das katholische Siedlungswerk München (KSWM) hat sich im Juli 2019 für die eigenen 3.000 Wohnungen einen Mietendeckel verpasst. Die Erzdiözese München und Freising, zu 99 Prozent Gesellschafter des KSWM, hat bereits 2016 dessen Eigenkapital um etwa 25 Millionen Euro aufgestockt – und damit mehr als verdoppelt. Seit Oktober 2019 verzichtet die Erzdiözese auch bei ihren im Eigenbestand befindlichen Wohnungen für zunächst drei Jahre auf Mieterhöhungen.

Konzeptvergabe im Erbbaurecht

Bei der Vergabe von Grundstücken im Erbbaurecht gibt es demgegenüber wenig Bewegung. Folgende Argumentationsstränge sind es, mit denen in kirchlichen Finanzverwaltungen das Anliegen, bei der Vergabe von Erbbaugrundstücken einen Kriterienkatalog anzuwenden, „relativiert“ wird:

  • Zur Findung eines marktgerechten Erbbauzinses sind Kirchenstiftungen aufgrund der kirchen- und stiftungsrechtlichen Vorgaben verpflichtet (eine Unterwertvergabe ist nicht zulässig).
  • Der Marktwert eines Grundstücks wird über ein Meistbietungsverfahren ermittelt. Demnach können Interessenten ein Gebot abgeben und der oder die Meistbietende erhält den Zuschlag.
  • Das Meistbietungsverfahren ist notwendig, um faire und transparente Entscheidungen zu gewährleisten. Es minimiere „Vetternwirtschaft“, die Teilnahmebedingungen seien gleich, jedem und jeder werde eine gerechte Chance auf ein Erbbaurecht ermöglicht.
  • Nur in einem Bieterverfahren kann der tatsächliche Marktwert eines Grundstücks ermittelt werden.

Aus ethischer Perspektive muss vor allem die Orientierung am Marktwert problematisiert werden. Kann dem Gebot des Werterhalts nur dann entsprochen werden, wenn man sich daran orientiert? Das bayerische Stiftungsgesetz (Art. 22 Abs. 1) spricht von einer „dauerhafte[n] und nachhaltige[n] Erfüllung des Stiftungszwecks durch das Vermögen der Stiftung“, aber nicht von einer Bindung an den Marktwert. Zudem zeigen Analysen des Wirtschaftswissenschaftlers Dirk Löhr, dass die Konzeptvergabe im Erbbaurecht, also eine Orientierung an sozialen und ökologischen Kriterien, zu mehr Marktgerechtigkeit führt, weil der Wettbewerb erhöht und Machtungleichgewichte zwischen Anbietenden und Nachfragenden minimiert werden. Darüber hinaus können Konzeptvergaben zu einem gemeinwohlorientierten Bodenmarkt beitragen. Hierzu ist ein moderater Erbbauzins notwendig, der auf Basis eines deutlich ermäßigten Bodenpreises bemessen wird. Wenn sich in Metropolregionen der Erbbauzinssatz auf die marktüblichen Bodenpreise bezieht, ist er für die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bezahlbar, auch wenn er bei „nur“ 2,5 Prozent liegt. Aus diesem Grund hat sich zum Beispiel die Erzdiözese Freiburg vom Meistbietungsverfahren verabschiedet und orientiert sich an der Gesamtbelastung für den Erbpachtnehmer.

Sich an wirtschaftsethischen Standards orientieren

Sich an ethischen Kriterien zu orientieren, ist kein Akt der Barmherzigkeit. Beim konzeptionel­len Erbbaurecht wird nichts verschenkt. Es geschieht auch keine Unterwertvergabe. Das Vermögen, der Wertzuwachs des Grundstückes, bleibt dem jeweiligen kirchlichen Rechtsträger ja erhalten. Es wird lediglich darauf verzichtet, von exponentiellen Steigerungen des Bodenpreises zu profitieren.

Eine Voraussetzung für diesen Schritt ist, dass die dem CIC und dem staatlichen Stiftungsrecht inhärente Trennung zwischen Vermögensbildung und Zweckbestimmung relativiert und nicht mehr strikt zwischen Ertragserwirtschaftung und Ertragsverwendung getrennt wird. Dass dies nicht vollends unmöglich ist, darauf verweist die Tradition des „Abkinderns“ des Erbbauzinses. In der Erzdiözese München und Freising beispielsweise kann bei kinderreichen Familien der Erbbauzins um bis zu 20 Prozent reduziert werden. Diesen Ansatzpunkt zu nachvollziehbaren sozialen und ökologischen Kriterien weiterzuentwickeln, ist eine wichtige Zukunftsaufgabe. Dass hier – wie bei der ethisch-nachhaltigen Ausrichtung der Vermögensverwaltung – ein überdiözesaner Reflexionsprozess einsetzen sollte, ist schon infolge der Größenordnung, mit der die katholische Kirche im Erbbaurecht vertreten ist, angebracht. Im Grunde stehen die kirchlichen Stiftungen vor einer Herausforderung, die das deutsche Stiftungswesen im Allgemeinen meistern muss: die Trennwände zu beseitigen zwischen Geldanlagen und Förderungen.

 Vom Autor ist zum Thema ein ausführlicher Beitrag im Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 62 (2021) erschienen.  Ein Papier des Diözesanrates München und Freising zum Thema lesen Sie hier.


Verfasst von:

Martin Schneider

Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der School of Transformation und Sustainability der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt