Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2022

Schwerpunkt

Fingerübungen zur Stressbewältigung

Foto: Julia Steinbrecht / KNA

Bei den Gastgeschenken hatte das Tagungsbüro des Synodalen Wegs den Nerv getroffen: Neben den üblichen Büromaterialien mit Logo gab es in Frankfurt auch Anti-Stressbälle in verschiedenen Farben. Die kleinen Schaumstoffkugeln mit dem Logo des Synodalen Wegs waren für die vierte Synodalversammlung so praktisch wie symbolisch: Dass das vorletzte Treffen des Reformprozesses ein Stresstest werden würde, war lange klar.

Zur übervollen Tagesordnung mit weitreichenden Beschlusstexten kam schon früh eine deutliche, wenn auch im Detail kryptische Ansage aus Rom. Ende Juli hatte das vatikanische Staatssekretariat ein zunächst anonymes knappes Schreiben veröffentlicht, das den Synodalen einschärfen sollte, dass ihre Veranstaltung weder Bischöfe noch Gläubige auf neue Lehren verpflichten dürfe.

Auch wenn das die Synodalversammlung ihrer Satzung nach ohnehin nicht kann – was in Deutschland umgesetzt werden kann, braucht die Zustimmung des jeweiligen Diözesanbischofs, was weltkirchliche Materie ist, soll als Votum nach Rom gehen: Einen gewissen Eindruck dürfte bei den Bischöfen vor allem der Passus gemacht haben, dass auch keine neuen amtlichen Strukturen im Alleingang eingeführt werden dürften. Auf der Tagesordnung stand schließlich auch die Einführung eines Synodalen Rats als ständiges Beteiligungsgremium auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz.

Tiefschlag zu Beginn

Der Synodale Rat hat seine Mehrheit auf der Synodalversammlung gefunden. Dass es überhaupt zu Beschlüssen kommen sollte, war dagegen gleich am ersten Abend fraglich. Nachdem der Grundtext zur Sexualethik in der ersten Lesung bei der vorigen Synodalversammlung mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit verabschiedet worden war, wurde die nötige Mehrheit bei den Bischöfen nun verfehlt. Anders als in der ersten Lesung werden in der zweiten und entscheidenden Lesung die Stimmen von Bischöfen und sonstigen Synodalen getrennt erhoben, die notwendigen Mehrheiten müssen in der Gesamtversammlung wie unter den Bischöfen erreicht werden. Knapp 85 Prozent der Synodalen insgesamt stimmten dem Grundtext „Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik“ zu, aber nur gut 61 Prozent der Bischöfe. In der Logik der Satzung des Synodalen Wegs heißt das: Ablehnung.

Foto: Julia Steinbrecht / KNA

Damit war die Synodalversammlung im Krisenmodus. Zunächst war nicht klar, ob es überhaupt weitergehen würde. In der Frankfurter Messehalle spielten sich dramatische Szenen ab: Weinende Delegierte, Trauer, Entsetzen. Wer unter den Bischöfen mit seiner Nein-Stimme für die Abstimmungsniederlage verantwortlich war, lässt sich nur noch aus Äußerungen rekonstruieren. Namentlich abgestimmt wurde nicht, die Abstimmung über digitale Stimmgeräte ist im Gegensatz zur Abstimmung per Handzeichen anonym. Aus Äußerungen von Bischöfen nach der Versammlung deutete sich an, dass vor allem das dem Papier zugrunde liegende Menschenbild auf Ablehnung stieß. Während eine zumindest pastorale Neubewertung von Homosexualität mittlerweile auch bei konservativeren Vertretern denkbar erscheint, ist die Öffnung für Geschlechtervielfalt eine Grenze, die nicht überschritten wird. So konstatierte etwa der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke nach der Synodalversammlung einen Bruch mit der Lehre: „Da ist irgendwo auch ein gewisser Abschied erfolgt, etwa in den Passagen zur Geschlechter-Binarität“, sagte er gegenüber seiner Kirchenzeitung.

Die Synodalversammlung hat sich dennoch wieder zusammengerauft. Alle weiteren Texte in zweiter Lesung haben die nötigen Mehrheiten erreicht – allerdings erst nach einiger Beratungszeit. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, bestellte seine Amtsbrüder jeweils zu Beratungen vor den Abstimmungen ein. „Das war kein Verfahrenstrick, sondern da wurde nachgeholt, was wir leider in der Bischofskonferenz in den zurückliegenden Monaten und Jahren versäumt haben“, ordnete Hanke den Vorgang ein. Die Bischofskonferenz habe es zuvor versäumt, sich des eigenen gemeinsamen und je eigenen Standpunkts zu versichern.

Namentliche Abstimmung

Massiv kritisierten Delegierte, dass sich die Bischöfe zuvor zu wenig an den Beratungen beteiligt hätten – auch das wurde nach der ersten Niederlage besser. Ein Übriges tat dabei auch eine Änderung im Abstimmungsmodus: Bei den Abstimmungen wurde jeweils eine namentliche Stimmabgabe beantragt. Die veröffentlichten Stimmprotokolle legen damit genau Rechenschaft ab, welcher Bischof wo steht.

Im Verhältnis zur Bischofskonferenz insgesamt zeigt sich dabei bei den bayerischen Bischöfen ein deutlich abweichendes Stimmverhalten: Alle vier Anträge in zweiter Lesung haben unter den bayerischen Bischöfen deutlich weniger Zustimmung erhalten als unter den Bischöfen insgesamt. Am deutlichsten fiel dabei der Grundtext „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ aus. Ohnehin wurde dieser Text erst dadurch mehrheitsfähig, dass die Zulassung von Frauen in Weiheämtern noch deutlicher als in der Ursprungsfassung als bloße Bitte um Erwägung und Prüfung durch den Papst gekennzeichnet wurde. Knapp 82 Prozent der Bischöfe konnten dem folgen, von den bayerischen nur genau die Hälfte.

Auch der Wunsch nach einer lehramtlichen Neubewertung von Homosexualität fiel im bayerischen Episkopat durch: Knapp 56 Prozent waren dafür, gegenüber bundesweit gut 83 Prozent der Bischöfe. Der Plan eines Synodalen Rats erreichte exakt die Zweidrittelmehrheit in Bayern im Vergleich zu den knapp 88 Prozent aller Bischöfe. Am leichtesten taten sich alle Bischöfe mit der Reform der Grundordnung des kirchlichen Dienstes – bei der Absenkung der Anforderungen an die persönliche Lebensführung von kirchlichen Beschäftigten hatte sich die Bischofskonferenz aber ohnehin schon zuvor geeinigt. Während gut 93 Prozent aller Bischöfe dafür waren, stimmten immerhin gut 71 Prozent der bayerischen Bischöfe dafür. Das Abstimmungsprozedere sieht vor, dass für das nötige Quorum nur Ja- und Nein-Stimmen gezählt werden, während nicht abgegebenen Stimmen und Enthaltungen nicht in die Berechnung einfließen – nach dem in vielen Geschäftsordnungen üblichen Vorgehen, Enthaltungen mitzuzählen, hätte keiner der Anträge auch nur die absolute Mehrheit unter den bayerischen Bischöfen erreicht. „Wir sind nicht auseinandergegangen, wir sind beisammengeblieben: ein Hoffnungszeichen“, kommentierte der Augsburger Bischof Bertram Meier hinterher die Versammlung, der nur dem Frauen-Grundtext zugestimmt hatte.

Die Kontroversen in der Bischofskonferenz werden bleiben, zeigte sich der Passauer Bischof Stefan Oster überzeugt. „Meine Hoffnungen wären, dass wir die Einheit bewahren – auch wenn es so aussieht, dass die Differenzen in der Bischofskonferenz und unter den Gläubigen eher profilierter werden und das Gemeinsame immer weniger aufscheint“, sagte er seiner Bistumszeitung. Im März findet die fünfte und letzte Synodalversammlung statt. Was dort nicht in zweiter Lesung verabschiedet wird, fällt zumindest beim Synodalen Weg hintenüber – die Stressbälle sollten die Synodalen also wieder mitbringen.


Titelfoto: Bunte Antistressbälle mit dem Logo des Synodalen Weges oder einem lachenden Gesicht, während der vierten Synodalversammlung Anfang September 2022 in Frankfurt.


Verfasst von:

Felix Neumann

Katholischer Publizist