Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2022

Interview

Mir ist wichtig, dass die Menschen überall in Bayern leben können.

Kerstin Schreyer – StMB/Atelier Krammer

Seit fast zwei Jahren ist Kerstin Schreyer inzwischen Bayerische Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr. In ihrem Ministerium laufen Megatrends zusammen – Wohnungsnot und die Frage nach bezahlbarem Wohnraum, ökologisches Bauen und nachhaltige Flächennutzung sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die viele Städter auf’s Land getrieben hat.

 

Gemeinde creativ: In der aktuellen Ausgabe von Gemeinde creativ geht es um das Thema „Wohnen“, können Sie zu Beginn einen kurzen Überblick zur Wohnraumsituation in Bayern geben?

Kerstin Schreyer: Der Bereich „Wohnen“ ist eine ganz große Herausforderung. Und zwar deswegen, weil hier die Fragen so unterschiedlich sind. In Städten wie München haben wir noch nicht mal mehr die Frage nach kostengünstigem Wohnraum. Denn es gibt praktisch keinen. Hier müssen wir überlegen: Wie kriegen wir überhaupt diesen Wohnraum her? Im ländlichen Raum stellt sich dagegen eher die Frage: Kann ich mir ein Eigenheim erwerben? Diese verschiedenen Fragen müssen wir unter einen Hut bekommen.

Preise für Wohnungen und Bauland steigen seit Jahren stetig an, wie sehen Sie diese Entwicklung? Wird Wohneigentum bald nur noch etwas für die Privilegierten der Gesellschaft sein?

Wohneigentum in Städten wie München zu schaffen, ist tatsächlich selbst für sehr gut verdienende Menschen fast unmöglich geworden. Hier gibt es auf dem Land mehr Möglichkeiten. Corona bringt da nun noch mal eine völlig neue Dynamik rein. Früher war man es in der Stadt oft einfach gewohnt, in einer kleineren Wohnung ohne Garten und ohne Balkon zu leben. Abends ist man vielleicht eh noch zum Essen oder zum Sport gegangen. Insofern war die Frage des Wohnens nicht ganz so entscheidend. Jetzt wird sie aber umso wichtiger. Mehr als jeder achte Bewohner von Städten mit mehr als einer halben Million Einwohner will diese laut einer Befragung des Münchner ifo-Instituts und des Immobilienportals Immowelt binnen maximal eines Jahres verlassen. Wenn man feststellt, dass man vielleicht nur zweimal die Woche zum Arbeiten in eine Stadt fahren muss, weil man den Rest zuhause digital machen kann, dann wird man sich auch überlegen, ob man nicht lieber weiter rauszieht und sich vielleicht dort Wohneigentum schafft.

In den Ballungsräumen können sich heute schon viele Menschen das Wohnen nicht mehr leisten, sind auf Hilfen angewiesen und das, obwohl sie eine Vollzeitbeschäftigung haben…

Es gibt nur ein Mittel gegen Wohnungsmangel: Bauen. Wir als Freistaat unterstützen natürlich auch entsprechend. Zum Beispiel über die Wohnraumförderung. Das waren im vergangenen Jahr 848,6 Millionen Euro, die wir da zur Verfügung hatten. 2020 haben wir bayernweit mit ähnlichen Mitteln mehr als 9.500 Wohnungen gefördert. Und wir bauen auch selbst! Mit der Stadibau, mit der BayernHeim und mit der Siedlungswerk Nürnberg. Weil wir eben auch der Auffassung sind, dass wir unsere Kommunen nicht allein Wohnraum schaffen lassen können. Wir als Freistaat müssen da schon auch mit anschieben. Das tun wir auch sehr intensiv und erfolgreich.

Stichwort „Sozialer Wohnungsbau“ – wurde hier in den vergangenen Jahren etwas verpasst?

In den vergangenen Jahren konnten wir den Stand der Sozialwohnungen auf einem konstanten Niveau halten. 2020 waren es bayernweit mehr als 135.000. In den nächsten Jahren laufen weiterhin planmäßig Sozialmietwohnungsbindungen aus, gleichzeitig werden im Rahmen der Wohnraumförderung neue Bindungen begründet. Wir investieren also weiterhin kräftig in kostengünstigen Wohnraum.

Viele Städter drängen ins Umland, welche Konsequenzen hat das für diese Regionen. Sehen Sie hierin eher Vor- oder Nachteile?

Mir ist wichtig, dass die Menschen überall in Bayern leben können. Damit es im Umland nicht bald die gleichen Probleme wie in den Städten gibt, müssen wir das Thema Wohnen ganzheitlich betrachten. Ich spreche zum Beispiel von der Straßen- und Schieneninfrastruktur und natürlich auch vom ÖPNV. Wir müssen hier die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize setzen, dann werden auch die Vorteile überwiegen.

Es wird viel gesprochen über Flächenversiegelung, darüber, dass das Einfamilienhaus nicht das Wohnmodell der Zukunft sein sollte, und über ressourcenschonendes Bauen. Wie sieht für Sie nachhaltiges Bauen und Wohnen zukünftig aus?

Das Thema Nachhaltigkeit ist zentral für uns. Mit den Modellvorhaben des Experimentellen Wohnungsbaus haben wir in meinem Ministerium schon vor vielen Jahrzehnten einen eigenen Impulsgeber ins Leben gerufen. Er liefert uns seitdem Innovationen und Blaupausen für zukünftiges und bezahlbares Wohnen für die Praxis. Und da ist wirklich eine Menge Musik drin. Im neuesten Modellvorhaben „Klimaanpassung im Wohnungsbau“ geht es zum Beispiel um den Klimawandel und seine Auswirkungen auf das Wohnen und die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner.

Es gibt viele Visionen von „grünen Städten“, wie können Artenvielfalt und Umweltschutz an Straßen, auf Dächern, an Fassaden und in Gärten gefördert werden bzw. welche Projekte gibt es hier schon?

Das Ökologie-Thema wird uns natürlich immer mehr beschäftigen. Etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland gehen auf Gebäude zurück – im Verkehrssektor sind es etwa 19 Prozent. Wir können hier also richtig etwas bewegen. Unser Ministerpräsident Markus Söder hat in seiner Regierungserklärung zum Klimaschutz viele Bereiche angesprochen, in denen wir noch besser werden wollen: Fassadenbegrünung, Photovoltaik auf Dächern oder auch urban gardening. Wir sind hier an vielen Themen dran und wollen auch als Verwaltung mit unseren eigenen Gebäuden Vorbild sein.

Neben den „großen Projekten“, was kann im Kleinen, in jeder Gemeinde und in jedem privaten Vorgarten, getan werden?

In unserer Broschüre „Artenschutz leicht gemacht“ haben wir Tipps und Tricks zusammengefasst, wie Artenschutz auch zuhause gelingt. Die Broschüre kann auf unserer Internetseite kostenlos bestellt werden. Wir wollen auch hier Vorbild sein: An den Staats- und Bundesstraßen im Freistaat lassen wir an Böschungen und entlang der Straßen, wo es die Straßenverkehrssicherheit zulässt, ganz bewusst Blühflächen und Rückzugsräume für Insekten und andere Tiere stehen. Außerdem werden etwa 1.000 Hektar besonders wertvolle Grünflächen zu Straßenbiotopen für Bienen, Schmetterlinge und Co.

Während der Corona-Pandemie haben viele Menschen ins Homeoffice gewechselt, nicht alle werden (wieder vollständig) in die Büros zurückkehren – leer stehende Büroflächen auf der einen, längere Pendlerstrecken (wenn auch nicht täglich) auf der anderen Seite. Wie kann man dem infrastrukturell begegnen?

Wenn wir möchten, dass Pendler die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, müssen wir Angebote schaffen. Ein Thema ist die Reaktivierung von Bahnstrecken. Allerdings muss man hier ganz genau hinschauen. Es bringt nichts, in leeren Zügen Luft zu bewegen. Wenn nicht eine bestimmte Zahl von Fahrgästen erreicht wird, sind Busse oft die ökologisch sinnvollere Alternative. Und dazu braucht man wieder den Straßenbau, denn Busse und Sammeltaxis fahren bekanntlich auch auf Straßen. Wir müssen Angebote in allen Bereichen schaffen.

Kerstin Schreyer (*1971) ist seit Februar 2020 Bayerische Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr. Davor war sie Bayerische Sozialministerin (2018 bis 2020) und Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung (2017 bis 2018). Die studierte Sozialpädagogin gehört dem Landtag seit 2008 an.


Verfasst von:

Alexandra Hofstätter

Geschäftsführerin des Landeskomitee der Katholiken in Bayern.