Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2022

Schwerpunkt

Weibliche Führung

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Phöbe - eine starke Frau für Paulus und die ganze Kirche

Wer die Bibel nur aus dem Sonntagsgottesdienst kennt, wird nie von ihr erfahren: von Phöbe, einer Führungskraft im jungen Christentum. Keine einzige Lesung sieht vor, dass der Schluss des Römerbriefes verkündet wird. Für den Apostel Paulus ist er aber sehr wichtig: Die römische Gemeinde ist ihm persönlich unbekannt. Er braucht aber ihre Unterstützung, weil er via Rom sein Missionsgebiet in den Westen des römischen Reiches, nach Spanien, verlagern will. Deshalb stellt er sich nicht nur mit seiner formidablen Theologie vor; er pflegt auch seine menschlichen Kontakte. Dieser Beziehungsarbeit dienen die zahlreichen persönlichen Grüße, die er an Bekannte ausrichtet (Röm 16). Sie sind seine potentiellen Verbündeten in der Hauptstadtgemeinde.

Schon diese lange Liste ist brisant. Denn unter denen, die Paulus grüßt, ist Junia (Röm 16,7). Bis vor kurzem soll sie ein Mann gewesen sein: Junias. Aber die Revision der Einheitsübersetzung ist zur Alten Kirche zurückgekehrt und hat die starke Frauenrolle wieder sichtbar gemacht. Zusammen mit Andronikus, wahrscheinlich ihrem Mann, wird Junia „Apostel“ genannt, im generischen Maskulinum, das damals (und bis vor ein paar Jahren) üblich war. Sie ist eine Jüdin; sie ist schon vor Paulus zum Christusglauben gekommen; sie ist zusammen mit ihm um ihres Glaubens willen verfolgt und inhaftiert worden; sie ist „berühmt“ unter den Aposteln. Auch wenn der Apostelbegriff bei Paulus unterschiedliche Bedeutungen annehmen kann: Hier ist er stark konturiert. Dass eine Frau den apostolischen Dienst versieht, hat Paulus nicht irritiert, sondern respektiert.

Vorher bereits hat Paulus Priska und Aquila gegrüßt: ein Ehepaar, mit dem er gut befreundet war. Er hat es in Korinth und Ephesus getroffen. Sie üben dasselbe Handwerk aus wie er: Zelt- oder Segeltuchmacherei. Deshalb ist Paulus bei ihnen untergekommen. Sie sind ein missionarisch hoch aktives Ehepaar; sie sind nicht von Paulus abhängig, erkennen ihn aber voll und ganz an und arbeiten auch für die Kirche Hand in Hand mit ihm (Röm 16,3-5). Sie haben für Paulus ihr Leben aufs Spiel gesetzt, weil er verfolgt, aber von ihnen gerettet wurde. Sie leiten in Rom gemeinsam eine der Hausgemeinden, die Keimzellen der frühesten Kirche, in der Stadt Rom. Paulus selbst hat zölibatär gelebt; aber dass für ihn die Ehe ein Charisma ist, eine Berufung (1 Kor 7,7), mit ganz eigenen Chancen, das Evangelium zu leben und zu verbreiten, hat er klar zum Ausdruck gebracht, allen späteren Abwertungen zum Trotz.

Die Überbringerin des Briefes

Die Grußliste beginnt mit dem Hinweis auf Phöbe (Röm 16,1-2). Paulus empfiehlt sie der römischen Gemeinde. Sie soll gut aufgenommen und in jeder Hinsicht unterstützt werden. Sie wird es sein, die den Brief persönlich überbracht hat. Paulus hat ihn in Korinth geschrieben. Phöbe wohnt in Kenchreä, einer der beiden Hafenvorstädte Korinths. Ob es eine Geschäftsreise gewesen ist, die sie ohnedies nach Rom geführt hätte, so dass sie auch gleich den Brief hat mitnehmen können, oder ob sie extra zur Überbringung nach Rom gesandt wurde und dabei womöglich auch Geschäftliches erledigen konnte: So oder so ist es eine starke Frauenrolle, die Paulus zeichnet. In der römischen Antike war sie zwar ungewöhnlich, aber möglich. Das frühe Christentum hat Frauen nicht kleingemacht, sondern in ihrer eigenen Bedeutung gewürdigt: als Mensch, als Schwestern Jesu. Schließlich ist der Ritus der Zugehörigkeit nicht die Beschneidung, die zwischen Männern und Frauen unterscheiden, sondern die Taufe, die ein und dieselbe ist, für Männer und Frauen (Gal 3,26-28).

Phöbe ist mehr als nur Postbotin. Sie wird den Römerbrief als Abgesandte auch erläutert haben. Paulus entschuldigt sich, ein wenig „kühn“ geschrieben zu haben (Röm 15,15).  Beim ersten und beim zweiten Lesen werden viele Fragen geblieben sein. Paulus hat Phöbe zugetraut, sie zu beantworten – wahrscheinlich, weil er in engem Austausch mit ihr gewesen ist.

 

„Das frühe Christentum hat Frauen nicht kleingemacht, sondern in ihrer eigenen Bedeutung gewürdigt: als Mensch.“

Das geht schließlich aus den näheren Angaben zu ihrer Person hervor. In der Einheitsübersetzung ist es allerdings kaum zu erkennen. Denn dort steht nur, sie sei „Dienerin der Gemeinde von Kenchreä“ (Röm 16,1). Man kann spekulieren, ob Menschen heute beim Lesen eher an eine Haushälterin oder an eine Küsterin denken. Im Griechischen steht aber „diakonos“. Die Übersetzung „Dienerin“ ist nicht falsch. Aber wenn im Neuen Testament ein Mann gemeint ist, steht „Diakon“ (1 Tim 3,8-13). Genau diese Aufgabe hat Phöbe in der Hafenvorstadt übernommen, dort, wo es besonders munter zuging, wie heute in St. Pauli. Gewiss ist in der frühen Zeit noch keine feste Amtsbezeichnung anzunehmen wie heute. Dennoch überzeugt die Abwertung nicht. Die Lutherbibel macht es keinesfalls besser: im Dienst. Die Zürcher Bibel schreibt hingegen: „Diakonin“. Paulus verwendet die männliche Form, weil er in der Sprache seiner Zeit einen festen Dienst vor Augen hatte.

Die Fortsetzung spricht für diese Wertung. Denn Paulus rühmt ihr starkes und kompetentes Engagement (Röm 16,2). Es hat sich offenbar vor allem in der Diakonie und Caritas erwiesen, in der Gastfreundschaft, in finanzieller und moralischer Unterstützung, in der Finanzierung von Reisen, in Spenden für Arme, im Fundraising bei Reichen. Paulus nennt sie „Beistand“. Das griechische Wort kann auch den Vorstand meinen, zeigt hier aber keine schwache Frau, die der Hilfe bedarf, sondern eine starke, die Hilfe leistet. Auch Paulus hat sie gerne in Anspruch genommen; aber weiß, dass Phöbe nicht nur ihn tatkräftig unterstützt hat, sondern viele. So verdient sie volle Unterstützung in Rom.

Leitung als diakonischer Akt

Für die aktuelle Debatte über Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche, aber auch für kirchliche Führung überhaupt und speziell den Diakonat sind die beiden Sätze des Apostels wegweisend. Erstens erweist sich der Diakonat nicht als eine niedere Weihe oder als Durchgangsstation zum Priestertum, sondern als eigenständiger Dienst. Er hat, wie bei Phöbe, einen starken caritativen Zug, aber keineswegs nur, wie das Überbringen und wahrscheinlich auch die Erläuterung des Briefes erweist, der in der Gemeindeversammlung, im Gottesdienst, verkündet wurde. Zweitens hat es von Anfang an Frauen im Diakonat gegeben; es ist ein großer Verlust, dass im Lauf der Zeit dieses Charisma verlorengegangen ist. Es wird Zeit, es neu zu entdecken. Drittens gehört Diakonie zur Leitung der Kirche; die Leitung selbst ist ein diakonischer Akt. Er soll anderen helfen, ihre Begabung zu entdecken und einzubringen.

Phöbe seht nicht allein. Der Römerbrief hat Schule gemacht. Die Diakonin aus Kenchreä bei Korinth muss ihn gut überbracht, sie muss ihn wohl, soweit es an ihr gelegen hat, auch gut erklärt haben. Der Text ist gelesen, gedeutet und gesammelt worden. Heute steht er an der Spitze der Paulusbriefe, als Wegweiser für die Lektüre und Auslegung aller Schreiben. So steht auch Phöbe dort, wo die Kirche Zukunft gewinnt. Paulus konnte auch anders. Aber mit Phöbe plädiert er für weibliche Führung in der Kirche.

 


Titelbild: Ausgrabungen im antiken Korinth – von hier aus brach Phöbe zu ihrer Reise nach Rom auf und überbrachte den berühmten Brief des Paulus an die dortige Gemeinde.


Verfasst von:

Thomas Söding

Professor für Neues Testament der Ruhr-Universität Bochum