Ausgabe: November-Dezember 2022
SchwerpunktÜberholspur oder Standstreifen?
Erfahrungen auf dem Synodalen Weg
„Liebe Schwestern und Brüder, orientiert euch an dem, was wahrhaftig, gut und gerecht, was lauter, liebenswert und schön ist. Wo immer ihr etwas Gutes entdeckt, das Lob verdient, darüber denkt nach.“ (Phil 4,8)
Dieses Wort aus dem Philipperbrief liegt seit der digitalen Synodalversammlung im Februar vergangenen Jahres auf meinem Schreibtisch. Zahlreiche – oft ebenfalls digitale – Gesprächsformate zum Synodalen Weg, die ich in verschiedenen Diözesen, mit Pfarreiengemeinschaften, dem Landvolk, dem Familienbund oder der katholischen Erwachsenenbildung begleiten darf, rahme ich mit diesem Pauluswort.
Es spricht von der Perspektive: worauf achte ich, was nehme ich wahr, worüber lohnt es sich, nachzudenken?
Als einer der vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gewählten Synodalen und als Präsident des Familienbundes hat sich in den Wochen vor der vierten Synodalversammlung Anfang September 2022 manch Ungutes in meinen Blick und meine Gedanken gedrängt. Ich denke an die Vorgänge im Erzbistum Köln, an die immer noch weitgehend fehlende Perspektive aus der Sicht der Überlebenden von sexualisierter Gewalt in unserer Kirche, an die Welle von zum Teil engagierten Christen, die der Kirche den Rücken kehren.
Im Synodalforum „Leben in gelingenden Beziehungen. Liebe leben in Partnerschaft und Sexualität“, in dem ich mitarbeiten darf, ringen wir um eine neue Beziehungs- und Sexualethik – braucht es die überhaupt, oder reicht es aus, die geltende Sexualethik nur einfach besser zu erklären? Wir ringen um eine Sprache, die von den Menschen verstanden wird, um die Wiedererlangung einer kritischen Zeitgenossenschaft der Kirche, die diese jedenfalls im Bereich der individuellen Ethik weitgehend verloren hat. Da schmerzt es, wenn – wie im „responsum“ zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare – Menschen durch die gewaltsame Sprache und Lehre der Kirche verletzt werden, wenn Kirche durch erstarrte Strukturen und mangelnde Veränderungsbereitschaft vielen den Zugang zum Glauben blockiert. Wenn wir für geistlichen Missbrauch sensibler werden wollen, dann müssen wir unsere Sprachgewohnheiten überdenken – Gewaltlosigkeit beginnt bei der Sprache.
Praxis vor Theorie
Auf dem Synodalen Weg ist sehr deutlich: es bestehen Spannungen. Viele davon werden sich wohl nicht auflösen lassen und vielleicht müssen sie auch gar nicht aufgelöst werden, wenn wir in der Kirche lernen, respektvoll mit Verschiedenheit umzugehen. Denn wichtiger als die bestimmt notwendigen Papiere und Synodenbeschlüsse ist die Praxis des gemeinsam gelebten und bezeugten Glaubens. Also geht es um eine Kultur – eine Kultur der Debatte, des geistlichen Suchens – kurz: um eine „konstruktive Konfliktkultur“ (Bischof Overbeck), einen „konstruktiv gelebten Glauben“ (Pater Bernd Hagenkord SJ).
Gerade bei den Diskussionen rund um die Themen „geschlechtliche Identität“ und „sexuelle Orientierung“ werden konträre Positionen sichtbar. Als Brückenbauer habe ich den 2020 leider plötzlich verstorbenen Theologen und Berater unseres Synodalforums Eberhard Schockenhoff erlebt. In seinem posthum erschienenen Buch „Die Kunst zu lieben. Unterwegs zu einer neuen Sexualethik“ formuliert er einen mir als Ehe- und Familienseelsorger sowie Ehe-, Familien- und Lebensberater wichtigen Gedanken, der auf dem Synodalen Weg eine große Rolle spielt: „Sexualität ist eine elementare Sprache der Liebe und untersteht als Ars erotica, als kunstvolles Vermögen, einander lustvoll zu begehren, wie alle menschliche Kommunikation dem Ethos der Liebe und der Wahrhaftigkeit. Es ist zu hoffen, dass sich das Lehramt seinen eigenen Einsichten nicht länger verschließt und die durch Amoris laetitia überholten normativen Einzelaussagen dem neuen Bewertungsmaßstab gelingender dauerhafter und verlässlicher Partnerschaften angleicht.“
Ein neues Miteinander
Den Synodalen Weg erlebe ich als „Kirchenlaboratorium“, in dem geübt wird, wie synodale Kirche gehen kann. Dass wir dabei mitten in der Weltkirche stehen, erkenne ich daran, dass die Rückläufe des vom Papst weltweit initiierten Synodalen Prozesses eben jene Themen aufgreifen, die den Synodalen Weg bewegen und die lange Zeit Tabu waren: die Amtsfrage, die Machtfrage, die Sexualmoral, das Frauenthema.
Der Synodale Weg ist ein geistlicher Prozess – wie Papst Franziskus in seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland schreibt: „Es handelt sich im Kern um einen synodos, einen gemeinsamen Weg unter der Führung des Heiligen Geistes“. Wobei nicht allein Gebetsformen den Prozess zu einem geistlichen machen, sondern die Grundhaltung, dass sich alle miteinander der Führung des Heiligen Geistes anvertrauen.
Und damit bin ich wieder beim Philipperbrief und der Frage nach der Perspektive – „Wo immer ihr etwas Gutes entdeckt, das Lob verdient, darüber denkt nach.“
Ich darf sehr viel Positives wahrnehmen, viel Hoffnung, die auch ehrenamtlich in der Kirche Engagierte sowie Katholikinnen und Katholiken, denen ihre Kirche am Herzen liegt, in den Synodalen Weg legen. Ich erlebe eine neue Form des Miteinanders von Bischöfen, Priestern und sogenannten Laien. Ich erlebe mehr Mut, die Zeichen der Zeit zu erkennen – der in der dritten Synodalversammlung verabschiedete Orientierungstext des Präsidiums handelt in sehr gelungener Weise davon. Die Reaktionen vieler Bischöfe, von Theologinnen und Theologen, von Seelsorgerinnen und Seelsorgern im Kontext von #outinchurch machen mir Mut und geben mir Zuversicht. Auch die Überlegungen, wie die Erfahrungen des Miteinanders auf dem Synodalen Weg nach der fünften und letzten Vollversammlung im kommenden März die Kirche weiterprägen können – etwa in Gestalt eines neu einzurichtenden „Synodalen Rates“ – unterstütze ich sehr, damit wir den Auftrag, den wir für die Menschen heute und für unsere Gesellschaft haben, besser und auf der Höhe der Zeit wahrnehmen können.
Auf der Spur
Der Synodale Weg – Überholspur oder Standstreifen? Mein Antwortversuch bleibt im „Autobahn-Bild“: vielen fällt auf, dass da etwas unterwegs ist, sich auf den Weg gemacht hat und in Fahrt kommt. Manche packen schon die Stopp-Schilder aus – nicht nur in Rom. Hier mag die sicher zutreffende Erkenntnis – für manche eben auch Befürchtung – zugrunde liegen, dass der Synodale Weg nicht an den deutschen Grenzen Halt machen wird. Andere versuchen, die Strecke zu blockieren, in dem sie alte Katechismus-Sätze als scheinbar unüberwindliche, ewig gültige Hindernisse in den Weg rollen. Wieder andere in der Weltkirche verfolgen das Unternehmen mit großem Interesse und Wohlwollen und planen eigene synodale Wege. Ermutigend ist der ökumenische Rückenwind von den Evangelischen Landeskirchen bis hin zur Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK).
Also ich meine: weder Überholspur noch Standstreifen. Bei der Überholspur wäre die Gefahr, dass wir zu viele zurücklassen, die wir mitnehmen sollten. Das geht besser, wenn wir das Tempo im Rahmen der Richtgeschwindigkeit halten. Aber auch nicht Standstreifen, denn Stillstand können wir uns ebenso wenig leisten, wie ellenlange Diskussionen über die Qualität unseres Fahrzeugs. Unser Fahrzeug ist im Augenblick der Synodale Weg, mit dem sind wir unterwegs – mit Gottes Hilfe – zu einem guten Ziel.
Verfasst von:
Ulrich Hoffmann
Präsident des Familienbundes und Ehe- und Familienseelsorger im Bistum Augsburg