Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Juli-August 2022

Schwerpunkt

Lehren aus der Krise

Foto: Romolo Tavani / AdobeStock

Ein Werkstattbericht

Der Diözesanrat der Katholiken in der Erzdiözese von München und Freising hat sich auf seiner digitalen Frühjahrsvollversammlung 2021 mit dem Thema: „Das Erzbistum in der Coronakrise – Rückblick und Ausblick“ beschäftigt. Im Studienteil machten sich die Teilnehmenden Gedanken darüber, was sie aus der Krisensituation bisher gelernt haben, was sie in Zukunft sein lassen wollen, welche Krisenherde nun sichtbar geworden sind und was sie für die Zukunft davon nutzbar machen möchten. Dafür braucht es wiederum geeignete Rahmenbedingungen, die sich die Ehrenamtlichen vor Ort seitens der Verwaltung und der Bistumsleitung wünschen.

Da die Ergebnisse des Studienteils noch in einer anderen Phase der Pandemie und auch vor dem Krieg in der Ukraine sowie der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachten erarbeitet wurden, haben sich noch weitere Punkte und teils andere Prioritäten ergeben, die nun in Pfarrgemeinden wichtig sind. An grundlegenden Aspekten und Erwartungen hat sich jedoch nicht viel verändert. Es wurde drängender, was schon lange vor Corona ein Thema war, und nun durch die Krisensituationen an die Oberfläche gespült wurde.

Es geht immer noch um Chancen und Grenzen der Digitalisierung im Erzbistum, um eine lebensrelevante Kirche und Gesellschaft, um die Möglichkeiten zu Seelsorge und diakonischem Dienst trotz Krisenlagen und um die Weltverantwortung einer globalen Kirche.

Die Teilnehmenden haben sich in vier Bereichen Gedanken gemacht, wie eine Kirche mit und nach pandemischen Bedingungen aussehen könnte – im Folgenden ein Einblick in die Ideen und Impulse aus den einzelnen Arbeitsgruppen:


Gemeinschaft

  • Bei manchen digitalen Veranstaltungen ist der Zuspruch größer als in der Präsenzzeit, hier müssen wir schauen, wie wir weiterhin attraktiv bleiben können und welche neuen Interessierten man ansprechen könnte.
  • Nicht nur auf die Institution Kirche und entsprechende Strukturen verlassen. An die Dinge (Glauben, Verkündigung) herangehen. Dinge selbst in die Hand nehmen (Privataccounts zur Verfügung stellen). Proaktiv agieren. Keine Scheu oder Angst vor dem Digitalen haben. Das Positive aus der nicht veränderbaren Situation annehmen und in den Vordergrund stellen, daraus handeln.
  • Adaptiv auf die Zeit eingehen, den Kern bewahren (Pragmatismus: Experimentalismus, pastorale Labore, relationale Logik, Hierarchien abbauen).
  • Wir können und dürfen durchaus das Geleistete herausstellen, nicht den kleineren Anteil an Dingen, die schief gegangen sind. Die Gesellschaft fokussiert gerne auf die Fehler, die passieren, das ist aber keine gute Einstellung! Wir sollen uns voll bewusst sein, dass Fehler gemacht werden dürfen, aber wir sollen aus den Fehlern lernen.
  • (Weiter-)Beschäftigung mit der Frage, was „gemeinsam Kirche sein“ bedeutet!
  • Ökonomisierung des Gesundheitswesens gerät an Grenzen und muss umgewandelt werden, hin zu mehr Gemeinwohl.
  • Regelmäßiger (digitaler) Austausch, um sich über den eigenen Tellerrand hinaus zu vernetzen und Ideen auszutauschen.
  • Weg vom traditionellen Gemeindeleben in der Pfarrei hin zu modernen Formen. Manche Verbände machen bereits vor, wie dies gehen kann.
  • Die vorhandene Infrastruktur der Kirche, auch Räume, besser nutzen, um für die Menschen da zu sein.
  • Die Coronazeit hat gezeigt, was in den vergangenen Jahren auch nicht funktioniert hat. Auch den Mut haben, Dinge bleiben zu lassen.
  • Herausgehen aus dem innerkirchlichen Bereich und Ansprache von anderen Zielgruppen und Themen (z.B. Klima, Landwirtschaft, Biodiversität).
  • Es braucht von der Spitze der Diözese Mut, auch die Bevollmächtigung auszusprechen, dass neue Wege gedacht werden dürfen.

Seelsorge

  • Unser Selbstverständnis klären: Was ist Seelsorge? Wie funktioniert Seelsorge? Wer und was sind Seelsorgerinnen und Seelsorger und welche Rollen haben sie und dürfen sie übernehmen?
  • Seelsorgerinnen und Seelsorger haben ein vielfältiges Angebot möglich gemacht, das die Ehrenamtlichen unterstützt haben, genauso gab es umgekehrte Fälle, dass die Seelsorgerinnen und Seelsorger gebraucht wurden.
  • Arbeiten an der Ausbildung der Priester: Es wird festgestellt, dass viele neu geweihte Priester in einer Art „Parallelwelt“ leben, weit weg von den Menschen, aber auch von den in Kollegialität verbundenen Pastoral- und Gemeindereferenten.
  • Rede- und Gesprächsangebote untereinander fördern, sie sind sehr wichtig für den Informationsfluss.
  • Gerade für kirchenferne/„kirchliche Analphabeten“: Dinge verändern und vereinfachen, dass sie und ihr Eigenwert wieder verstanden werden, alle Menschen sind prinzipiell offen für Seelsorge, Begleitung in Notsituationen.
  • Empowerment und Verantwortung: ohne die Erfahrung von Selbstwirksamkeit werden gerade auch jüngere Generationen nicht mehr teilnehmen wollen

Liturgie

  • Vielfältige Modelle, wie Kirche möglich ist, gibt es schon und müssen weitergedacht werden. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Engagierten vor Ort etwas machen, das gut ankommt, aber von der Bistumsleitung eigentlich nicht erwünscht oder nicht erlaubt wäre. Das gibt einen Bruch in der Gemeinschaft.
  • Kirchenferne mit anderen Formaten und anderer Aufmachung ansprechen.
  • Gottesdienste partizipativer gestalten.
  • Hausgottesdienste sollten weiter gepflegt und gestärkt werden.
  • Der notwendigen Kreativität ausreichend Raum geben.
  • Die innovativen Ideen der Gläubigen aufgreifen und konstruktiv weiterentwickeln.
  • Raus aus der herkömmlichen „Programmkirche“.
  • Kirche hat in der Partnergemeinde des Erzbistums in Ecuador viel gelernt, neue Kooperationen wurden gebildet.
  • Dezentrale Feiern, beispielsweise Erstkommunion und Firmung, kleinere Vorbereitungsgruppen, mehr Termine übers Jahr verteilt, individuell gestaltbar auf die Bedürfnisse der Erstkommunikanten und Firmanwärter.

Digitales

  • Kombination aus vielen Elementen, digital und präsent, ergeben ein rundes Angebot für viele Zielgruppen (das war uns besonders wichtig!).
  • (Vorstands-)Sitzungen und Verbandsversammlungen in Präsenz, zu denen man sich auch zuschalten kann, erweitern die Teilhabemöglichkeiten für viele.
  • „Jüngere“ (z.B. aus den Jugendverbänden) könnten „Ältere“ in digitalen Dingen schulen, das schafft auch intergenerationellen Kontakt.
  • Digitale Teilhabe ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
  • Forderung: Begleitung durch die IT der Diözese.
  • Gemeinden müssten technisch ausgestattet werden: Mobiles WLAN, Ausleihtablets, Mobilisation von Spendern für technisches Equipment.
  • Weiterbildungen: hybride Angebote auch nach der Krise für PGR- und Verbandssitzungen in einer Gemeinde.

Verfasst von:

Hannes Bräutigam

Redaktionsleiter