Ausgabe: Januar-Februar 2023
SchwerpunktArm, krank und einsam

Die Gründe für Frauenarmut sind vielfältig
Viele Frauen überleben ihren Mann um vier, fünf oder manchmal sogar 20 Jahre. Sie sind also, sollte man glauben, robuster. Doch das stimmt nicht. „Tatsächlich sind Frauen im Vergleich zu gleichaltrigen Männern im Durchschnitt kränker und funktionell stärker beeinträchtigt“, sagt der Würzburger Geriater Michael Schwab vom Bürgerspital zum Heiligen Geist. Die Gefahr, krank zu werden, steige, sind die Frauen arm. Frauen, die im Alter arm sind, waren es wiederum häufig ihr ganzes Leben lang.
Dies liegt an einer zunehmenden gesellschaftlichen Verkrustung: Derzeit dauert es sechs Generationen, bis die Nachkommen einer einkommensschwachen Familie das durchschnittliche Einkommen erreichen. Dies geht aus einer 2018 veröffentlichten Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit zur sozialen Mobilität hervor. Laut einer anderen Studie aus Wien sind Frauen hiervon besonders stark betroffen. Kommt eine Frau aus einer bildungsfernen Familie, erlangt sie demnach noch seltener als ein Mann einen höheren Bildungsabschluss. Genau das bedeutet Armut. Und es bedeutet laut Michael Schwab ein höheres Risiko, krank zu werden.
Wie es Frauen geht, die im Alter so arm sind, dass sie Grundsicherung oder Wohngeld beantragen müssen, weiß Elisabeth Jentschke aus Würzburg. Elisabeth Jentschke gehört ebenso wie Michael Schwab der Würzburger Seniorenvertretung an. Sie ist von Beruf Psychoonkologin und engagiert sich nebenher bei Zonta Electra in Würzburg. Der Club setzt sich intensiv für Frau in Altersarmut ein. Das tut er seit 2016. Damals wurde der „AK Frauen in Altersarmut“ sowie ein Nothilfefonds für Seniorinnen aus Würzburg gegründet. Der Fonds wird aktuell sehr stark nachgefragt. Bisher half Zonta fünf oder sechs Seniorinnen im Jahr. 2022 wurden etwa 20 Frauen in Altersarmut unterstützt.
Der sogenannte Gender Pay Gap trägt nach den Erfahrungen der Zonta-Frauen zur Zementierung von Frauenarmut bei. Das wird vom Statistischen Bundesamt bestätigt. Demnach verdienten Frauen 2021 pro Stunde im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer. Mit 19,12 Euro hatten sie einen um mehr als vier Euro geringeren Bruttostundenverdienst. Weniger Verdienst bedeutet weniger Rente. Hinzu kommt, dass Frauen meist auf weniger Erwerbsjahre kommen. Laut Statistischem Landesamt erhielten Frauen in Bayern 2021 durchschnittlich etwa 13.000 Euro „Bruttojahresleistungen“ aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Männer erhielten mehr als 16.500 Euro.
„Nur“ ein kaputter Fernseher

Jene Frauen, die sich, meist nach anfänglichem Zögern, an den Fonds von Zonta Electra wenden, haben oft scheinbar unbedeutende Sorgen. Bei der 83-jährigen Stefanie S. (Name geändert) zum Beispiel ging der 1999 angeschaffte Fernseher kaputt. Für die Seniorin war das dramatisch. „Weil sie wenig Geld hat und außerdem gehbehindert ist, kann sie kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen“, schildert Elisabeth Jentschke. Einzig durch den Fernseher hat Stephanie S. Kontakt zur Außenwelt. Dank eines Zonta-Zuschusses besitzt sie nun einen neuen Apparat. Für Elisabeth Jentschke ist dieser Fall typisch: viele Frauen sind im Alter arm, krank und einsam.
Elisabeth Jentschke und ihre Mitstreiterinnen Ruth Ulses und Kathrin Tatschner stehen seit sechs Jahren mit vielen armen Seniorinnen in persönlichem Kontakt. Die Zonta-Frauen sammeln nämlich nicht nur Geld und geben es über ihren Fonds weiter. Sie beraten auch arme Frauen. Dieses Engagement konnte im vergangenen Oktober sogar ausgeweitet werden: In Kooperation mit der Stadt Würzburg entstand die Idee, alle durch den Fonds unterstützten Seniorinnen einmal im Monat ins Würzburger Café „Senza Limiti“ einzuladen. „Mit dieser neuen Initiative wollen wir etwas gegen die Einsamkeit von Frauen in Altersarmut tun“, so die Psychoonkologin.
Eine Frau, die abends im Cateringservice arbeitet, eine Frau, die frühmorgens Büroräume putzt, und eine Frau, die Senioren pflegt, haben laut Karin Majewski vom Paritätischen Wohlfahrtsverband eines gemeinsam: Sie arbeiten nicht in den bestbezahlten Branchen. Allein die Berufswahl hat also einen Einfluss darauf, ob eine Frau besser oder schlechter lebt. Und zwar sowohl vor als auch nach ihrem Einritt in den Ruhestand. Typische Frauenberufe sind meist deutlich schlechter bezahlt als typische Männerberufe, so die Geschäftsführerin des Bezirksverbands Oberbayern. Die aktuellen Teuerungen bringen vor allem Frauen mit typischen Frauenberufen in finanzielle Not.
Büro- und Hilfsjobs
Auch in Bezug auf das Thema „Berufswahl“ sitzt das Statistische Bundesamt auf einem Datenschatz, der äußerst erhellend ist. Demnach arbeiten Frauen in Deutschland sehr häufig in Büro- und Dienstleistungsberufen. Der Anteil erwerbstätiger Frauen an den Hilfsarbeitskräften betrug vor drei Jahren 58 Prozent. Das Statistische Bundesamt verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Frauenanteil in akademischen Berufen 2019 nirgendwo in Europa so gering war wie in Deutschland. Hierzulande betrug die Quote etwa 45 Prozent. Lettland führte vor drei Jahren die Rangliste mit einem Frauenanteil in akademischen Berufen von mehr als 68 Prozent an.
Eine Frau, die in Wirtschaft oder Wissenschaft Karriere machen möchte, gilt heute nicht mehr als exzentrisch. Die Statistiken zeigen allerdings, dass die Rollenklischees im Berufsleben noch nicht überwunden sind. Das wirkt sich massiv auf das Einkommen aus. Frauen, die in typischen Frauenberufen unterdurchschnittlich verdienen und noch dazu Kinder haben, droht Armut. „Hier ist gerade das größte Problem der fehlende, angemessene und bezahlbare Wohnraum“, sagt Schwangerenberaterin Birgit Wysocki von der Würzburger Diakonie. Sie kennt mehrere Frauen, die mit ihrer Familie deswegen weit aufs Land in marode, schlecht isolierte und mäßig beheizbare Wohnungen gezogen sind.
Ein halbwegs gutes Leben scheint für diese Frauen in weiter Ferne zu liegen. Sie kämpfen laut Birgit Wysocki mit Schimmel in der Wohnung. Mit einer miserablen Verkehrsanbindung. Mit dem Ärztemangel. Und wenigen Möglichkeiten, günstig einzukaufen. Je älter und je schlechter die Bausubstanz ist, desto höher seien auch die Nebenkosten: „Im Vergleich zu gut isolierten, neuen Wohnungen ist Energiesparen kaum möglich.“ Zudem lebten Frauen in kleinen Dörfern oft auch ohne ein gutes soziales Netz.
Man sieht heute die gleichen Gesichter wie gestern. Man ist viel alleine. Und meist stark vom Partner abhängig. „Es wäre aus all diesen Gründen falsch, nur von monetärer Armut zu sprechen“, unterstreicht Birgit Wysocki. Nicht zuletzt Frauen seien von Armut an bezahlbarem Wohnraum, an zuverlässiger, flexibler Kinderbetreuung, an Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit und zur flexiblen Arbeitszeit betroffen. In all diesen Feldern seien wesentliche Verbesserungen unabdingbar.
Verfasst von:
Pat Christ
Pat Christ, Jahrgang 1970, studierte Kulturgeschichte an der Universität Würzburg. Seit 1990 arbeitet sie in Würzburg als freischaffende Foto- und Textjournalistin für lokale Medien und überregionale Magazine. Ihre Schwerpunkte liegen in der Berichtserstattung aus Sozialem, Kultur, Bildung und Wissenschaft.