Ausgabe: Juli-August 2022
SchwerpunktMehr als Schülerinnen und Schüler
Perspektiven auf Jugendarbeit während der Pandemie
Im März 2020 geht Deutschland in den Lockdown. Unternehmen schicken ihre Mitarbeitenden ins Homeoffice, Schulen werden geschlossen, Freizeiteinrichtungen bleiben zu. Auch die kirchliche Jugendarbeit kann nicht mehr in Präsenz stattfinden. Wie haben die Jugendverbände darauf reagiert? Wie hat sich ihre Arbeit dadurch auch langfristig verändert? Und vor allem: Wie war die Situation für die Kinder und Jugendlichen selbst?
„Gott sei Dank war uns damals nicht klar, dass Jugendarbeit in den nächsten beiden Jahren unter den seltsamsten Bedingungen stattfinden muss. Ich glaube, wir wären in eine Schockstarre verfallen, wenn wir die Perspektive schon gehabt hätten.“ – heute kann die Referentin für Grundsatzfragen und Jugendpolitik, Ilona Schuhmacher, lachen, wenn sie an den März 2020 denkt. Damals herrschte im Amt für Jugendarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zuvorderst Unglauben und Überforderung. Nach und nach schwand die Überzeugung, dass sich dieses neue Virus innerhalb weniger Monate wieder erledigt haben würde, und machte der Erkenntnis Platz: Wir müssen jetzt auf Hochtouren daran arbeiten, Jugendarbeit im digitalen Raum stattfinden lassen zu können. Gefehlt habe es schlichtweg an allem: Hardware, Software, den Kompetenzen beides zu bedienen. „Die Jugendlichen hatten damit natürlich am wenigsten Probleme, aber wir Fachkräfte mussten erst mal lernen, wie man ein Zoom-Meeting abhält.“
Vor dieser Herausforderung stand auch die Landesstelle für Katholische Jugendarbeit in Bayern. Die Vorsitzende und geistliche Leiterin, Maria-Theresia Kölbl, freut sich aber, dass die Jugendarbeit dadurch in puncto Digitalisierung einen großen Schritt vorwärts gemacht hat: „Wir haben erkannt: Das Internet ist nicht der Feind, sondern wir müssen schauen, wie wir auch da Ressourcen nutzen und miteinander arbeiten können.“ Um den Kindern und Jugendlichen die Zeit zu Hause so angenehm wie möglich zu machen, haben sich Pfarreien und Landesstelle einiges einfallen lassen und hier auch die Schnittstelle zwischen Analogem und Digitalem genutzt. Zu Ostern haben zum Beispiel einige Pfarreien kleine Pakete verschickt, um mit dem Inhalt vor dem Bildschirm gemeinsam Gottesdienst feiern zu können. Die digitale Vernetzung hat Aktionen wie dezentrale Friedensgebete oder Online-Spieleabende ermöglicht und das Internet wurde auch als Raum entdeckt, in dem Gottesdienst gefeiert werden kann.
Gleichzeitig wurde durch die Verlagerung ins Internet deutlich sichtbar, wie sich die Zusammenarbeit in den einzelnen Gremien bisher gestaltet hat: Wo die Kommunikation und der Zusammenhalt bisher schon etwas brüchig waren, hat Corona manchenorts dafür gesorgt, dass das Engagement stark eingeschlafen ist. Wo die Vernetzung bisher bereits stark war, hat auch die digitale Umsetzung gut funktioniert. Gleichzeitig hat der einfache Zugang zu Onlineveranstaltungen ohne aufwändige Anreise auch für hohe Teilnehmerzahlen gesorgt.
Die Jugend nicht im Blick
Doch trotz vieler guter Ideen waren die Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche während der Pandemie stark begrenzt, sagt Franz Wacker. Der 22-jährige wurde im Mai 2020 zum Landesvorsitzenden des Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) Bayern gewählt und war stark irritiert vom Blick der Politik und Gesellschaft auf die jungen Menschen. Die haben in seiner Wahrnehmung sofort die Initiative ergriffen, haben für ältere Personen eingekauft, damit die sich keinen gesundheitlichen Risiken aussetzen müssen, und haben die geltenden Corona-Bestimmungen zum Teil überpenibel eingehalten. Trotzdem waren sie in der öffentlichen Wahrnehmung rein auf ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler begrenzt. Als solche hatten sie zu funktionieren und das Menschliche, der Ausgleich, die Bedürfnisse standen, so Franz Wacker, dabei überhaupt nicht im Fokus: „Die jungen Menschen an sich waren der Politik völlig egal. Es war nur wichtig, dass der Bildungsstandard hoch bleibt und wir in Tests super abschneiden und dass die Eltern die Kinder nicht an der Backe haben, sondern brav die Wirtschaft am Laufen halten. So wurde das kommuniziert und den jungen Menschen vor Augen geführt.“
Deutliche Worte, die aber auch Maria-Theresia Kölbl und Ilona Schuhmacher so unterschreiben würden. Kirchliche Jugendarbeit ist für sie alle außerschulische Bildungsarbeit, ein Ort, um seinen Glauben und soziales Miteinander zu lernen und sich auszuprobieren. Schuhmacher erzählt von einem für sie sehr bewegenden Gespräch mit einer Jugendlichen, die ihr klar vor Augen geführt hat: Zwei Jahre im Leben einer 16-jährigen haben eine andere Bedeutung als im Leben einer 45-jährigen. So viel Frust, so viele verpasste Momente: kein Abschlussball, keine Party zum 18. Geburtstag, kein Tanzkurs, kein erster Kuss am Lagerfeuer. Um künftig bessere Rahmenbedingungen für Kinder und Jugendliche aushandeln zu können, wünscht sich Ilona Schuhmacher mehr Beteiligungsmöglichkeiten, und zwar nicht nur auf Landesebene, sondern vor allem im kommunalen Bereich. „Ich glaube, es ist wirklich noch Luft nach oben, dass Kommunen, Landkreise oder Regierungsbezirke noch mehr darauf schauen, was die junge Generation braucht, was ihre Themen sind und dies in alle Fragen, die politisch verhandelt werden, miteinbezieht.“ Momentan habe sie zwar den Eindruck, dass die bayerische Staatsregierung verstanden hat, dass sie sich nicht völlig blind für die Bedürfnisse von jungen Menschen zeigen kann, aber der Weg dorthin war sehr steinig. „Wir müssen erkennen, wie vulnerabel junge Menschen sind, wenn man ihnen das Höchste nimmt, das sie haben, nämlich ihre Freiheit und Selbstständigkeit.“
Aktion „Funkenflug“
Um jetzt im wahrsten Sinne des Wortes das Feuer für die Jugendarbeit wieder voll zu entfachen, hat der BDKJ die Aktion „Funkenflug“ ins Leben gerufen. Die Idee ist, dass in ganz Bayern Lagerfeuer gemacht werden sollen, um die man sich versammeln kann. Dazu können sowohl politische als auch kirchliche Entscheidungsträger eingeladen werden, um mit ihnen darüber zu sprechen, warum Jugendarbeit so wichtig ist und warum dafür Geld und Personal vorhanden sein muss. Dazu können alle interessierten Pfarreien kleine Boxen beim BDKJ bestellen, die alles Wichtige für den Abend enthalten, wie zum Beispiel Einladungskarten und einen Leitfaden für die Gespräche mit den Gästen, einen spirituellen Impuls für das gemeinsame Gebet, Kerzen. Maria-Theresia Kölbl hofft, dass die Aktion ein Startpunkt für den „Restart der Jugendarbeit“ sein kann, die für so viele junge Menschen ein tragendes Netz ist – auch und gerade während der Corona-Krise. Sie hofft, dass das Netz nach fast zwei Jahren keine zu großen Risse bekommen hat, denn es konnte während dieser Zeit kein Nachwuchs angeworben werden und sie befürchtet, dass sich diese Lücke nun weitertragen wird.
Auch Franz Wacker hofft, dass jetzt alle wieder aus ihren Rückzugsorten zurückkommen und vor allem niemand auf Grund einer schlechten psychischen Verfassung zurückbleibt. „Wenn jetzt jemand nicht mehr so motiviert ist wie zuvor, muss man auf den oder die eingehen. Wir haben jetzt zwei Jahre lang zurückgezogen gelernt, wie man mit sich selbst zurechtkommt, aber jetzt müssen wir uns wieder gegenzeitig zeigen, wie cool es ist, draußen Sachen zu unternehmen. Ich glaube, die Freude muss man manchen Menschen wieder zeigen und da müssen wir alle zusammenhelfen.“
Collage: Dr. Heiko Tammena
Foto: Evangelische Jugend München.