Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Juli-August 2022

Interview

„Die Glut entfachen, statt die Asche bejammern.“

Pfarrer Markus Krell leitet den Pfarrverband Tiefenbach (Bistum Passau). Die vergangenen beiden Corona-Jahre waren für den Seelsorger herausfordernd. Aus anfänglicher Schockstarre und Ratlosigkeit entwickelte sich viel Kreatives und Neues. Einiges davon wird bleiben. Die Corona-Pandemie ist aber nur eine von vielen Krisen, die die Menschen aktuell bewegen. Darüber, was Menschen in diesen Zeiten von der Kirche erwarten, hat Pfarrer Markus Krell mit Gemeinde creativ gesprochen:

Gemeinde creativ: Was haben Sie im März 2020 gedacht, als die Pandemie begann, und alles ziemlich schnell geschlossen wurde, auch die Kirchen? 

Pfarrer Markus Krell: Ich war zu der Zeit in der Klinik und mein erster Gedanke war: „Das ist vielleicht gar nicht so schlecht, da wird der Übergang von der Klinik zurück in die Pfarrei nicht so stressig.“ Ruhe, Entschleunigung, noch ein bisschen Zeit zum Durchschnaufen haben. Gut, der Termindruck war zwar wirklich weniger in der Zeit, aber dann hat sich schnell eine gewisse Leere breitgemacht. Und gleichzeitig waren da auf einmal ganz viele neue Ideen, wie ich meinem Seelsorgeauftrag weiterhin nachkommen könnte. Viel Zeit zur Ruhe ist also nicht geblieben.

Wie war die Stimmung vor Ort? 

Zunächst waren die meisten eigentlich relativ gelassen. Keiner hätte damals damit gerechnet, dass Corona die nächsten Jahre beherrschen würde. Wir haben gedacht, das sei eine Sache von Wochen, vielleicht wenigen Monaten. Erst mit der Zeit ist uns bewusst geworden, dass diese Pandemie doch länger dauern wird und damit auch die Erkenntnis, was plötzlich alles fehlt: keine Gottesdienste in der Anfangsphase der Pandemie – gerade das Osterfest 2020 ohne gemeinsame Feiern hat den Gläubigen wirklich weh getan – dann natürlich auch keine Treffen der Pfarrgemeinderäte, keine Gruppenstunden für die Ministranten, keine Veranstaltungen. An dem Punkt hat sich dann immer mehr Ratlosigkeit breitgemacht.

Wie haben Sie Ihre Rolle als Seelsorger in dieser Zeit gesehen? 

Ich hatte Glück, weil ich 2020 meine Verwaltungsaufgaben abgeben konnte. So bin ich nicht mehr „Bausorger“ oder „Geldsorger“, sondern kann mich ganz auf die Seelsorge konzentrieren. Herausfordernd war das jedoch allemal, weil wir alle umdenken mussten. So wie wir es immer gemacht hatten, ging es halt nicht mehr. Es waren beispielsweise keine Krankenbesuche mehr möglich. Also haben wir die Leute angerufen. Das waren sehr intensive Telefongespräche. Viele Leute waren unendlich dankbar dafür, dass wir uns gemeldet haben. Ähnlich war es bei Trauergesprächen, die wir mit Angehörigen in der Zeit am Telefon geführt haben. Eine Herausforderung war natürlich, dass eine Zeit lang selbst bei Beerdigungen keine Gottesdienste erlaubt waren. Meine Kollegen und ich haben uns sehr bemüht, trotzdem würdige Begräbnisse, eben auf dem Friedhof, zu gestalten. Unsere Kirchenmusiker im Pfarrverband haben da wirklich großes Engagement an den Tag gelegt und uns sehr unterstützt. Gerade bei Trauerfällen, bei denen Nähe und Umarmung gebraucht wurden, da mussten die Menschen plötzlich auf Abstand bleiben – das war schon hart. In der Zeit habe ich eine intensive Nachsorge mit den Angehörigen angefangen, das will ich auch weiterhin beibehalten. In einer Pfarrei haben wir eine Osterkarte eingeführt, die wir den Angehörigen von Verstorbenen zusenden. Wir haben einen digitalen Advents- und Fastenkalender kreiert (vgl. Gemeinde creativ 4/2021). Das Projekt ist so gewachsen, dass es bald den ganzen Pfarrgemeinderat und Liturgieausschuss beschäftigt hat. Aber der Aufwand war es wert: die Kalender sind richtig gut angekommen!

Und dann habe ich unsere Gemeindemitglieder eingeladen und aufgerufen, selbst zu segnen, die Palmbuschen zum Beispiel oder die Osterspeisen. Ein bisschen mutig, ja das schon, aber auch ein Ausdruck von mündigem Christsein.

Ich habe gelesen, Sie sind in der ersten Phase der Pandemie ein richtiger Nordic-Walking-Fan geworden…

Zeit hatte ich ja, also habe ich systematisch die vielen kleinen Dörfer im Pfarrverband erwandert und bin da mit den Leuten ins Gespräch gekommen, über den Gartenzaun, an der Wanderbank, im Vorbeigehen – immer mit Abstand natürlich. „Management by walking around“, das ist ein modernes Managementprinzip. Da können wir als Kirche etwas lernen, auch für die Zeit nach der Pandemie: wir müssen zu den Leuten gehen und sie nicht immer nur zu uns holen oder hoffen, dass sie von selbst kommen.

Streaming-Gottesdienste sind gut angenommen worden. Was halten Sie davon?

Wir selbst haben keine Streaming-Gottesdienste gemacht, aber das Bistum hatte hier ein gutes Angebot und auch regional gab es Online-Gottesdienste, die man von Zuhause aus mitfeiern konnte. Ich persönlich halte Eucharistiefeiern ohne Gemeinde für theologischen Unsinn. Da stimme ich dem tschechischen Theologen Tomáš Halík zu, der ein „Mahl aus der Ferne“, eine „virtuelle Frömmigkeit“ oder ein „Knien vor dem Bildschirm“ für nicht zielführend hält. 

In der Pandemie sprechen wir von Wellen; aber nicht nur die Infektionszahlen haben sich immer wieder verändert, mit ihnen auch das, was möglich war und was nicht. Wie schwierig war es für Sie, sich immer wieder neu darauf einstellen zu müssen?

Das war zum Teil schon ziemlich schwierig. Wir mussten natürlich ständig nachjustieren, wieder etwas zurückfahren, umplanen. Es war schon lästig, dass Planungen immer wieder durch neue Bestimmungen über den Haufen geworfen worden sind. Man hat sehr viel ins Leere geplant und produziert. Wenigstens ein kleiner Trost, da ging es allen irgendwie gleich.

Was denken Sie: haben wir uns als Kirche in der Krise gut geschlagen? 

Ich meine, dass wir uns am Anfang ein wenig zu stark ausgeruht haben und uns auch zu sehr haben lähmen lassen. Nach dieser anfänglichen „Schockstarre“ aber haben sich vielerorts ganz kreative Dinge entwickelt. Sehr positiv habe ich empfunden, dass viel Zeit für echte Seelsorge, für Gespräche und Begleitung geblieben ist – wenn auch nur am Telefon, aber immerhin!

Ich habe zum Beispiel bei allen – und das waren an die 80 Leute – Angehörigen angerufen, die im vergangenen Jahr jemanden verloren haben und habe sie persönlich zum Allerseelengottesdienst eingeladen. Auch die Gräbersegnungen konnten ja nicht wie gewohnt stattfinden, weil viele Friedhöfe viel zu eng dafür sind. Als Zeichen dafür, dass die Gräber gesegnet worden sind, haben wir kleine Ziegelsteine auf die Gräber gelegt – darüber sprechen die Leute heute noch. 

Die Diskussion um die Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche haben auch in den vergangenen Monaten die Gemeinden erschüttert. Es fällt immer schwerer, in Politik und Zivilgesellschaft mit christlichen Positionen Gehör zu finden. Wie können wir das ändern?

Ich will ehrlich sein: das hat uns in unseren Gemeinden in den vergangenen Monaten zusätzlich zu Corona schon sehr zu schaffen gemacht. Wir müssen das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen, das ist das A und O. Wie Jesus agieren: Zuhören, beachten, begleiten, behutsam sprechen. Es geht darum, die betroffenen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um die Opfer, nicht darum, eine Institution so irgendwie zu erhalten.

Die Situation ist für Ehren- und Hauptamtliche schwierig, gerade auch, weil man ständig unter einem Rechtfertigungsdruck steht. Außenstehende verstehen längst nicht mehr, wie man sich für die katholische Kirche engagieren kann, und inzwischen kommen selbst Menschen, die sich seit Jahren hier engagieren, in Erklärungsnot und finden auf solche Anfragen keine Antworten mehr. Ziel muss es sein, die Glut wieder neu zu entfachen und nicht über die viele Asche zu jammern.

Und was können wir als Christinnen und Christen der Gesellschaft in solch schwierigen Zeiten – Pandemie, Ukraine-Krieg, Klimakrise – mitgeben? 

Eine unserer Stärken ist es, nahe dran zu sein an den Menschen, ihnen beizustehen, wenn man gebraucht wird – diese bewährte Tradition der Hilfsbereitschaft seitens der katholischen Kirche sollten wir beibehalten.

In unserem Pfarrverband haben wir beispielsweise ganz unkompliziert und kurzfristig das alte Kaplanshaus für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung gestellt. Gerade der Krieg in der Ukraine hat wieder gezeigt: die Kirche ist da, wenn Menschen Ansprache und Hilfe brauchen, nicht nur für diejenigen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, sondern auch für die Leute hier in Deutschland, mit ihren Fragen, Ängsten und Zweifeln. Überall gab es Friedensgebete, Andachten und andere Formate – und die wurden auch von vielen besucht, die man sonst nicht im Sonntagsgottesdienst trifft. Das zeigt: was wir als Kirche in diesen Fragen zu sagen haben, das wird gehört.

Gerade nehmen in Bayern die neuen Pfarrgemeinderäte ihre Arbeit auf. Wie wichtig sind die Ehrenamtlichen vor Ort? 

Ohne Ehrenamt gäbe es kein kirchliches Leben vor Ort, wir Hauptamtlichen könnten das alles gar nicht stemmen. Als Hauptamtlicher verstehe ich mich vor allem als Animateur – aber nicht als solcher am Beckenrand in einem Ferienclub am Mittelmeer. Nein, das hat etwas mit anima zu tun. Anima, der Atem, die Seele, der Geist, bis hin zur Begeisterung. Ich will Ehrenamtliche nicht allein lassen, sondern will sie unterstützen in ihrem Tun, will ihnen Handwerkszeug und Material an die Hand geben, zum Beispiel um selbst einen Gottesdienst zu einem Thema gestalten zu können. Wir können nicht einfach sagen, weil es weniger Hauptamtliche gibt, müssen die Ehrenamtlichen das richten. Wenn wir Engagement wollen, dann müssen wir auch das nötige Rüstzeug dazu geben.

Was wollen Sie den neu gewählten Pfarrgemeinderäten mitgeben? 

Ich wünsche ihnen den Mut, aufzutreten und im positiven Sinn zu streiten für die Erneuerung der Kirche, und die Kraft, diese großartige Arbeit an der Basis fortzusetzen. „Wo der Geist des Herren weht, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17) – das war mein Primizspruch. Mich hat dieser Satz in meiner Arbeit als Priester immer getragen und ich wünsche mir das auch für die neuen Pfarrgemeinderäte, dass sie sich getragen fühlen von diesem belebenden Geist Gottes.

Markus Krell, geb. 1963 in Deggendorf, Priester der Diözese Passau, war lange in der Jugendarbeit (KJG) auf Diözesanebene tätig. Nach der Kaplanszeit in Osterhofen war er Pfarrer in Ruderting, Röhrnbach/Kumreut und seit 2017 ist er leitender Pfarrer im Pfarrverband Tiefenbach bei Passau.

Foto: Privat


Verfasst von:

Gemeinde Creativ

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