Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2022

Schwerpunkt

Alleinsein: Seitenblicke eines Hochschulseelsorgers

Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich auf dem Parkplatz des Wohnheims direkt neben dem Gemeindezentrum unserer Hochschulgemeinde zumindest ein paar Autos. Nach drei Semestern, in denen das Leben auf dem Campus weitgehend zum Erliegen kam, gab es im zurückliegenden Wintersemester wieder Veranstaltungen in Präsenz, die Bibliotheken haben geöffnet und die Studierenden bereiten sich auf Prüfungen vor.

Die Räume der Hochschulgemeinde stehen in diesen Tagen als „Lernoase“ zur Verfügung, ein Angebot, das sehr gut angenommen wird. Jeder Lerntag beginnt mit einem Morgengebet und ich überlege, ob ich eines der Gebete unter das Thema „Alleinsein“ stellen soll. Reflexionen über die Einsamkeit haben naturgemäß Konjunktur in diesen Tagen. Häufig wird empfohlen, die Ausnahmesituation der Pandemie als Chance zu betrachten: „Nutze die Zeit, um aus deinem Alltag auszubrechen und Dinge zu tun, die du dir schon lange vorgenommen hast.“

Solche Ratschläge sind wohlfeil für Menschen, denen das Alleinsein in ihrer Lebenseinstellung ohnehin entgegenkommt. Ganz anders verhält es sich, wenn Einsamkeit aufgezwungen ist und in eine Lebensphase fällt, in der die Erfahrung von Gemeinschaft essenziell ist.

Studium im Alleingang?

Studieren erscheint von außen betrachtet als eine Tätigkeit, die man gut alleine ausüben kann. Sofern es auf das bloße Funktionieren ankommt, mag das stimmen: Digitale Lehrangebote wurden schnell bereitgestellt, Lehrende und Studierende haben gemeinsam bereichernde Erfahrungen dabei gesammelt. Manche Studierende haben es vielleicht zumindest anfangs sogar als Vorteil gesehen, dass sie nun ihr Studium bequem von zu Hause aus erledigen konnten. Die drohende Einsamkeit war auf diese Weise abgemildert durch die Kontakte mit der Familie und einigen der alten Freundinnen und Freunde.

Aber auf die Dauer fehlt zu vieles; auch für diejenigen, die nicht völlig vereinsamen. Denn Studieren bedeutet weit mehr als nur Lernen und Prüfungen abzulegen. Es ist ein eigener Lebensabschnitt, in dem sich Entscheidendes für die Entwicklung der Persönlichkeit ereignet. Viele neue Kontakte werden geknüpft, Freundeskreise und Interessen sortieren sich neu, Weichenstellungen für die Berufswahl werden getroffen, die spätere Lebenspartnerschaft nimmt oft im Studienumfeld ihren Anfang. Auch das Lernen und der intellektuelle Austausch haben eine soziale Komponente, die von der direkten Begegnung face to face lebt.

Die WHO definiert Gesundheit als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ Nimmt man das ernst, dann gehören junge Erwachsene und insbesondere Studierende zu den vulnerablen Gruppen, deren Leiden und Beeinträchtigungen durch die Pandemie wir gesellschaftlich bislang in einer erstaunlichen Weise übersehen haben.

Wenn Gemeinschaft fehlt

Die Tutoren des Wohnheims berichten mir: Viele Zimmer sind seit Monaten nicht bewohnt. Das Gemeinschaftsleben im Wohnheim ist zum Erliegen gekommen. Bei manchen, die vor Ort sind, ist der Tagesrhythmus völlig durcheinander geraten. Auch wenn jetzt wieder etwas mehr Studierende präsent sind, mussten diejenigen, die während der Lockdown-Zeiten für Abschlussarbeiten oder Prüfungen anwesend waren, sehr einsam gewesen sein. Aus Gesprächen mit der Studienberatung weiß ich, dass psychische Probleme unter Studierenden enorm zugenommen haben und die Dunkelziffer wohl sehr groß ist.

Als Hochschulgemeinde haben wir versucht, zumindest einen kleinen Ausgleich zu setzen, durch Gottesdienste, Austausch und Gespräch oder auch nur ein „Abendessen to go“. Alle diese Möglichkeiten, Gemeinschaft zu erfahren wurden bereitwillig angenommen. Gemeinschaft zu erleben ist das Wichtigste: Wieder Menschen treffen, sich austauschen, miteinander essen und diskutieren.

Vielleicht wäre es gut, wenn wir an die Stelle der erzwungenen Einsamkeit ein bewusstes Nachdenken setzen, die auch während der Pandemie oft sehr hektischen gesellschaftlichen Abläufe bewusst unterbrechen und uns gemeinsam fragen, was wir zu einem guten Leben wirklich brauchen. Und dann stürzen wir uns hoffentlich ganz bald wieder ins volle Leben.

Titelbild: Simon/Adobe stock

In der Pandemie blieben Hörsäle lange leer. Ein Studium bewältigt man aber nicht im Alleingang vom Schreibtisch zuhause aus, sagt der Hochschulseelsorger Hermann Josef Eckl.


Verfasst von:

Hermann Josef Eckl

Hochschulpfarrer Katholische Hochschulgemeinde Regensburg