Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2022

Schwerpunkt

Frau - Macht - Kirche

Foto: Julia Steinbrecht / KNA

Vielleicht ist Ihnen der Song „Frauen kommen langsam aber gewaltig“ von Ina Deters aus dem Jahr 1986 bekannt. Der Refrain lautet:

Starker Mann, was nun?

Keine Zeit mehr was zu tun

Frauen kommen langsam

aber, aber, aber, aber gewaltig

starker Mann, was nun?

Keine Zeit mehr was zu tun

Frauen kommen langsam

aber, aber gewaltig.

Zu Beginn meines Studiums der katholischen Religionspädagogik ist dieser Song populär geworden. Ich habe ihn voller Inbrunst gerne (mit)gesungen.

Mein Studium habe ich mit großer Begeisterung begonnen. Schon von klein auf war ich in der Kirche zuhause. In Kinder- und Jugendgruppen, als Ministrantin auf besondere Weise eingebunden in die Liturgie und das Kirchenjahr, Zeltlager als „Grüppling“ und dann bald als Gruppenleiterin – das war mein Leben. Dass ich dann meine Leidenschaft zu meinem Beruf machen konnte, habe ich nur als Glück erlebt. Während meines Studiums war ich das erste Mal auf einer kirchlichen Demo – es ging schon damals um die Öffnung des Pflichtzölibats.

Mehr als 30 Jahre später darf ich als Mitglied des Synodalen Weges an der Gestaltung unserer Kirche mitarbeiten. Vor dieser Anfrage war ich, gelinde gesagt, mehr als nur skeptisch über diesen erneuten Versuch, Kirche zu reformieren. Wie viele Synoden, Konferenzen, jahrelange Diskussionen, wahrscheinlich Tonnen von Papier, Herzblut… wieviel von all dem ist in Deutschland in der katholischen Kirche schon eingesetzt und auch verbraucht worden – ohne dass die gefassten Beschlüsse tatsächlich umgesetzt wurden. Nun also ein neuer Versuch?

Was den Synodalen Weg von anderen Reformbewegungen unterscheidet, ist sein Ausgangspunkt. Intention des Synodalen Weges ist es, kirchliche Strukturen so zu verändern, dass Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche verhindert wird. Dies gilt ebenso bei sexueller und spiritueller Gewalt wie auch bei Machtmissbrauch. Die Aufdeckung der Katastrophe sexueller Gewalt an Kindern, Frauen und Männern innerhalb der katholischen Kirche hat den Anstoß für diesen mehrjährigen Synodalen Weg gegeben. Der aufgedeckte Zusammenhang zwischen den bestehenden kirchlichen Machtstrukturen und der Möglichkeit des Missbrauchs konnte nicht länger verschwiegen oder geleugnet werden.

Deswegen haben die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) Foren für vier Hauptthemenpunkte festgelegt, die für die Klärung der Frage nach Macht und den durch Macht begünstigten Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche am dringlichsten erschienen. Eines ist das sogenannte Frauenforum: „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“.

Mir scheint, dass die Liederzeile von Ina Deters in der katholischen Kirche angekommen ist: „Frauen kommen langsam (das mag sehr lange Zeit so gewesen sein) aber gewaltig“. Das ist jetzt die Gegenwart.

Das Frauenforum hat einen Grundtext erstellt, der im September in der zweiten Lesung behandelt worden ist. Darin heißt es: „Es ist im Sinne der Verkündigung des österlichen Evangeliums, zu der Jesus Christus auch Frauen von Beginn an berufen hat, eine Neuorientierung anzumahnen: Nicht die Teilhabe von Frauen an allen kirchlichen Diensten und Ämtern ist begründungspflichtig, sondern der

Ausschluss von Frauen vom sakramentalen Amt. Grundlegend stellt sich die Frage: Was ist der Wille Gottes im Blick auf die Teilhabe von Frauen an der amtlichen Verkündigung des Evangeliums? Wer kann aufgrund welcher Kriterien beanspruchen, auf diese Frage für alle Zeiten eine Antwort geben zu können?“

Tja, starker Mann, was nun?

Auf die Frage nach der Teilhabe von Frauen an der Verkündigung des Evangeliums habe ich verschiedene Antworten erlebt. Eine davon in Russland.

Als Ordensfrau und Mitglied der Gemeinschaft der Missionarinnen Christi (MC) lebte ich 16 Jahre in Russland. Leben und arbeiten in Russland haben mich geprägt und sind mir ein großer Reichtum. Tief bewegt hat mich, wie die Kirche in Russland in den 70 Jahren der Unterdrückung und Verfolgung überlebt hat. Die Priester wurden ermordet oder in Lager gesperrt. Frauen und Männer, alle nicht geweiht, aber tief gläubig und gottverbunden, haben die Gemeinden am Leben erhalten. Ich habe Frauen kennengelernt, die jahrzehntelang getauft, beerdigt und die Gläubigen zum Gottesdienst versammelt haben. Sie haben den Glauben in Wort und Tat verkündet, ganz selbstverständlich, sie waren Kirche und haben sie geleitet.

Andere haben allein, ohne die Möglichkeit einer Gemeinde, ihren Glauben für sich durchgetragen. Vor circa 15 Jahren fuhr ein Priester unserer Diözese in die Dörfer und suchte dort nach Gläubigen. In einem Dorfladen fragte er, ob sie jemanden kennen, der oder die katholisch sei. Die Verkäuferin bejahte: „Meine Babuschka Anna wartet schon seit 65 Jahren auf einen Priester“. Sie sperrte den Laden zu und eilte mit dem Priester zu ihrer Großmutter. Anna erzählte, dass sie mit ihrer Familie 1945, wie so viele Russlanddeutschen, aus Russland weg musste. Sie kamen nach Polen, wo sie als 12-jährige ihre Erstkommunion hatte. Die Rote Armee holte sie aber alle ein und sie wurden nach Sibirien zwangsdeportiert. In dem Dorf, in das sie kam, gab es keine Gemeinde und Priester schon gleich gar nicht. Im Lauf ihres Lebens ist ihre Sehnsucht aber immer größer geworden. Sie erinnerte sich an ihre Erstkommunion und an das Wort im Evangelium, dass Jesus Brot und Wein nahm und sagte: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“.

So hat sie immer wieder durch viele Jahrzehnte hindurch Brot genommen, es in Wein getaucht und gebetet. Ihre Sehnsucht war so groß und sie dachte: „So muss ich es machen, dann ist Jesus bei mir“. Unter Tränen erzählte sie das alles dem Priester und sagte immer wieder: „Wenn ich was falsch gemacht habe, soll der liebe Gott mir doch verzeihen“. Selbstverständlich hat sie nichts falsch gemacht. Sie hat natürlich keine Eucharistie gefeiert, wie wir sie in unseren Kirchen feiern, und selbstverständlich war genau das „Eucharistiefeier“ und Jesus in diesen Zeichen gegenwärtig in ihrer Hütte.

Es waren vor allem Frauen, die in der Zeit der Unterdrückung in Russland ihren Glauben selbstverständlich gelebt und gefeiert und damit die Kirche lebendig gehalten haben. Es war einfach „keine Zeit mehr“, etwas anderes zu tun, als Verantwortung für den Glauben zu übernehmen und mit dem eigenen Leben dafür einzustehen. Diese Frauen haben Jesus Christus lebendig erfahrbar gemacht, durch ihr Zeugnis und durch die von ihnen gefeierten Liturgien.

Wir machen Kirche

Ich möchte noch ein anderes, persönliches Beispiel als Antwort auf die oben gestellte Frage nach der Verkündigung des Evangeliums durch Frauen erzählen: Mein Bruder starb vor mehr als vier Jahren. Er selbst hatte keinen Bezug zur katholischen Kirche und für seine Frau, meine Schwägerin, war es klar, dass wir keine katholische Beerdigung haben würden. So habe ich, wie selbstverständlich, die Gestaltung und Durchführung der Beerdigung meines Bruders übernommen. Auch in dieser Feier war die Gegenwart Gottes spürbar und erfahrbar. Wer sonst gibt Halt und ist Adressat für alle fassungslosen Fragen? Meinen liturgischen Dienst habe ich zutiefst als Willen Gottes erlebt.

Ich bin in der katholischen Kirche beheimatet und verwurzelt. In ihr bin ich erwachsen geworden und wurde zu der Frau, die ich bin. Ich möchte an einer Kirche mitgestalten, in der Macht als Dienst für das Evangelium synodal gelebt wird und nicht nur von oben nach unten herab. Und dies geschieht ja auch bereits. Gerade beim Synodalen Weg erlebe ich, dass auch viele Bischöfe und Priester sich für Synodalität in der Kirche einsetzen und konkret dies an ihren Orten versuchen umzusetzen.

Es ist an der Zeit, dass Frauen, Männer und diverse Menschen tatsächlich gleichberechtigt in unserer Kirche sein können. Entscheidend ist, dass sie Menschen sind, die ganz in Jesus Christus verwurzelt sind und aus dieser Verwurzelung leben. Es sind Menschen, die für das Evangelium brennen, Menschen, die Gott-verliebt und den Menschen nahe sind – ungeachtet ihres Geschlechts.

Frau macht Kirche, Mann macht Kirche und Queer macht Kirche. Wir machen Kirche!

Starke Menschen braucht die Kirche – und es ist an der Zeit, dass wir gemeinsam kirchliche Strukturen so gestalten, dass sie dem Leben dienen.


Titelfoto: Fahnen in den Farben und mit dem Logo des Synodalen Weges, mit dem Aufdruck "Synodaler Weg", wehen vor dem Congress Center der Messe Frankfurt während der dritten Synodalversammlung am 4. Februar 2022 in Frankfurt.


Verfasst von:

Sr. Maria Stadler MC

Mitglied im Synodalen Weg