Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2022

Katholisch in Bayern und der Welt

Sehnsucht nach Frieden

Foto: Alphaspirit / Adobe stock

Frieden finden in Alltag und Ehrenamt

„Der Weltfriede beginnt in der Familie, letztlich in uns selbst“ – dieser Satz hat mich vor Jahren noch ziemlich hilflos gemacht. Manchmal wirkte er auf mich wie eine Ausrede, dass es nicht möglich ist, nicht möglich sein kann, solange wir selbst nicht mit uns im Reinen, im Frieden sind; als müssten wir mit dem persönlichen Leben nachweisen, dass es uns mit dem Frieden ernst ist.

Heute denke ich, Frieden muss einfach möglich sein, trotz persönlicher Unzulänglichkeiten und eigenen, nicht so friedlichen Seiten, trotz unseres Scheiterns. In Teams und in Gremien, in der Familie erleben wir immer wieder: jeder hat einen eigenen Kopf, mit eigenen Vorstellungen, Ideen, Wünschen und Lösungsstrategien. Und das ist doch das Problem: wenn alle ihre Köpfe benutzen, dann gibt es viele Möglichkeiten – und oft muss man sich einigen, was eine gemeinsame Möglichkeit sein könnte.

In der Konflikt-Mediation wird nach Konsens-Möglichkeiten gesucht. Das meint mehr als Kompromiss: einiges geht gut nebeneinander, hintereinander. Man kann bei unterschiedlichen Ideen gut in die Breite, in die Vielfalt gehen: Welche Möglichkeiten haben wir? Wer mag sich um was annehmen und versuchen, es mit Verbündeten umzusetzen? Das ist in Pfarrgemeinderäten oft ganz gut möglich. Es braucht nicht die Entscheidung, kümmern wir uns beispielsweise um ältere Menschen in der Pfarrei oder um Jugendliche und Kinder? Wenn im Pfarrgemeinderat entschieden wird, dass beides wichtig ist, dann können sich ein paar Mitglieder um das eine und andere um das andere annehmen und sich jeweils Verbündete und Mitstreiter außerhalb des Gremiums suchen, die mithelfen. Die eigene Entscheidung für das eine heißt nicht, dass das andere nicht auch wichtig wäre, sondern: meine Energie und Kraft möchte ich für diesen Bereich einsetzen; das andere lasse ich zu, aber werde nicht dabei helfen können oder wollen.

Eigene Erfahrungen

Das kann ein Weg sein. Der eigene Schwerpunkt wird nicht wichtiger, wenn alle anderen daran arbeiten, er erscheint nur bedeutender. Hier kann Arbeitsteilung und kluges Vorgehen zielführend sein. Manchmal vertun wir viel Zeit damit, für einen eigenen Schwerpunkt zu werben, dem andere nicht folgen wollen. Warum nicht einfach fragen: „Was spricht dagegen, dass dies gemacht wird? Ihr müsst nicht mitmachen, ideell unterstützen reicht, es einfach zulassen.“ Die Zustimmung wird oft nicht gegeben, nicht weil man es nicht zulassen will, sondern weil man nicht selber dafür arbeiten will. Das ist ein Unterschied. Das kann im Idealfall dazu führen, dass vieles gemacht werden kann und im Gremium zusammenfließt, aber nicht alle konkret daran mitarbeiten müssen. Wem es wichtig ist, der darf sich Verbündete von außen suchen – dann werden wir an Projekten breiter aufgestellt sein können. Eine traurige Erfahrung dabei kann aber sein, dass man nicht genügend Mitstreiter findet, dass es so scheint, als ob es nur mir wichtig ist. Aber auch damit müssen wir umgehen lernen.

Manches schließt sich aber auch aus. Und dann muss, oft schmerzhaft, entschieden werden, was Priorität haben soll. Es scheint, als ob dies immer schwerer fällt, wenn nicht unsere eigenen Prioritäten gewählt werden, die der anderen jedoch trotzdem zu unterstützen. Aber das ist so in einer Gemeinschaft. In einer Gemeinschaft teilt man Schönes und Nichtschönes in Solidarität. Das wird immer mehr eine Anfrage an unsere generelle Bereitschaft zur Gemeinschaft.

„Leidens-Solidarität“

Das gilt tatsächlich auch für den ganz persönlichen Bereich. Ein etwas banales, aber alltägliches Beispiel: in einer Familie sind sich meist alle irgendwie einig, dass eine gewisse Grundsauberkeit in der gemeinsamen Wohnung gewünscht wird. Aber es beteiligen sich nicht alle gern daran, dies auch zu realisieren. Wenn es unstrittig ist, dass es „sauber“ sein soll, ist die nächste Frage, wer macht was dafür? Und dazu müssen dann nicht alle begeistert beim Putzen sein. Putzen kann man auch ohne Begeisterung (das wird sogar in den meisten Fällen der Fall sein). Die Entscheidung, dass das nötig ist, obwohl keiner Lust hat, es aber trotzdem gemacht wird, kann zu einer „Leidens-Solidarität“ führen, in der wir es „trotzdem“ gemeinsam machen (müssen). Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, dass ein Gefallen, den mir jemand tut, obwohl er überhaupt keine Lust darauf hat, bei mir mit viel mehr Achtung und Dankbarkeit aufgenommen wird, als wenn ich erwarte, dass alles mit Begeisterung gemacht wird. Das lädt mich ein, auch immer wieder über meinen Schatten zu springen und für den anderen etwas zu tun, weil es ihm wichtig ist, auch wenn ich keine Lust dazu habe.

In Beratungen (Familien, Teams oder auch Gremien), wenn es um diese Grundanfrage der Solidarität geht, schlage ich manchmal vor, ganz pragmatisch vorzugehen: macht eine Liste, was zu tun ist. Dann darf sich jeder wählen, auf was er Lust hat. Mit viel Glück ist dann schon einiges weg. (Es soll Menschen geben, die wirklich gerne bügeln.) Dann gibt es noch die zweite und dritte Wahlmöglichkeit, bis alles verteilt ist. Das kann eine Form von Gerechtigkeit ermöglichen, dass jeder etwas tun darf, auf was er (mehr) Lust hat und alle etwas tun müssen, auf was sie wenig oder keine Lust haben. Das führt zu Ausgleich und Gerechtigkeit. Und es gibt einen witzigen Nebeneffekt: die, die auf gar keine Arbeit Lust haben, werden am Ende damit konfrontiert, dass all die Arbeiten für sie bleiben, auf die keiner Lust hatte. Das führt oft dazu, dass diese Menschen sich beim nächsten Mal früher entscheiden, doch auf etwas Lust haben zu sollen, weil sonst nur noch Unangenehmes bleibt. Das funktioniert tatsächlich. Dabei müssen nicht alle glückliche Gesichter machen, Hauptsache es ist nachher sauber oder die Aufgaben erledigt. 

Immer eitel Sonnenschein?

Die Grundlage für Frieden ist nicht, dass alle immer Spaß haben und nur das tun, worauf sie Lust haben. Die Grundlage für Frieden (in der Familie, in der Gruppe) sind Gerechtigkeit und faires Aushandeln: was bin ich bereit, für das Gemeinwesen zu geben, was bist Du bereit, zu geben – wie handeln wir das gerecht und fair aus? Das heißt aber auch, dass wir uns von einer Illusion verabschieden sollten: Frieden ist nicht, dass immer die Sonne scheint, sondern auch Kälte und Regen einzukalkulieren, Regen zum Beispiel zum Gießen einzusetzen und Sonne und Regen gerecht zu teilen; Frieden ist, dass wir miteinander Gutes und Schwieriges teilen – in Solidarität.

Mit diesem Bild sind wir eigentlich schon wieder mitten in der Weltpolitik. Kriege in unserer Welt gehen oft genau um diese Ressourcen, um Zugang zu Sonne und Wasser, die gerechte Verteilung für alle. Das heißt aber, dass wir von einem Denken ausgehen, dass alle Zugang haben dürfen und sollen, weil alle die gleichen Rechte haben. Das ist die Grundlage unserer Demokratie und die Basis unseres christlichen Denkens: alle Menschen sind gleich wertvoll und haben die gleichen Rechte (und Pflichten); wie wird dies gerecht verhandelt und ausgehandelt? Ein Blick in die Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls ist da sehr empfehlenswert. Das Ringen um Menschenrechte und Gerechtigkeit beginnt in der Achtung jedes Einzelnen, tatsächlich bereits in der Familie und in den eigenen Gruppen.

Irgendwann hieß es einmal: das Private ist politisch. Tja, es stimmt wohl – und so sind christliche Gemeinden und ihre Gremien aufgerufen zu diesem ganz konkreten politischen Beitrag zum Frieden, ganz persönlich und global.


Verfasst von:

Gabriele Pinkl

Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Passau