Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2023

Schwerpunkt

Fest an der Seite der Armen

Foto: Pat Christ

Sozialeinrichtungen in Bayern haben es krisenbedingt mit wachsender Not zu tun

Noch können soziale Einrichtungen in Bayern nicht überblicken, was die nächste Zeit an materieller Not bringen wird. Die Lage bleibt beunruhigend unabsehbar. Harry Kimmich, Gründer des Aschaffenburger Vereins „Grenzenlos für Arme und Obdachlose", hat deshalb ein mulmiges Gefühl. Vor allem, weil nicht nur die Armut wächst. Bei vielen Menschen, die derzeit zu „Grenzenlos“ kommen, mache sich Hoffnungslosigkeit breit.

Zu „Grenzenlos“ verirren sich inzwischen Bürger, die niemals gedacht hätten, soziale Hilfe zu benötigen. Nun sind sie dankbar, im Besitz eines „Grenzenlos-Passes“ zu sein und dadurch das Café des Vereins nutzen zu können. Hier gibt es während der Woche bis zu zehn verschiedene, frisch zubereitete, Gerichte zwischen 90 Cent und 2,20 Euro. Im „Kaufhaus Grenzenlos“, das ähnlich wie ein Tafel-Laden aufgebaut ist, können für einen symbolischen Euro bis zu zehn Lebensmittel-Artikel erworben werden. Alle Angebote werden jetzt schon stark nachgefragt, sagt Harry Kimmich: „Und wir befürchten, dass noch mehr Menschen abrutschen werden.“

Die Entlastungsversprechungen halten nicht wenige Betroffene für politisches Wischiwaschi. Seit fast drei Jahren kämpfen sie nun. Und zwar gegen wachsende Schwierigkeiten. Wie prekär die Situation für viele Bürgerinnen und Bürger seit Beginn der Corona-Krise ist, weiß auch Beate Barthmann von der Stadt Nürnberg. In der mittelfränkischen Metropole gibt es ein „Netz gegen Armut“, dem 19 Institutionen angehören. Unter erschwerten Bedingungen versuchten und versuchen diese, ihre Angebote während der Corona-Krise aufrecht zu erhalten. Doch in einer Zeit, in der besonders viele Menschen Hilfe benötigen, ist Hilfe oft nur eingeschränkt möglich.

Bereits im letzten Corona-Winter wurde in Würzburg eine „Wärmehalle“ eingerichtet. Hier gab es auch etwas Warmes zum Essen. Foto: Pat Christ

Rasch zeigte sich, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der politischen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise drastische Folgen für viele Menschen haben: „Besonders 2020, aber auch im ersten Halbjahr 2021 kam es zu einem spürbaren Anstieg von Bürgerinnen und Bürgern, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende benötigten“, berichtet Beate Barthmann. Erwerbstätige, die durch die Maßnahmen arbeitslos wurden oder während der Kurzarbeit nur geringe Leistungen erhielten, waren plötzlich auf Sozialgeld angewiesen. Auch Selbstständige konnten ihren Lebensunterhalt oft nicht mehr aus eigener Kraft bestreiten.

Nachfrage explodiert

Nach einer Verschnaufpause zwischen Mai und Juli 2021 ging es ab dem Herbst mit der Corona-Krise weiter. Dann brach im Februar 2022 der Krieg in der Ukraine aus. Gegen das, was seitdem auf die sozialen Einrichtungen einprasselt, war die Corona-Krise fast ein Klacks, meint Clemens Weißerth vom Sozialladen der Caritas in Kronach. Während die Lebensmittelspenden für den Sozialladen sinken, explodiert auch hier gerade die Nachfrage. Vor der Corona-Krise wurde der Sozialladen von höchstens 1.400 Menschen frequentiert: „Inzwischen sind wir alles in allem ungefähr bei 2.000.“

Während die einen Kapital aus den Krisen schlagen, verarmen die andern. Im Landkreis Kronach betrifft das zum Beispiel Birgit K. (Name geändert). „Sie hat, weil sie sich um ihre Kinder kümmern wollte, immer nur in Teilzeit gearbeitet“, sagt Clemens Weißerth. Bisher kam Birgit K. dennoch mit ihrer Rente über die Runden. Vor wenigen Tagen jedoch saß sie weinend vor dem Kronacher Pädagogen: „Es war am 20. des Monats und sie hatte kein Geld mehr.“ Birgit K. verfügte nicht über den notwendigen Pass für den Einkauf im Sozialladen. Doch das machte nichts. Clemens Weißerth händigte ihr umgehend einen Gutschein für die Caritas-Einrichtung aus.

Vergleicht man die momentane Situation mit früher, könnten die vergangenen Nachfragen nach dem stationären und mobilen Angebot des Kronacher Sozialladens fast als lau bezeichnet werden. So turbulent war es überhaupt noch nie gewesen, seit Clemens Weißerth denken kann. Weißerth bedrückt die Armut. Und die Hoffnungslosigkeit der Menschen. Aber auch mit Unmut ist der Pädagoge konfrontiert. Im geschützten Rahmen bietet er Gespräche an. In diesen Gesprächen geben die Menschen zu, dass sie schon gar nicht mehr wählen gehen. Sie hätten jeden Glauben an die Politik verloren: „Und fragen, warum wir denn jetzt Krieg führen müssen.“

Die Tafel ist voll

Während die Nachfrage nach Tafel-Läden wächst, gehen die Lebensmittel-Spenden der Supermärkte überall in Bayern zurück. Foto: Pat Christ

Laut Andreas Mensing, Vorstand des Würzburger Tafel-Ladens, gab es schon immer Kunden, die sich über die Politik mokiert oder die generell ihre Unzufriedenheit ausgedrückt haben. Das belaste die 160 Ehrenamtlichen. Als noch belastender wird jedoch auch in Würzburg die wachsende Nachfrage empfunden: „Manchmal kommen an einem Ausgabetag 150 Menschen zu uns.“ Der Zulauf ist inzwischen derart groß, dass ein Aufnahmestopp verhängt werden musste. Bedürftige, die noch keinen Ausweis haben, müssen warten, bis einer der bisherigen Kunden aus dem Tafel-System ausgeschieden ist.

Die meisten Menschen entschließen sich aber sowieso nur im äußersten Notfall, einen Tafel-Laden aufzusuchen. Die Berührungsängste, so Andreas Mensing, seien immens: „Die Leute kommen nicht, auch wenn sie Hilfe benötigen, das ist wirklich schlimm.“ Aktuell sei die Situation wegen der ukrainischen Flüchtlinge noch mal problematischer: „Die stehen in Trauben vor unserem Tafel-Laden und treten sehr selbstbewusst auf.“ Das schrecke manche ab.

Ob mehr Leute kommen, weil ihnen allmählich das Geld ausgeht, oder ob mehr Menschen ihren Konsum aus ökologischen Gründen umstellen, könne er nicht sagen, meint Thomas Johannes vom Würzburger Sozialkaufhaus „Brauchbar“. Über mangelnde Kunden kann sich der Geschäftsführer auf jeden Fall nicht beklagen. Viele Menschen kommen derzeit, um gebrauchte Winterklamotten einzukaufen. Aber auch die Second-Hand-Möbel gehen gut weg. Dies könnte an einer schmaler gewordenen Geldbörse liegen: „Aber immer mehr Menschen werden auch durch die Klima-Diskussionen wachgerüttelt.“ Sie kauften Gebrauchtes, um Ressourcen zu schonen.

Die ehrenamtliche Arbeit mit Menschen, die aktuell in Armut abzurutschen drohen oder die bereits abgerutscht sind, stellt eine große Herausforderung dar, erklärt Agnes Stefenelli von der Gemeindecaritas in der Diözese Passau. „Problematisch ist vor allem, dass sich Armut oft sehr lange versteckt“, sagt sie. In den Treffen mit den Ehrenamtlichen vor Ort in den Pfarreien macht Agnes Stefenelli klar, wie wichtig es im Moment ist, Augen und Ohren offen zu halten. Um für Zeichen einer beginnenden Verarmung sensibel zu sein.


Titelfoto: Von der Armut ihrer Eltern sind auch tausende Kinder in Bayern betroffen.


Verfasst von:

Pat Christ

Freie Autorin