Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2023

Schwerpunkt

„Wenn Hände und Herz voll sind, ist kein Raum für Neues“

Foto: Wirestock / Depositphotos

Als Sohn eines reichen Tuchhändlers gab Franz von Assisi in seiner Jugend das Geld mit vollen Händen aus. Nach einer Begegnung mit einem Bettler änderte er sein Leben. Er verzichtete auf sozialen und materiellen Status, verschenkte seinen Besitz und zog sich zunächst in die Einsamkeit zurück, um Christus nachzufolgen. Bis heute versuchen Menschen, dem Vorbild des Heiligen Franziskus in seiner frei gewählten Armut zu folgen.

Menschen auf der ganzen Welt geraten in Armut. Diese ist nicht freiwillig gewählt, sondern durch Krieg, Ausbeutung oder Vertreibung von Machthabern verursacht, und somit ein Angriff auf die Menschenwürde. Für Franz von Assisi war die Armut der Menschen ein Übel. Er verschenkte seinen Besitz und wurde selbst zum „poverello“, zum Armen unter den Armen. Neben der materiellen Armut an Geld und Besitz wählte der Heilige die spirituelle Armut als zentrale Lebenshaltung, um radikal auf Gott zu vertrauen und den Menschen zu dienen.

 

Freie Wahl

Die spirituelle Armut ist eine frei gewählte Lebensgestaltung, die den Blick nicht auf sich selbst, sondern auf die anderen Menschen richtet, um auf Gottes Liebe und Güte Antwort zu geben. Die geistige Armut ist ausgelegt auf Geschwisterlichkeit und Solidarität.

Wenn Hände und Herz voll sind, ist kein Raum für Neues. Es ist kein Raum für andere mit ihren Sorgen und Nöten, mit ihren Freuden und Hoffnungen. Es ist auch kein Raum für mich selbst, mich immer wieder neu zu entdecken und zu reifen in die Gestalt, die Gott mir zugedacht hat. Und es ist kein Raum für Gott, für seinen Ruf und seine Geschenke für mich.

Es gibt Hinweise, die eine geistige Armut verhindern: Verletzungen, die mich verärgern und binden; Unversöhntheiten, die mich von anderen trennen; Abhängigkeiten, die mich umklammern; Stolz, Ruhmsucht oder sich für besser als andere halten. Franziskus sieht auch die geistige Habsucht als ein Anzeichen dafür. Er sagt: „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Viele gibt es, die in Gebeten und Gottesdiensten eifrig sind und ihrem Leib viele Entsagungen und Abtötungen auferlegen, die sich aber über ein einziges Wort, das ihrem lieben Ich Unrecht zu tun scheint, oder über eine Kleinigkeit, die man ihnen wegnimmt, sofort dermaßen aufregen, als wäre es ein Skandal. Diese sind nicht arm im Geiste.“ (Erm 14,1-4 FQ52)

Lebenslanges Einüben

Spirituelle Armut ist eine lebenslange Aufgabe des Lernens, großzügig zu schenken, loszulassen und dem anderen zu dienen. Dabei geht es nicht um das Streben nach Perfektion oder Selbstaufgabe, sondern um den Mut, wie Franz von Assisi sagt, umzukehren und immer wieder neu anzufangen. Nicht verzagt oder aussichtlos den Herausforderungen des Alltags entgegenzugehen, sondern das Leben mit allen Höhen und Tiefen zu durchleben, Schwäche zu zeigen, zu scheitern, gedemütigt zu werden oder in eine Sackgasse zu geraten. Entscheidend dabei ist die Haltung der Gelassenheit, Fehler machen zu dürfen und sich versöhnen zu lassen. Die spirituelle Armut hilft der Herzensbildung und schenkt Früchte der Freude, Dankbarkeit und Liebe.


Verfasst von:

Regina Postner

Polizeiseelsorgerin und Mitglied des ordo franciscanus saecularis (OFS)