Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2022

Ökumene

Erfahrungen und Perspektiven

Foto: Albin Hilbert und Paul Jeffrey / WCC

Vollversammlung des ÖRK in Deutschland

Erstmals hat eine Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Deutschland stattgefunden. Vom 31. August bis 8. September trafen sich etwa 4.000 Teilnehmende aus allen Kontinenten in Karlsruhe. Aufgrund der Corona-Pandemie blieb lange unklar, ob und wenn ja in welcher Größenordnung ein weltweites Treffen von Delegierten aus den 352 Mitgliedskirchen des ÖRK überhaupt stattfinden kann.

Zehn Tage lang haben Menschen aus der ganzen Welt in Karlsruhe gemeinsam gegessen, gebetet, getanzt, gelacht, diskutiert, argumentiert und vor allem Entscheidungen getroffen. Letzteres geschieht beim ÖRK im Konsensprinzip, das heißt, es können nur Texte verabschiedet werden, die eine konsensuale Zustimmung erfahren. Mithilfe verschiedenfarbiger Karten konnte während der Diskussion von den etwa 800 Delegierten der Mitgliedskirchen eine zustimmende oder ablehnende Haltung ausgedrückt werden. Dies vereinfachte bei der Beschlussfassung den Überblick über die Stimmungslage. Delegierte, die Ablehnung signalisierten, wurden gefragt, ob sie noch einen mündlichen Beitrag leisten wollen, um ihre Position auszudrücken, oder ob sie ihre Bedenken zur Seite stellen könnten. So wurde niemand übergangen und sichergestellt, dass am Ende ein breiter Konsens steht. Diese Erfahrung stellt die Frage, ob ähnliche Verfahren auch für die Ökumene in Deutschland sinnvoll sind. Etwaige Minderheitenmeinungen werden von vornherein berücksichtigt, es kann ein geschlossenes Bild des Christentums vermittelt werden.

Erfahrungen

Prägend waren insbesondere die persönlichen Begegnungen. Ob bei der Essenausgabe, in den Kleingruppen, bei den Wochenendexkursionen oder zufällig nebenbei auf dem Gelände: in dieser multinationalen und multikulturellen Vielfalt zusammenzukommen und die einzigartige Gelegenheit zu haben, mit Menschen aus allen Erdteilen in Kontakt zu treten, war horizonterweiternd und hat die Liebe Christi konkret erlebbar werden lassen. In Karlsruhe kam es zu vielen Begegnungen zwischen den internationalen Gästen und den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt. Neben dem umfangreichen Begegnungsprogramm in Karlsruhe wurden zahlreiche Konzerte und Veranstaltungen auf einer Bühne am Marktplatz und in den Kirchen geboten. Da auch das Kongresszentrum mitten in der Stadt liegt, waren die Wege kurz und die Teilnehmenden waren durch ihre vielfarbigen Ausweise leicht im Stadtbild erkennbar.

Zu den besonders beeindruckenden Erfahrungen gehörten die Morgen- und Abendgebete sowie der Eröffnungs- und Abschlussgottesdienst, die als spirituelle Kraftorte die geistliche Ökumene in ganz besonderer Art und Weise gestärkt haben. Die Morgengebete waren ökumenisch gestaltet, die Abendgebete lagen in der Verantwortung einer jeweils anderen Konfession. So konnte ein Kennenlernen über die Gottesdienstformen gewährleistet werden. In den Gottesdiensten war Raum für Klage über alles Gescheiterte oder offen Gebliebene. Die Texte und Lieder sind in einem Gottesdienstheft „Oasis of Peace“ publiziert, das auch auf der Website des ÖRK heruntergeladen werden kann.  

Die ukrainische Delegation beim ÖRK im Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Foto: Albin Hilbert und Paul Jeffrey / WCC

Zwei Konfliktthemen hatten sich im Vorfeld herauskristallisiert: Die Diskussion um das Themengebiet Palästina/Israel und die Frage, wie sich der ÖRK im Ukraine-Konflikt positionieren würde. Zu ersterem ist es zu einer leidenschaftlichen Debatte gekommen, die sich auf die Verwendung des Begriffs „Apartheid“ für die Politik des Staates Israel in den besetzten Gebieten konzentrierte. Im Abschlussdokument wurde festgehalten, dass diesbezüglich kein Konsens unter den Mitgliedskirchen des ÖRK besteht. Dass Menschenrechtsorganisationen dafür den Begriff „Apartheid“ nutzen, wurde zwar als Zitat in den Text aufgenommen, doch machte sich der ÖRK diesen Sprachgebrauch nicht zu eigen. Dieser Kompromiss zeigt, wie unterschiedlich die Meinungen zu diesem Themenfeld weiterhin sind und welche Rolle das Gastgeberland Deutschland mit seiner Geschichte gespielt hat. Der Ukraine-Krieg war während der Vollversammlung sehr präsent, ob in den kleinen Arbeitsgruppen, im großen Plenum zum Thema „Europa“ oder in der Rede des Bundespräsidenten. Leider wurde die Vollversammlung nicht zu einer Plattform des öffentlichen Dialogs zwischen russisch-orthodoxen und ukrainischen Vertretern, doch kam es zu vielen Gesprächen mit beiden Delegationen. Der zu diesem Thema verabschiedete Text ist Ausdruck des Ringens um diesen Dialog und eine Absage an einen Ausschluss einer der größten Mitgliedskirche des ÖRK.

Ein Blick ins Thematische Plenum. Foto: Albin Hilbert und Paul Jeffrey / WCC

Die Erklärung zur Einheit, die jede Vollversammlung verabschiedet und die Rechenschaft über den bisherigen Stand der Einheitsbemühungen gibt, mag auf den ersten Blick nichts Neues beinhalten. Schaut man aber genauer hin, kann man durchaus einen Perspektivwechsel in der Ökumene erkennen. Ausgehend vom Motto der Vollversammlung „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ rückt der Text die „Liebe“ ganz in den Fokus und versteht sie neutestamentlich-einheitlich und umfassend. In dieser Ökumene des Vertrauens ist es möglich, sich nicht nur auf Augen- sondern auch auf Herzenshöhe zu begegnen. Im Wissen, dass der andere ebenfalls Glied am Leib Christi ist, kann eine Ökumene des Vertrauens wachsen, die etwas von der geschenkten Liebe Christi weitergibt. Auch wenn die Ökumene in Deutschland in einer Selbstverständlichkeit existiert, stellt sich die Frage, ob wir den ökumenischen Partnern wirklich in einer tiefen Art und Wiese vertrauen oder ihnen doch gelegentlich misstrauen und so die Liebe Christi verdunkeln. Neben diesen fundamentalen Texten sollte auch im gemeindlichen Kontext die „Botschaft der Vollversammlung“, ein knapper und präziser Text, zur Kenntnis genommen und diskutiert werden.

Persepektiven

„Eat – pray – love“ so heißt die Verfilmung eines autobiografischen Bestsellers. In diesem Dreischritt könnte auch die Nachhaltigkeit der Vollversammlung für die Ökumene in Deutschland beschrieben werden.

Eat“: einander begegnen, miteinander Nahrung und Erfahrungen teilen und die Perspektiven des jeweils anderen ergründen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Ökumene, die Vorurteile und vorgefertigte Meinungen abbaut und Vertrauen aufbaut.

Pray“: gerade in der Vollversammlung zeigte sich nochmals in bedeutsamer Weise die Kraft des gemeinsamen Gebetes. Es ließ viele andere Konfliktherde und persönliche Animositäten in einem anderen Licht erscheinen und die Vollversammlung zu der Einheit werden, zu der sie berufen ist.

Love“: als elementarer Bestandteil des Mottos stand die Liebe im Zentrum des theologischen Ringens. Zeugnis von der Liebe Christi zu geben war eine der Herausforderungen und Aufgaben der Vollversammlung. Nun liegt es an den Christinnen und Christen in Deutschland, diese Liebe aufzunehmen und im Geist der Vollversammlung weiterzutragen – in die eigene Kirche, in die Ökumene und in die weltweite Verbundenheit der Christen. Welche Auswirkungen die Vollversammlung in Deutschland haben wird, hängt nun ganz entscheidend von jedem und jeder Einzelnen ab.

Die Texte und Lieder zur Vollversammlung in Karlsruhe sind in einem Gottesdienstheft „Oasis of Peace“ publiziert, das auch auf der Website des ÖRK heruntergeladen werden kann. 


Titelfoto: Gute Stimmung beim Abschlussgottesdienst.


Verfasst von:

Verena Hammes und Pfarrer Marc Witzenbacher

Geschäftsführerin der ACK Deutschland bzw. Leiter des Koordinierungsbüros für die ÖRK-Vollversammlung