Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2023

Kommentar

Warnstufe Rot für den Libanon

Foto: missio

Armut in der Einen Welt geht weit über die Slums von Manila oder die großen Geflüchtetencamps in Afrika hinaus. Die Krisen erfassen die Länder an den Rändern Europas. Wie den Libanon, der sich im freien Fall befindet. Die Kirche dort hat große Aufgaben.

In Dramen zeigt sich die Tragödie besonders eindrücklich, umso größer die Fallhöhe ist. So ist es mit dem Libanon. Die Bewohner des Staats am östlichen Mittelmeer kokettierten ab den 1960er Jahren gerne mit ihrem Ruf als „Schweiz des Nahen Ostens“. Im weltoffenen Beirut florierten Kasinos und Nachtclubs ebenso wie die Kunstszene. Die Zeiten, in denen Touristen am Morgen im Libanongebirge Ski fuhren, um sich am Nachmittag bei einem Drink am Strand zu entspannen, sind lange vorbei. Noch nicht allzu lange jedoch sorgt eine Zahl für große Besorgnis: Knapp 80 Prozent der Libanesen leben inzwischen unterhalb der Armutsgrenze (und wichtig zu benennen: Bei den vielen Geflüchteten aus Syrien, dem Irak und den palästinensischen Gebieten, die im Übrigen knapp ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, ist diese Zahl noch höher). Rasant wachsende Armut bedeutet die höchste Warnstufe für ein Land. Sollte der Libanon zerfallen, würde sich die gesamte Region destabilisieren.

Jahre des Bürgerkriegs, Krisen und Misswirtschaft haben tiefe Spuren im Zedernstaat hinterlassen. Zuletzt zwangen die Beschränkungen der Pandemie die Bürger wirtschaftlich in die Knie. Und als die Beiruter dachten, dass nichts mehr ihre miserable Lage toppen könnte, explodierte vor zwei Jahren nachlässig gelagertes Ammoniumnitrat im Hafen und riss 224 Menschen in den Tod. Die Wunden klaffen bis heute tief, im Stadtbild und in den Herzen der Bewohnerinnen und Bewohner. Neben dem kollektiven Schock tragen die Menschen an der schlimmsten politischen und wirtschaftlichen Krise in der Geschichte des Landes. Die Lebensmittelpreise sind extrem gestiegen, befeuert durch den Krieg in der Ukraine. Bäcker drohten kürzlich damit, ihre Backstuben zu schließen. Strom stellt der Staat täglich nur noch für wenige Stunden zur Verfügung. Wer es sich leisten kann, betreibt einen Generator, aber Treibstoff ist teuer. Den Diesel für die Notstromversorgung der Kliniken in Beirut tragen die Vereinten Nationen. Die Krankenversicherung greift nicht mehr, weshalb nur noch wenige Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Die Inflation hat Erspartes auf Bankkonten gelöscht, die Auszahlung von Renten ist eingestellt.

Die Armut im Libanon findet sich also längst nicht mehr nur in den Vierteln oder den Camps der Geflüchteten. Sie ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Sinnbildlich markierte das zuletzt ein vor der Küste gesunkenes Schlauchboot auf der Schlepperroute nach Europa. Zum ersten Mal waren libanesische Familien unter den Toten. Wer kann, verlässt das Land. Wer bleibt, ist die Kirche. missio-Partner füllen ein gefährliches Vakuum und übernehmen Aufgaben einer Regierung, die versagt hat. Zum Beispiel die Franziskaner in Beirut, die Lebensmittelpakete und rare Medikamente organisieren, die Familien beim Schulgeld aushelfen und Jugendlichen einen sicheren Ort bieten – Libanesen wie Geflüchteten. Es geht um Nothilfe, aber gleichzeitig auch immer darum, auszugleichen. Der Libanon darf nicht das nächste Pulverfass im Nahen Osten werden.


Verfasst von:

Katharina Balbach

Redakteurin missio magazin