Ausgabe: Januar-Februar 2023
SchwerpunktJung und ausgegrenzt?!
Aktuell ist das Aufwachsen für viele junge Menschen in Deutschland eine besondere Herausforderung. Prekäre Lebenssituationen und Armutserfahrungen, ungerecht verteilte Zugänge zu Bildungsangeboten und digitalen Räumen bei gleichzeitig steigenden Leistungsanforderungen und rasantem Wandel, mangelnde familiäre Unterstützung oder das Wegbrechen sozialer Netze prägen den Lebensalltag von mehr als drei Millionen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Der Mangel an Geld wirkt sich einschneidend auf alle Lebensbereiche wie etwa Gesundheit, Bildung, Freizeit oder die Gestaltung des Übergangs in den Beruf aus. „Armut“ bedeutet eine Lebenslage.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. übernimmt seit vielen Jahren eine Anwaltsfunktion für diese jungen Menschen. So wurde bereits 2008 unsere Initiative zur Bekämpfung von Jugendarmut gestartet. Seit 2010 veröffentlichen wir alle zwei Jahre den Monitor „Jugendarmut in Deutschland“. Armut bedeutet für junge Menschen zwischen etwa 14 und 25 Jahren das größte Risiko, ausgeschlossen zu werden. Der Monitor „Jugendarmut in Deutschland 2020“ dokumentiert die Armutsgefährdungsquote der 18 bis 24-Jährigen bei 25,6 Prozent. Dies bedeutet, dass mehr als ein Viertel in dieser Altersgruppe weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung hat.
Die Corona-Pandemie machte allen schwer zu schaffen. Aber gerade die junge Generation wurde besonders hart getroffen. Schulabschlüsse sowie Studien- und Ausbildungsstarts wurden behindert. Die Preisexplosionen der vergangenen Monate haben die Situation armer Menschen weiter verschärft. Die hohe Inflation, die Energiekosten und der aus dem Ruder gelaufene Wohnungsmarkt bringen auch den Mittelstand in Bedrängnis. Für arme Menschen sind die Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln existenziell bedrohlich.
Von den hinteren Plätzen ins Leben starten
In Deutschland prägt die soziale Herkunft in hohem Maße die Bildungs- und Lebenschancen. Nicht nur Reichtum, sondern auch Armut wird „vererbt“. Nur ein Drittel der Kinder und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen, durchbricht den Armutskreislauf. Die Quote der „verfestigten Armut“ hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Dabei ist Armut ein sich selbst verstärkender dynamischer Prozess. Individuelle sowie durch das Umfeld geprägte Verfestigungen bedingen sich gegenseitig.
Arme Jugendliche starten beim Einstieg in ein erfolgreiches Berufsleben von den hinteren Plätzen. Ungleiche Bildungschancen führen zu fehlenden oder niedrigen Schulabschlüssen. Und wer keinen Schulabschluss, einen Förderschulabschluss oder eben „nur“ einen Hauptschulabschluss hat, erhält oft nicht die Chance, die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Junge Menschen am Übergang
Ein besonders Armutsrisiko tragen Jugendliche ohne Schulabschluss und in der Folge auch ohne Berufsausbildung. Die größte Wahrscheinlichkeit ohne beruflichen Abschluss zu verbleiben, haben Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher (68,7 Prozent). Aber auch mit Hauptschulabschluss bleiben noch 31,2 Prozent der jungen Menschen ohne beruflichen Abschluss. Im Ausbildungsjahr 2022 standen nur die Hälfte aller angebotenen betrieblichen Ausbildungen jungen Menschen mit maximal einem Hauptschulabschluss offen.
Rein rechnerisch haben sich die Chancen für Ausbildungssuchende verbessert. Der Ausbildungsmarkt erholt sich langsam von der Corona-Krise. Die tatsächliche Zahl junger Menschen, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgehen, ist dennoch alarmierend. Im Ausbildungsjahr 2022 waren 422.400 Jugendliche bei der Arbeitsagentur ausbildungssuchend gemeldet. 198.684 von ihnen bekamen eine Ausbildung, 223.716 Jugendlichen dagegen nicht. In der Statistik werden 22.685 von ihnen als unversorgte Bewerberinnen und Bewerber geführt. Denen werden in der offiziellen Kommunikation 68.900 unbesetzte Ausbildungsstellen gegenübergestellt. Doch bei 56.247 jungen Menschen ist vollkommen unklar, was aus ihnen geworden ist. Diese müsste man im Grunde zu den unversorgten hinzurechnen. Ebenso die 37.715 Jugendlichen, die mit einem weiteren Schulbesuch, einem Praktikum oder einem sozialen Dienst ein Alternative gefunden haben, aber sich immer noch eine Ausbildung wünschen. So stünden den gut 68.000 offenen Stellen 116.647 junge Menschen gegenüber, die keine Ausbildungsstelle gefunden haben.
Wenn Wohnen zum Luxus wird
Im Jahr 2020 lebten 10,3 Prozent der Bevölkerung in Deutschland in überbelegten Wohnungen. Menschen in Städten, Alleinlebende sowie Alleinerziehende und deren Kinder hatten überdurchschnittlich häufig zu wenige Wohnräume zur Verfügung. Angesichts der Pandemie-Einschränkungen erhöhte sich so die psychische Belastung erheblich.
Der aus den Fugen geratene Wohnungsmarkt trifft junge Menschen besonders hart. Die Sorge um ein Dach über dem Kopf schränkt Jugendliche in ihrer Entfaltung ein und verhindert eine umfassende Teilhabe.
Die aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt sind dramatisch. Laut MLP Finanzberatung und Deutschem Studentenwerk waren in Hochschulstädten die Mieten für sogenannte Studierendenwohnungen (Median 30 m²) im Juli 2022 um durchschnittlich 5,9 Prozent zum Vorjahr angestiegen. Für eine studentische Musterwohnung in München müssen 787 Euro und in Stuttgart 786 Euro bei einer Erstanmietung gezahlt werden. Der erhöhte Wohnzuschlag im BAföG-Höchstsatz (360 Euro) deckt in nur zwei Hochschulstädten die Miete. Auch für Azubis sind solche Mieten nicht bezahlbar. Die Konkurrenz unter jungen Menschen um Wohnraum steigt kontinuierlich.
Keine verlorene Generation
Jugendsozialarbeit hat den gesetzlichen Auftrag Teilhabe, Ausbildung und auch Wohnen sicherzustellen! Daher gilt es, die Rechtsansprüche von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf Teilhabe, Ausbildung und Wohnen zu stärken. Weder der 18. noch der 21. Geburtstag – und schon gar nicht die aktuelle Kassenlage oder unklare Zuständigkeiten bei Behörden – dürfen der Grund sein, junge Menschen nicht bedarfsgerecht und individuell fördern und unterstützen zu können.
Die BAG KJS fordert daher von den politisch Verantwortlichen zur Bekämpfung von Jugendarmut
- eine teilhabeorientierte Kinder- und Jugendgrundsicherung einzuführen.
- die europäische Garantie für Kinder (Empfehlung (EU) 2021/1004 des Rates der Europäischen Union vom 14. Juni 2021) umsetzen: soziale Ausgrenzung zu verhindern und zu bekämpfen, indem der Zugang bedürftiger Kinder zu einer Reihe wichtiger Dienste garantiert wird.
- das Recht auf Inklusion, Bildung und Ausbildung konsequent für alle jungen Menschen mit einer verbindlichen Ausbildungsgarantie umzusetzen.
- eine erweiterte Form der individuellen Assistenz und sozialpädagogischen Begleitung zur Verfügung zu stellen.
- langfristige Begleitung und Unterstützung zu ermöglichen: trotz Scheitern oder zwischenzeitlichem Abbruch Beziehung kontinuierlich anzubieten.
- mehr bezahlbaren Wohnraum für junge Menschen zu schaffen.
Wohnungslosigkeit aktiv zu bekämpfen.
Verfasst von:
Silke Starke-Uekermann
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Jugendsozialarbeit der BAG KJS