Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2022

Schwerpunkt

Wege aus der Einsamkeit

Wie Briefe, Spaziergänge oder Online-Chats Menschen dabei helfen können, weniger allein zu sein.

Die Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben es erschwert, soziale Beziehungen zu pflegen. Viele Menschen sind häufiger allein als vorher. Zahlreiche Statistiken belegen, dass sich 2021 deutlich mehr Menschen einsam fühlten als noch drei Jahre zuvor. Doch auch wenn sich die Situation vieler Menschen verändert oder gar verschärft hat, ist Einsamkeit kein rein pandemisches Phänomen. Durch Corona kommt nur endlich auch die gesellschaftliche Auseinandersetzung damit in Gang.

Dabei stellt Einsamkeit ein erhebliches psychisches und auch gesundheitliches Risiko dar – und ist damit nicht nur für die betroffenen Personen belastend, sondern auch für die Gesellschaft. Die Malteser benennen Einsamkeit als Verursacherin von seelischem und körperlichem Stress, sie begünstigt Herz-Kreislauf-Erkrankungen und wirkt sich auf die Qualität des Schlafes aus. Außerdem gehen Menschen ohne soziale Kontakte weniger verantwortungsvoll mit sich um, was viele andere gesundheitliche Risiken nach sich ziehen kann.

Qualität vor Quantität

Aber nicht jede Person, die allein ist, ist einsam und nicht jeder einsame Mensch ist allein. „Meiner Meinung nach liegt der Hauptunterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit darin, von welcher Qualität die Kontakte sind, die man hat“, sagt Martina Schoppe, die im Caritasverband Rheine den „Talk to go“ ins Leben gerufen hat. Hier können Menschen Partner für gemeinsame Spaziergänge finden, um sich zu bewegen, zu unterhalten und unter Corona-Bedingungen den Kopf freizubekommen. „Auch wenn jemand viel allein ist und nur wenig Kontakte hat, kommt es darauf an, wie diese Beziehungen gestaltet sind. Sind sie tiefgründig, ehrlich und vertrauensvoll? Hat man Gemeinsamkeiten und kümmert man sich umeinander? Dann kann man, denke ich, gut mit wenigen Kontakten auskommen, ohne sich einsam zu fühlen.“ Dahingegen könne jemand, der viele Kontakte hat, die aber oberflächlich und ohne Substanz sind und unverbindlich bleiben, trotzdem einsam sein.

Manchmal reicht auch schon eine kleine Nettigkeit, um die Stimmung aufzuhellen. Tina Hartmann nimmt mit dem Caritasverband Kempten-Oberallgäu am Projekt „Briefe gegen Einsamkeit“ von der youngcaritas des Deutschen Caritasverbands teil. Hier können Freiwillige Briefe an Menschen in Wohn-, Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen oder ältere Menschen, die allein leben, schreiben, um ihnen im Alltag eine kleine Freude zu machen. Tina Hartmann berichtet von großer Freude bei den Empfängerinnen und Empfängern: „Die erste Reaktion ist oft: Was? Mir schreibt jemand? Denn meistens, wenn man Briefe bekommt, sind das Rechnungen, aber das ist dann mal ein netter Brief mit Wünschen und schönen Erlebnissen.“ Besonders groß sei die Freude, wenn Kinder etwas erzählen oder malen: ihre letzten Urlaubserlebnisse oder Weihnachtsgeschichten. „Da merkt man auch richtig, wie den älteren Leuten Erinnerungen hochkommen und das ist es, glaube ich, was das Projekt ausmacht. Dass man merkt, dass da neben diesem ganzen alltagsbürokratischen Briefverkehr, den man sonst so hat, auch mal was kommt, was das Herz berührt, und nicht nur auf der Sachebene funktioniert.“ Es gebe auch immer wieder Briefeschreiber, die ihre Adresse hinterlassen, so dass die Empfänger zurückschreiben könnten.

Musik schafft Gemeinschaft

Coronakonform, im Freien und mit reichlich Abstand fanden die „Hofkonzerte gegen Einsamkeit“ in letzter Zeit statt.

Ähnliche Lichtblick-Momente schafft Daniela Wiedemann. Sie ist Mitorganisatorin bei „Hofkonzerte – Musik gegen die Einsamkeit“. Das gemeinsame Projekt der Freiwilligen-Zentren der Caritas und der Stiftung Gute-Tat München hat im Laufe des vergangenen Jahres um die 50 Konzerte organisiert, bei denen Freiwillige trägerübergreifend unter anderem in Einrichtungen aus dem Seniorenbereich, Flüchtlingsunterkünften, Familienzentren, Alten- und Servicezentren, Bürgertreffs oder Einrichtungen für suchtkranke Menschen für Abwechslung und Aufmunterung gesorgt haben. „Die Stimmung ist immer ganz, ganz toll. Die Senioren singen mit, klatschen, tanzen, wünschen sich auch Lieder. Bei Konzerten, bei denen Volkslieder gespielt und gesungen werden, sind auch Senioren, die wirklich schon sehr stark beeinträchtigt sind, absolut textsicher.“ Bei all der Ausgelassenheit ist sie sich aber durchaus bewusst, dass das Konzert zwar einen kleinen Hoffnungsschimmer darstellt, aber keine Lösung ist: „Ein einmaliges Hofkonzert in einer Einrichtung schafft Freude für den Tag, aber die Leute bleiben natürlich trotzdem einsam, wenn sie einsam sind.“

Der Verein „Wege aus der Einsamkeit“ unterstützt ältere Menschen im Umgang mit Tablet und Smartphone. So halten die Senioren untereinander Kontakt, aber auch das Zoom-Meeting mit den Enkeln klappt ganz wunderbar!

Doch das muss nicht sein, findet Dagmar Hirche. 2019 wusste sie selbst noch nicht, was Zoom ist. Heute schult sie über die Initiative „Wir versilbern das Netz“ des Vereins „Wege aus der Einsamkeit“ Menschen der Generation 65+ im Umgang mit Tablet und Smartphone. Vor Corona bot der mittlerweile 13 Jahre alte Verein analoge Aktivitäten wie zum Beispiel Spielenachmittage in Hamburg. Was analog begann, wurde auf Grund von Corona ins Netz verlegt und schafft für ältere und alte Menschen Möglichkeiten zur Teilhabe am sozialen Miteinander. Mit den durch die Schulungen neu gewonnenen Kompetenzen im Umgang mit den digitalen Medien können sie zum einen Kontakt zu Familie und Freunden besser und leichter aufrechterhalten. Zum anderen haben sie über den Verein Zugang zu einem 24 Stunden geöffneten Zoom-Raum, um sich mit anderen Vereinsmitgliedern auszutauschen, Sitz-Yoga zu machen, zu tanzen, zu rätseln, Tatort zu schauen. Dagmar Hirche ist total begeistert: „Wenn man mir das vor zwei Jahren gesagt hätte! Wir haben jetzt 500 Zoom-Veranstaltungen durchgeführt, mit Minimum 12 bis 15 Leuten bis hin zu 60!“ Und online entstünden auch viele Freundschaften, die es ins Analoge schafften: „Da ist viel passiert! Ich hör‘ hier immer nur, wer wen besucht und durch ganz Deutschland fährt. Sodom und Gomorrha, da bin ich raus,“ sagt sie und lacht.

Keine Frage des Alters

Hannes Schuster weiß, dass Einsamkeit kein Problem des Alters ist. Er betreute für den Deutschen Caritasverband als Referent für das Suizidpräventionsangebot „[U25]“ auch das Projekt „#gemeinsamstatteinsam“. Hier bieten Ehrenamtliche online eine anonyme Betreuung für junge Menschen. Er konnte feststellen: „Es gibt unglaublich viele Jugendliche und junge Erwachsene, die während Corona nicht zwingend Suizidgedanken entwickelt, aber einfach Probleme bekommen haben, über die sie sprechen beziehungsweise in unserem Fall schreiben wollen.“ Via Mailkontakt versuchen die Ehrenamtlichen die Betroffenen zu unterstützen. Sie klopfen ab: Was stehen vor Ort für Beziehungen zur Verfügung? Welche Möglichkeiten bestehen jetzt schon, die der Jugendliche in dieser überforderten Situation vielleicht gar nicht mehr sieht? „Auf diese Fragen werden unsere Peer Beraterinnern und Berater einerseits geschult, zum anderen kennen viele die Situation selbst. Die hatten auch Momente von Einsamkeit oder Überforderung mit Uni und Schule.“ Dabei stehe im Vordergrund, die Betroffenen online dafür zu sensibilisieren, wieder offline Beziehungen mit Qualität aufzubauen. „Einsamkeit ist nicht traurig, wenn sie beachtet wird“, lautet ein Sprichwort der Tuareg. Und genau hier sieht Hannes Schuster noch erhöhten Bedarf: „Mit Blick auf die Einsamkeit gibt es ganz klar Bedarf nach einem erweiterten Betreuungsangebot. Man sieht das auch in Großbritannien, wo es bereits staatliche Stellen gibt, die sich mit Einsamkeit befassen. Da ist das Thema schon ganz anders präsent. Bei uns hat es das Wort jetzt immerhin schon in den Koalitionsvertrag geschafft. Aber: es muss noch viel mehr gehen.“


Verfasst von:

Sarah Weiß

Freie Autorin