Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Juli-August 2022

Kommentar

Veränderung wagen

Gesundheitssystem

Foto: Privat

Die Pandemie hat uns in den vergangenen Jahren Begrenzungen in vielerlei Lebensbereichen aufgezeigt. Einschränkungen im Umgang mit den Mitmenschen, Besuchsverbote in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, Unmöglichkeit des Schulbesuchs vor Ort – diese Szenarien waren zeitweise Alltag geworden. Die Auswirkungen werden uns als Gesellschaft sicherlich noch länger beschäftigen. Als ein Schwerpunkt in den Diskussionen kristallisierte sich das Gesundheitssystem in all seinen Facetten heraus. Änderungsbedarfe wurden und werden proklamiert und Vorstellungen über ein mögliches zukünftiges Aussehen im privaten Umfeld und in öffentlichen Diskussionen geäußert.

Wobei: Was ist eigentlich das „Gesundheitssystem“? Ich ertappe mich häufig dabei, dass ich vor allem an Krankheit und die Folgen von Krankheit denke, wenn ich den Begriff Gesundheitssystem verwende. Folglich müsste ich doch dann von „Krankheitssystem“ sprechen ... – oder ich stelle tatsächlich „Gesundheit“ in den Mittelpunkt!

Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Gesundheit ein nicht-statischer Zustand umfassenden körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens, und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen. Als Christin bin ich dankbar, dass in den vergangenen Jahren das spirituelle Wohlbefinden zunehmend mit berücksichtigt und benannt wird. Bestmögliche Gesundheit wird dabei als Grundrecht eines jeden Menschen gesehen, ohne Unterschied der Religion, politischen Überzeugung oder wirtschaftlichen und sozialen Stellung.

Ich wage es und denke das Gesundheitssystem neu, mit dem Gesundheitsbegriff im Zentrum. Natürlich müssen auch weiterhin akute und chronische Krankheiten diagnostiziert und therapiert werden! Aber müssen wir als Gesellschaft nicht lernen, bestmöglich gesund im Sinne des WHO-Verständnisses zu leben, selbst wenn beispielsweise chronische Erkrankungen oder gesundheitliche Einschränkungen bestehen?

In diesem Gesundheitssystem sollte der betroffene Mensch im Mittelpunkt stehen, nicht das System. Das sektorale Denken und ein dahin ausgerichtetes Vergütungssystem müssten hierfür überwunden werden, die Überlegungen bei Entscheidungsträgern sich ändern. Nicht mehr: „Für die Gesundheitsleistung XY veranschlagen wir in einer Klinik 100 Euro, in einer Praxis 75 Euro und in einem noch zu schaffenden regionalen Gesundheitszentrum 50 Euro.“ Sondern: „Welche Gesundheitsleistung benötigen Herr Müller oder Frau Meier, die in A oder B wohnen. Wir überlegen das gemeinsam.“ Die Sozialprinzipien der katholischen Soziallehre könnten hier gut als Richtschnur fungieren. Konsequenterweise würde in dem Fall eine Gemeinwohlorientierung anstatt einer Gewinnorientierung leitend für das Gesundheitssystem sein.

Die Herausforderungen sind groß. Als Christinnen und Christen können und sollten wir zuversichtlich Veränderungen wagen und Anstöße hierzu geben, ganz nach dem Motto von Viola von Riederer (U 1996), einer der Gründerinnen des Katholischen Pflegeverbandes: „Gott hilft Dir, aber rudern musst Du selbst!“


Verfasst von:

Elisabeth Linseisen

Vorsitzende des Katholischen Pflegeverbands in Bayern