Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2023

Schwerpunkt

„Bei der Klimakrise geht es um Menschenleben“

Bild: Choat / Adobe stock
Foto: Jventuri Mbroyer

Antworten und Ansätze zur Lösung der Klimakatastrophe liegen viele auf dem Tisch. Da geht es um biologische, fair produzierte Lebensmittel, um die eigene Photovoltaikanlage auf dem Hausdach und vor allem um effektive, langfristige politische Maßnahmen. Allein, sozial Schwächere können sich einen „ökologisch-korrekten Lebensstil“ vielfach nicht leisten, zumal in der aktuellen Inflation und Energiekrise. Im Interview mit Gemeinde creativ zeigt der Klimaschutzexperte Svend Andersen auf, wie Klimaschutz sozial-gerecht aussehen kann.

Gemeinde creativ: Mit Blick auf Klimaschutz und Gesellschaft: In welcher Situation befinden wir uns gerade?

Svend Andersen: Unsere Gesellschaft gerät im Moment sehr aneinander. Es gibt Menschen, die in der Aussicht auf ihr Leben eine traumatische Bedrohung wahrnehmen in verschiedenen Variationen bis hin zu dem Punkt, dass sie sich dazu entscheiden, keine Kinder haben zu wollen. Es gibt andere Menschen, die glauben, dass wir so weitermachen können wie bisher, und es gibt Menschen, die sagen, dass das alles kein Problem ist, weil wir die Klimakrise einfach durch ein paar Marktinstrumente regeln können. Die fordern zum Beispiel eine CO2-Steuer und finden, dass die so hoch wie möglich sein muss. Hier frage ich mich: Haben sie sich schon mal genau überlegt, was eine CO2-Steuer für uns als Gesellschaft bedeutet?

Was ist das Problem mit der CO2-Steuer?

Wenn ich mir angucke, wodurch die Klimakrise ausgelöst wird, dann sind das Treibhausgase und damit geht es darum, Treibhausgase zu reduzieren. Und wenn ich das nicht mache, muss ich mir darüber im Klaren sein, dass ich Menschenleben in Gefahr bringe. Das heißt, bei der Klimakrise geht es um Menschenleben. Aus meiner Sicht gibt es eine moralische Pflicht, sich darum zu kümmern, das hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Wenn ich dann aber ein Instrument vorschlage, das total menschenfeindlich ist und überhaupt nichts bringt, ist das eine Kombination aus den schlimmsten Zutaten. Denn: Alle Instrumente, die sich auf sogenannte Marktmechanismen beziehen, haben immer das Problem, dass Menschen mit weniger Geld weniger Handlungsmöglichkeiten haben als Menschen mit mehr Geld. Jemandem, der viel verdient, ist völlig egal, ob der Strom um zehn Prozent teurer wird. Für jemanden, der aufs Geld schauen muss, ist das eine totale Katastrophe. Das ist völlig ungerecht und wird immer negative Folgen haben.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Wenn wir Menschen Gefahren ausgesetzt sind, wie zum Beispiel lebensgefährlichen Bakterien im Wasser oder Schwermetallen in Kinderspielzeug, regelt das der Staat normalerweise über Gesetze. Da gibt es Werte, wie viel wovon drin sein darf, um uns alle zu schützen. Es wäre also überhaupt kein Problem, eine Treibhausgasintensitätslösung für Energie einzuführen. Denn wenn die CO2-Steuer dazu führt, dass Sie 1kW weniger Strom verbrauchen, wird der Rest nicht klimafreundlicher, das bringt nichts. Wir brauchen eine Regelung, die sagt: Die Produktion von 1kW Stunde Strom darf nur eine gewisse Menge Treibhausgase ausstoßen. Damit regeln sie das sozial gerecht, das gilt dann für alle. Ein Stromprodukt, das das nicht einhält, ist illegal und das darf dann nicht mehr verkauft werden. Das ist das klare Signal an die Industrie, was sie produzieren muss und was sie immer fordert.

 

Was bedeutet „Treibhausgasintensitätslösung“ genau?

Das Gebot ist, dass eine Energieeinheit nur noch eine gewisse Treibhausgasintensität haben darf. Das heißt von der Förderung über den Transport bis zum Verbrennen darf ein gewisser Ausstoß von Treibhausgasen nicht überschritten werden. Damit bin ich als Firma dazu gezwungen, Geld auszugeben, um zu forschen und Lösungen zu entwickeln. Wenn ich die Treibhausgasintensität unter den vorgeschriebenen Wert bekomme, werde ich dafür als Unternehmen belohnt. Und hier ist auch berücksichtigt, dass man damit keinen ökologischen Unfug macht. Wenn ich nämlich für den Anbau des Maises, aus dem ich anschließend Ethanol mache, Kunstdünger verwende, wird berechnet, dass das nicht besonders treibhausgasfreundlich ist. Die Regierung schreibt also nicht vor, welche Produkte gemacht werden müssen, sondern welche Werte erreicht werden müssen, und die Industrie gestaltet die Umsetzung dann selbst. Dieses Treibhausgasintensitäts-Gebot wird über die Zeit immer niedriger. So lässt sich zuverlässig und sozial gerecht sicherstellen, dass wir unser Treibhausgasbudget einhalten und unsere Klimaziele erreichen. Alle bisherigen marktbasierten Instrumente sind dagegen unzuverlässig und sozial ungerecht.    

 

Ich nehme jetzt mal die Gegenposition ein und sage: Es ist ja schön, wenn durch diese Gesetze aller Strom ökologisch produziert wird. Dadurch wird er dann aber wohl auch teurer werden – und damit eventuell für manche Leute unerschwinglich. Was sagen Sie dazu?

Das Argument kann ich natürlich immer bringen. Ich kann sagen: Der Stuhl, auf dem Sie sitzen, ist durch Brandschutzmaßnahmen teurer geworden, aber es wäre trotzdem unverantwortlich, Möbel zu verkaufen, die leicht brennbar sind – wenn auch sicher billiger. Und so ist das auch beim Klimaschutz. Klimaschutz muss für alle sein und darf auch nichts mit Kosten zu tun haben, sonst ist er nicht sozial. Das ist dann eben der Preis der Energie und der Punkt ist: Erneuerbare Energien sind billiger. Es ist ja Teil der Propaganda, dass Atomstrom billiger ist. Atomstrom ist der teuerste Strom, den es gibt. Auch Kohlestrom ist teurer als zum Beispiel Windenergie. Damit ist das gar kein Argument. Außerdem darf sich gar nicht die Frage stellen, ob es finanziell sinnvoll ist, weil es Leben rettet. Der Staat muss dann sicherstellen, dass es nicht zu viel kostet und entsprechend subventionieren. Deswegen gibt es im Moment auch Subventionen für fossile Energieträger – damit sich den Strom alle leisten können.

Inflation und Energiekrise, die Preise steigen in allen Bereichen. Wie ist Klimaschutz „leistbar“?

Die geringe soziale Resilienz in unserer Gesellschaft zeigt sich an allen Ecken und Enden. Durch die momentane Kostensteigerung, speziell im Energiebereich, rutschen Menschen viel zu leicht in eine soziale und ökonomisch prekäre Lage. Eine verfehlte Klimaschutzpolitik wird diese Lage erheblich verschärfen. Unser wirtschaftsgesellschaftlicher Fokus ist meistens darauf ausgerichtet, dass wir Export-Weltmeister bleiben und den Industriestandort Deutschland bewahren. Hier stellt sich die Frage: Was ist Sinn und Zweck dieses Anspruchs, wenn er nicht dazu genutzt wird, dass Menschen nicht in die Armut abrutschen und vor den Folgen des Klimawandels geschützt werden? Wenn Wirtschaftspolitik zur Resilienz beiträgt, ist das gut. Wenn sie es aber nicht tut, ist dies im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis.

 

Also Schritt 1: Die Denkweise ändern und die Politik in die Verantwortung nehmen?

Genau! Aber nicht nur die Politik, sondern auch mich in meinem Umfeld: Ich habe eine Arbeit, ich wohne in einer Gemeinde, meine Kinder gehen in eine Schule, ich bin in einem Sportverein. Es spricht überhaupt nichts dagegen, mich persönlich ethisch und ökologisch verantwortungsbewusst zu verhalten. Aber wenn ich die Klimakrise anpacken möchte, also realistisch, dann muss ich darauf konzentrieren, wo in meinem Handlungsspielraum am meisten Treibhausgase produziert werden. Das ist der große Unterschied zum Umweltschutz: Wenn Sie hier einen Baum mehr pflanzen oder einen Nistkasten mehr anbringen, bringt das tatsächlich etwas. Aber Klimaschutz ist ein systemisches Problem, da bringt das Handeln nur im direkten persönlichen Umfeld nichts.

Was braucht es hier für ein Umdenken?

Das hat etwas mit unideologischer Aufklärung zu tun. Das Konzept des persönlichen Fußabdrucks ist zum Beispiel die Erfindung einer Marketingagentur von BP, die damit die Verantwortung von sich auf den Konsumenten übergeben hat. Es ist wichtig, zu erkennen, dass dieses Mindset ganz bewusst durch Lobbyismus propagiert wird. Es ist eine bewusste Entscheidung der Industrie gewesen, die Verantwortung dem einzelnen Menschen aufzudrücken und Geld dafür auszugeben, dass die Menschen das denken. Gleichzeitig streuen sie durch manipulierte Studien Zweifel und all diese Maßnahmen verhindern, dass es effektiven Klimaschutz gibt. Und da muss man sagen: Die waren sehr erfolgreich und haben genau das erreicht, was sie erreichen wollten, denn: Wir haben keinen effektiven Klimaschutz. Ich bin etwas frustriert, dass es so schwierig ist, dieses gängige Narrativ von der persönlichen Verantwortung zu durchbrechen. Deshalb ist die wichtigste Message: Jetzt über Klimaschutz nachdenken, nicht den Kopf in den Sand stecken, soziale Gerechtigkeit mitdenken und sich echte, effektive und soziale gerechte Lösungen ankucken, um Treibhausgase zu reduzieren.

Das Interview führte Sarah Weiß

Svend Andersen ist ein gefragter Klimaschutzexperte. Als einer der ersten absolvierte er die Ausbildung zur ISO Norm geregelten Treibhausgasbuchhaltung. Er entwickelt innovative und effektive Klimaschutzlösungen für Regierungen, Gemeinden und Unternehmen. Allein ist er dabei nicht: Im Kampf gegen die Klimakrise steht ihm ein 30-köpfiges internationales und interdisziplinäres Team zur Seite. Er steht interessierten Gruppen für kostenlose Vorträge zur Verfügung. „Der Weg aus der Klimakrise“ heißt sein aktuelles Buch, erschienen bei Bastei Lübbe. 


Verfasst von:

Sarah Weiß

Freie Autorin