Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2022

Interview

„Texte allein bringen uns nicht weiter“

Foto: privat

 Johanna Müller ist mit gerade einmal 19 Jahren die jüngste Teilnehmerin am Synodalen Weg. In der Synodalversammlung sitzt sie zwischen Bischöfen, Theologinnen, engagierten Laien und Professoren – Angst, nicht gehört zu werden, hat sie nicht. Mit Gemeinde creativ hat sie über ihre Eindrücke aus der vierten Synodalversammlung gesprochen, über ihre Motivation und wie es aus ihrer Sicht nach dem offiziellen Ende des Synodalen Wegs weitergehen muss.

 

Gemeinde creativ: Als der Synodale Weg begonnen hat, waren Sie gerade einmal 16 Jahre alt.  Wie kommt man in dem Alter auf die Idee, bei so etwas mitzumachen?

Ich hatte mich zuvor schon kirchlich engagiert, bei uns ist das fast schon „Familientradition“, wenn man so will. Ich hatte mitbekommen, dass es den Synodalen Weg als Konsequenz aus der MHG-Studie geben soll und habe mir gedacht: „Cool, dass da auch junge Leute gesucht werden. Da machst du mit.“  Rückblickend war das ziemlich blauäugig von mir, weil ich so gar nicht wusste, auf was ich mich da eigentlich einlasse. Das Format, die Art der Beratungen, das war schon alles sehr neu für mich. Trotzdem, es war eine gute Entscheidung. Ich bin insgesamt glücklich, dabei zu sein.

Nehmen Sie uns mal ein bisschen mit durch die vergangene Synodalversammlung, wie haben Sie diese erlebt? 

Ich brauche nach den Synodaltagungen immer ein paar Tage, bis ich das alles wirklich verarbeitet habe. Bei der vierten Synodalversammlung hat das vielleicht noch ein bisschen länger gedauert als bei den vorherigen. Es war im Vorfeld klar, der Zeitplan würde straff sein, es lagen viele Texte vor, wodurch es auch sehr konkret wurde. Das hieß aber auch, viel konnte scheitern, viel konnte aber auch auf den Weg gebracht werden. Gleich am ersten Tag kam dann der Hammer, als der Grundtext aus dem Forum „Leben in gelingenden Beziehungen“ durch die Sperrminorität der Bischöfe abgelehnt wurde. Das hat mich – und viele andere – überrascht. Natürlich war damit zu rechnen, dass nicht alle Texte durchgehen werden, aber dass gerade dieser Text, und dann auch noch gleich zu Beginn, durchfällt, das war ein richtiger Schock.

Danach war völlig offen, wie es weitergeht und ob es überhaupt weitergeht. Es gab Beratungen, Krisensitzungen, Bischöfe und ZdK getrennt. Das war neu. Und da war schon die Sorge da, dass der Synodale Weg jetzt komplett scheitern könnte. Am nächsten Tag haben wir dann nach schwieriger Anfangsdebatte einen Weg gefunden, wie wir weiterarbeiten konnten. Und dass alle weiteren Texte auch die nötigen Mehrheiten bekommen haben, das hat mich dann doch wieder optimistischer gestimmt. Aber: die Stimmung war irgendwie nicht mehr dieselbe wie vorher. Dieser Bruch vom ersten Tag, der war weiterhin zu spüren. Es war ein anderes Miteinander, irgendetwas hat sich da verändert.

Sie haben an der letzten Synodalversammlung virtuell teilgenommen. Wie war das für Sie, gerade bei dieser Zerreißprobe nicht vor Ort zu sein, nicht direkt mit den Kolleginnen und Kollegen sprechen zu können?

Im ersten Moment schmerzt das natürlich schon, die vielen bekannten Gesichter auf dem Bildschirm zu sehen und nicht direkt interagieren zu können. Ich war aber mit vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Kontakt, zum Beispiel über die Chatgruppe der jungen Synodalen. Wir vernetzen uns auf diese Weise sehr gut. Auch wenn alle in Präsenz dabei sind, hilft uns das, weil wir in der Versammlung ja nicht beieinander sitzen. Ich habe also alles mitbekommen, was im Raum passiert ist. Und vielleicht war es sogar ein kleiner Vorteil, nicht in Frankfurt zu sein. Während der Mittagspause konnte ich mich richtig rausnehmen, konnte mir den Freiraum nehmen, den ich gebraucht habe. Ich habe Dinge gemacht, die mir in dem Moment gut getan haben – ich bin lange an der frischen Luft spazieren gegangen, um meine Gedanken zu ordnen und das gerade Gehörte zu verdauen.

Was hat sich seit dem Beginn des Synodalen Wegs verändert?

Mit einer Analyse unseres Ringens bei den Treffen des Synodalen Wegs ließen sich vermutlich schon Bücher füllen. Ganz am Anfang war da eine große Euphorie, eine Aufbruchsstimmung. Das war richtig aufregend für alle Beteiligten, weil niemand wusste, wo der Weg hinführen würde. Ein solches Gremium aus Bischöfen, Laien, Wissenschaftlern und Klerikern, das war neu. Auch die Art zu diskutieren. Manche mussten sich daran auch erst gewöhnen. Anfangs war viel vom „Geist von Frankfurt“ die Rede. Das habe ich auch so erlebt.

Durch die Corona-Pandemie hat sich der Prozess verlängert. Mich beeindruckt die Selbstdisziplin der Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder. Gerade bei der letzten Versammlung hat man das auch gemerkt. Als die Zeit knapp wurde und wir unbedingt aber noch Texte abschließen wollten, haben die Teilnehmer große Selbstdisziplin für die Sache gezeigt. Es gab keine unnötig langen Redebeiträge, keine Doppellungen, alles war sehr prägnant auf den Punkt formuliert.

Haben Sie den Eindruck, dass die Stimme der jungen Leute beim Synodalen Weg gehört und ernst genommen wird?

Auf jeden Fall. Zum einen fallen die jungen Leute auf in der Synodalversammlung und sie erhalten auch in den Medien eine große Aufmerksamkeit. Die Zusammenarbeit in der Synodalversammlung und auch in den Foren erlebe ich als sehr positiv. Die Argumente von uns jungen Synodalen werden nicht einfach nur gehört und zur Kenntnis genommen, wir werden wirklich ernst genommen, auch weil man merkt, wie authentisch die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer für das einstehen, was ihnen wichtig ist.

Immer wieder wird der Synodale Weg als „letzte Chance“ für die katholische Kirche in Deutschland bezeichnet. Wie sehen Sie das?

In gewisser Weise ist er das sicher. Zumindest sehe ich gerade keine andere Möglichkeit. Nach all dem Missbrauch, der Vertuschung und den strukturellen Problemen ist klar: es muss sich etwas verändern. Man kann darüber streiten, ob der Synodale Weg die einzige und die beste Lösung ist, aber er ist nun einmal das Mittel, das von den Bischöfen gewählt wurde, deswegen muss er  jetzt zu einem guten Ende gebracht werden und es müssen wirkliche Veränderungen angestoßen werden. Alles andere wäre fatal.

Sicher, es ist schwierig, eine Struktur aufzubrechen, wenn man sich gleichzeitig innerhalb dieser Struktur befindet. Faktisch haben die Bischöfe die Macht und sie sind auch diejenigen, die Reformanliegen nach Rom tragen können. Das muss man sehen, auch wenn uns die letzte Versammlung die Abhängigkeit von den Bischöfen überdeutlich vor Augen geführt hat und mir das ehrlich gesagt ein bisschen Bauchschmerzen bereitet. Aber, der Synodale Weg schafft die Basis für eine gemeinsame Debatte, wir brauchen die Bischöfe mit im Boot, von daher ist der Ansatz sicherlich eine Möglichkeit. 

Was ist Ihre Motivation, sich trotz aller Schwierigkeiten weiter in der Kirche zu engagieren und sich sozusagen ganz vorne bei einem Prozess wie dem Synodalen Weg einzubringen?

Katholische Kirche ist eine Heimat für mich und das möchte ich mir eigentlich nicht kaputt machen lassen. Ich finde es fürchterlich, dass Missbrauch, Vertuschung und das „System Kirche“ momentan unsere Botschaft verdunkeln. Und dass alles, was Gutes in dieser Kirche geschieht, in den Hintergrund rückt, genauso wie die vielen Menschen, die sich für die christliche Botschaft einsetzen.

Natürlich frage ich mich manchmal, warum ich das mache, warum ich mir das antue, viel Freizeit opfere und das alles – auch Bekannte fragen mich das. Aber ich will katholische Kirche auch noch in 50 Jahren erleben können. Das treibt mich an, dafür engagiere ich mich. Mit meinen gerade mal 19 Jahren habe ich auch noch nicht so viele schlechte Erfahrungen gemacht, wie jemand, der sich schon seit 30 Jahren in einem Pfarrgemeinderat oder einem Verband engagiert. Da ist also noch Power und Feuer in mir – und ich hoffe, dass ich ein Stück weit dazu beitragen kann, dass die negativen Erfahrungen in Kirche weniger und die guten wieder mehr werden, damit Kirche eine Heimat für viele ist und bleibt.

Sie arbeiten auch im Forum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ mit – worum geht es dort konkret?

Zuerst ging es darum, eine neue Definition von „Macht“ in der Kirche zu schaffen. Macht wird häufig als etwas Negatives gesehen. Es gibt aber auch positive Gestaltungsmacht. Macht ist immer da, es geht darum, wie man sie einsetzt und wie man sie begrenzen kann. Kontrolle, Transparenz oder Rechenschaftslegungen sind Schlagworte, die bei uns eine große Rolle spielen. Aber auch konkrete Dinge wie eine Amtszeitbegrenzung oder Subsidiarität, also dass Dinge, die auf der kleinsten Ebene entschieden werden können, auch dort entschieden werden. Es geht um demokratische Strukturen und darum, welche Grundrechte Getaufte und Gefirmte haben.

Der Text zur Einrichtung eines Synodalen Rats, der bei der vierten Synodalversammlung beschlossen worden ist, ist in unserem Forum entstanden. Wir wollen und können nicht mehr hinter das zurückgehen, was wir jetzt haben – ein gemischtes Gremium, in dem Bischöfe und Laien gemeinsam arbeiten und entscheiden. Im nächsten Schritt wird nun ausgearbeitet, wie dieses Gremium genau aussehen soll, wie die Personen mandatiert werden, welche konkreten Aufgaben der Synodale Rat erhält. Der Beschluss für einen Synodalen Rat ist definitiv ein Erfolg des Synodalen Wegs.

Am Synodalen Weg gibt es immer wieder auch heftige Kritik. Wie gehen Sie damit um?

Ich höre oft, dass der Synodale Weg ein deutscher Sonderweg sei, der dazu beitrage, die Weltkirche zu spalten. Und da will ich ganz klar sagen: Nein, das ist falsch. Die Themen, die wir auf dem Synodalen Weg beraten und diskutieren, das sind keine deutschen Themen. Das sind Themen, die Katholikinnen und Katholiken auf der ganzen Welt umtreiben. Die Machtfrage, die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche, viri probati – egal ob Australien, Irland, Lateinamerika, die Benelux-Staaten, überall gibt es diese Debatten in ähnlicher Weise. Und ich hoffe, dass der weltweite synodale Prozess, den Papst Franziskus zur Vorbereitung auf die Bischofssynode im kommenden Jahr ausgerufen hat, das auch noch einmal deutlich macht.

Genauso falsch ist der Vorwurf, der Synodale Weg würde die Missbrauchskrise ausnutzen, um Reformen durchzusetzen. Die vorliegenden Studien zum Missbrauch in der Kirche haben gezeigt, dass unsere momentanen Strukturen toxisch sind. Deswegen müssen wir etwas ändern.

Im Frühjahr 2023 wird der Synodale Weg enden. Was wünschen Sie sich für den Abschluss und die Zeit danach?

Ich setze darauf, dass der Synodale Rat möglichst bald eingerichtet wird und dass so auch in Zukunft gemeinsam beraten und entschieden wird. Ganz wichtig ist mir, dass jetzt einfach gehandelt wird. Wir haben viele Handlungstexte, die in den Bistümern auch jetzt schon umgesetzt werden können. Da ist zum Beispiel die Frage nach der Einbeziehung der Gläubigen bei der Bischofswahl. Der Text wurde bereits beschlossen. Ich erwarte mir von den Bischöfen, dass die Beschlüsse auch tatsächlich umgesetzt werden. Texte allein bringen uns nicht weiter. Die Sachen, die in Rom entschieden werden müssen, die müssen zügig dort vorgelegt werden. Alles, was hier in Deutschland umgesetzt werden kann, muss auch umgesetzt werden. Sonst war der ganze Weg eine Täuschung.

Johanna Müller (19) ist die jüngste Delegierte beim Synodalen Weg, dem Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland. Sie hatte sich beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) um einen der 15 Plätze für unter 30-Jährige beim Synodalen Weg beworben – mit Erfolg. Nachdem sie im Frühjahr ihr Abitur bestanden hat, nimmt sie nun an einem Freiwilligenprogramm des Bonifatiuswerks teil und lebt und arbeitet deshalb für zehn Monate in Uppsala (Schweden).

Johanna Müller kommt gebürtig aus Marienfeld im Bistum Münster. Dort engagierte sie sich viele Jahre ehrenamtlich in ihrer Pfarrgemeinde St. Lucia.


Verfasst von:

Alexandra Hofstätter

Geschäftsführerin des Landeskomitee der Katholiken in Bayern.