Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2022

Schwerpunkt

Bauer, Dame, König

Foto: Ronstik / Adobe stock

Was Schwester Emmanuela über Macht und die Kunst des Leitens denkt

Nach zwölf Jahren in einer Führungsposition ist man sehr sicher im Umgang mit allem, was diese Position verlangt. Man hat viel gelernt. Viel erfahren. Hat Fehler gemacht. Und daraus Schlussfolgerungen gezogen. Warum sollte man nun freiwillig abtreten? Schwester Emmanuela Kohlhaas lacht. Warum sollte man klebenbleiben?, fragt sie zurück. Nach zwölf Jahren als Priorin der Benediktinerinnengemeinschaft Köln entschied sie sich, bei der turnusmäßig anstehenden Wahl im Juli 2022 nicht mehr anzutreten.

Landauf, landab wird dieser Tage über Macht in der Kirche diskutiert. Ein Turnaround scheint zwingend notwendig. Neu muss über „Macht“ nachgedacht werden. Über Hierarchie. Und über Führung. Dabei könnte ein aktuelles Buch von Schwester Emmanuela Kohlhaas wichtige Impulse geben. Die neue Kunst des Leitens heißt es. In dieses Buch flossen nicht nur Erfahrungen der studierten Musikwissenschaftlerin aus den vergangenen zwölf Jahren ein. Sondern, zumindest indirekt, auch das, was die Katholikin als Kind und Jugendliche erlebt hat. „Ich komme aus der liberalen Jugendarbeit“, erzählt die 61-Jährige. Aber auch in ihrer eigenen Familie sei es wenig autoritär zugegangen.

Schwester Emmanuela ist eine unabhängige Denkerin. Und das macht ihr Buch hochattraktiv. Die Benediktinerinnengemeinschaft wäre nach ihrer Ansicht eine gute Blaupause für die Umorganisation der katholischen Kirche. „Wir haben unsere Leitung zum Beispiel schon immer gewählt“, sagt sie. Der katholischen Kirche täte es gut, würden Bischöfe künftig ebenfalls gewählt. Sehr kritisch sieht die Ordensfrau das Gehorsamsverständnis in der katholischen Kirche. Dass ein Priester mit einem „Vasallengestus“ Gehorsam in die Hand des Bischofs verspricht, gemahne an die Zeit des Feudalismus. „Manchmal muss ich auch an König Arthus und seine Ritter denken“, schmunzelt sie.

Legt eine Nonne bei den Benediktinerinnen ihr Gelübde ab, rückt die Priorin ausdrücklich nicht in den Vordergrund, zeigt Schwester Emmanuela auf: „Sie geht dann vielmehr zur Seite.“ Das Gehorsamsversprechen bei den Benediktinerinnen sei als eine Art „Achtsamkeitsversprechen“ aufzufassen: „Gehorsam hat bei uns nichts mit Dominanz zu tun.“ Dies drücke sich auch dadurch aus, dass bei wichtigen Entscheidungen immer alle gefragt würden. In den Konstitutionen sei genau festgelegt, was mit absoluter Mehrheit, mit Zweidrittelmehrheit, was offen und was geheim abgestimmt werden muss.

Wegweisende Gedanken

Schwester Emmanuelas Buch könnte im aktuellen Umbruchsprozess wegweisend sein für die katholische Kirche. Zu Recht, schreibt die Nonne in dem Band, werde in der Kirche immer wieder eine Gewaltenteilung angemahnt. „Viel zu sehr ist alle Macht und Gewalt in einer Hand (Papst, Bischof) beziehungsweise in den Händen einiger weniger Protagonisten“, führt sie im Kapitel „Leitung als Moderation – Gewaltenteilung und Beteiligung“ aus. Ein solches „absolutistisches Modell“ berge immer die Gefahr des Machtmissbrauchs in sich. Im Kloster hingegen gebe es ein Modell der Gewaltenteilung, das bis in das 6. Jahrhundert zurückreicht.

Emmanuela Kohlhaas; Foto: Benediktinerinner Köln

Voraussetzung dafür, dass in einer Gemeinschaft alle mitreden können, ist natürlich, dass alle freien Zugang zu allen relevanten Informationen haben. Darauf hat Schwester Emmanuela in ihrer Zeit als Priorin immer geachtet. Aber noch etwas ist wichtig, wenn man ein solches Macht reduzierendes Modell lebt, sagt sie: „Es braucht Mut und Disziplin.“ Und zwar deshalb, weil man als diejenige, die an der Spitze steht, leicht von den anderen überstimmt werden kann. Das ist in den vergangenen zwölf Jahren auch immer wieder passiert. Aber wer sagt denn auch, dass die Lösung, die eine Priorin favorisiert, unter Berücksichtigung aller Aspekte wirklich die beste Lösung für alle ist?

Mächtige sprechen oft anderen, die unter ihnen stehen, das Recht ab, mitzuentscheiden. Sie wollen möglichst autonom schalten und walten. Schwester Emmanuela hat sich viele Gedanken darüber gemacht, warum Menschen mit Macht so handeln. „Das hat etwas mit deren Identität zu tun“, sagt sie. Nicht wenige Machtmenschen bedürften der Macht, um ihre eigene Person aufzuwerten: „Was ich für eine Katastrophe halte.“ Je unsicherer eine Persönlichkeit sei, desto größer sei der innere Druck, an die Macht zu kommen und die Machtrolle festzuhalten. Dieses Phänomen trifft man laut der Benediktinerin keineswegs nur in der Kirche an. Sondern auch in der Wirtschaft. Und der Politik.

Die Gemeinschaft wächst

Ganz beachtlich ist im Übrigen in einer Zeit, in der viele Gläubige abspringen, in der sie der Kirche den Rücken kehren oder sich zumindest aus Ämtern zurückziehen, dass die Gemeinschaft der Benediktinerrinnen unter Schwester Emmanuelas Leitung wuchs. „Wir konnten 25 neue Mitglieder aufnehmen“, berichtet die ehemalige Priorin: „Unser Haus ist voll.“ Beruhigt kann sie dieses Haus nun in andere Hände abgeben. Voll Neugierde darauf, was der nächste Lebensabschnitt bringen wird. „Ich bin ein Mensch, der ab und an gern Veränderungen hat“, sagt die Nonne, die sich aktuell zusammen mit sechs Mitschwestern um ein neues Filialkloster in Düsseldorf kümmert.

Lange Zeit wurde der Missbrauch von Macht in der katholischen Kirche als Bagatelle behandelt. Das ist laut Schwester Emmanuela inzwischen nicht mehr so. Zum Glück. Ist doch „Macht“, wie sie betont, der „systemische Aspekt der ganzen Katastrophen“ in der katholischen Kirche. „Man merkt, dass die Bischöfe beginnen, das Problem zu sehen und es vor allen Dingen zu benennen“, sagt sie. Endlich komme etwas in Bewegung, wenn auch unter massivem Druck von außen: „Für Menschen, die stark unter den kirchlichen Machtstrukturen leiden, geht alles natürlich viel zu langsam.“

Schwester Emmanuelas im Buch präsentierte Analysen und Einsichten sind fundiert dargelegt und das erstaunt mit Blick auf ihren „bunten“ Bildungsgang auch nicht weiter. Vor wenigen Jahren absolvierte die Ordensfrau den Masterstudiengang „Beratung in der Arbeitswelt. Coaching, Supervision, Organisationsberatung“ an der FH Frankfurt, was ihr, wie sie selbst sagt, sehr viel gebracht hat. Integraler Bestandteil des Curriculums sind zum Beispiel systemische Organisationsberatung, Konflikttheorie und Konfliktkompetenz, Gruppendynamik, Verhandlungsmethoden und Beratungsethik.

Die Benediktinerin Emmanuela Kohlhaas ist ein mutiger, neugieriger und äußerst kreativer Mensch. Jemand, der mit sehr wachen Augen in die Welt schaut. Und zwar sehr weit über den eigenen Tellerrand hinaus. Ihre Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Macht“ lässt die Benediktinerin auch äußerst kritisch auf die aktuellen politischen Zustände blicken. Im Augenblick lassen es die Mächtigen zu, dass es zu immer neuen Krisen kommt. Und dass, während Milliarden für Militär ausgegeben werden, immer mehr Menschen ins gesellschaftliche Abseits rutschen. Das ist sehr gefährlich, findet die Ordensfrau: „Es könnte zu sozialen Unruhen führen.“

Kohlhaas, Emmanuela (2022), Die neue Kunst des Leitens. Wie Menschen sich entfalten können. Top-Down war gestern. Gebunden mit Schutzumschlag, 208 Seiten. Herder Verlag, 20 Euro. Auch als eBook erhältlich.


Verfasst von:

Pat Christ

Freie Autorin