Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2023

Schwerpunkt

Die Gemeinde der Zukunft

Foto: Waupee / Adobe stock

Die Zahl der Kirchenaustritte steigt, die der Gottesdienstbesuchenden sinkt. Viele Menschen fühlen sich von der Institution Kirche nicht mehr angesprochen. Aber wie müsste sich Kirche entwickeln, um wieder ein attraktiverer Ort für das Praktizieren christlichen Glaubens zu werden? Fünf Personen zeichnen ihre Zukunftsbilder.

Brigitte Fingerle-Trischler ist die Vorsitzende des Pfarrgemeinderates Sankt Albert in München-Freimann und war schon in ganz jungen Jahren Mitglied des allerersten Pfarrgemeinderats der Gemeinde. In ihren Augen meinen es im Unterschied zu früher die Menschen, die heute in der Kirche bleiben und an den Gottesdiensten teilnehmen, ernster mit dem Glauben und gehen nicht nur aus Konvention in die Kirche. „Ich meine damit, dass die Leute wirklich im Glauben an einen persönlichen Gott einen Anker finden im Leben und sich nicht von täglichen Stimmungen und Strömungen hierhin und dorthin wenden lassen. Sonst hat unser Glaube wenig Sinn, wenn wir durch ihn nicht dazu bereit sind, Gutes zu tun, uns füreinander zu öffnen.“ Ändern muss sich Kirche in den Augen der 73-Jährigen aber auf jeden Fall: „Was wirklich noch total fehlt, ist das Verständnis, dass wir und jeder einzelne von uns Kirche sind, und nicht, dass da der Pfarrer ist und der alles machen muss.“

Für sie geht es in ihrer Funktion als Pfarrgemeinderätin zunehmend darum, die Kirchengemeinde im Leben der Menschen präsent zu halten, nach außen zu gehen, sich in der Kommunalpolitik und den sozialen Einrichtungen zu zeigen und zu helfen, wo Menschen in Not sind. Dafür wünscht sie sich auch mehr Unterstützung von der Diözese. Auf klerikaler Ebene wäre sie sofort dafür, dass die Ausbildung der Priester nicht isoliert von der Welt stattfindet. „Was dann natürlich heißen würde, dass man das Zölibat nicht mehr verpflichtend macht. Aber das haben wir nicht in der Hand und es ist müßig, auf Pfarreiebene viel drüber nachzudenken. Das heißt nicht, dass es nicht wichtig ist, sich dafür zu engagieren, aber das sehe ich nicht als meine persönliche Aufgabe.“ Sie sieht die Zukunft der Kirche auf lokaler Ebene, wo die Geselligkeit einen starken Zusammenhalt stiftet. „Das finde ich eine große Chance und ich denke, dass das auch zukunftsfähig ist. Diese Gemeinschaft auf Begegnungsebene.“

Weniger gebäudegebunden und mehr Kontakt zu den Menschen

Auch für Vitus (15) und Vincent (16) Wandinger spielt sich der Glaube nicht zwingend in der Kirche ab. Die beiden Ministranten aus der Pfarrei Sankt Josef in Hohenlinden schätzen die Gemeinschaft unter den Minis, fühlen sich als Jugendliche aber nicht besonders gut in der Kirche aufgehoben. „Sowohl wir als auch andere Jugendliche gehen, wenn wir nicht ministrieren, nur selten in die Kirche, da wir keinen Nutzen darin sehen und es für uns auch kein Ort der Zusammenkunft ist, an dem man sich trifft und Spaß hat.“ Ihren Ministrantendienst üben sie hauptsächlich aus, um den älteren Menschen in der Gemeinde eine Freude zu machen: „Wir bekommen sehr oft das Feedback, wie schön die das finden.“ Kirche sollte in ihren Augen weniger gebäudegebunden sein und mehr Aktivitäten, insbesondere mit ihren jüngeren Mitgliedern, durchführen. Die beiden wünschen sich zum Beispiel einen Kletterausflug. Und die Pfarrer sollten herzlicher und greifbarer sein, mehr Kontakt zu den Menschen suchen. Unabhängig davon gibt ihnen ihr Glaube Halt. Sie vertrauen auch in schwierigen Lebenssituationen auf Gott und beten – wenn auch nicht unbedingt in der Kirche. Radikal fällt ihr Urteil zur Kirche als Institution aus: „Daran sehen wir nichts Positives. Sie definiert nicht zwingend unseren Glauben, da wir auch an Gott glauben können, ohne wöchentlich in die Kirche zu gehen.“

Mehr autonome Gruppen wie in der Urkirche

Kurt Bortel betitelt sein Zukunftsbild der Kirche mit der Überschrift „Gemeinsam berufen und gesandt“. Der Pfarrgemeinderatsvorsitzende der Kirchengemeinde Sankt Johannes der Täufer aus Taufkirchen bei München vermutet, dass die Kirche der Zukunft von mehreren Gruppen von Verantwortlichen geprägt sein wird. Sie setzen sich aus hauptamtlichen pastoralen und ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammen, wobei auch Frauen Leitungsfunktionen ausüben. Er vermutet eine Entwicklung analog zur Urkirche mit autonomen Gruppen, da ein Priester vermutlich nur noch in größeren Zeitabständen vorbeikommen kann. Doch auch das herkömmliche Bild einer „Versorgungskirche“ wird seiner Meinung nach vertreten sein und auch den Personenkreis versorgen, der nur noch gewisse „Dienstleistungen“, wie Taufe, Kommunion, Firmung, Hochzeit oder Beerdigung in Anspruch nehmen will. Ältere Gemeindemitglieder und traditionelle Vereine könnten ihre Probleme damit haben, dass nun andere Personen in die Rolle des Priesters beziehungsweise hauptamtlichen Mitarbeiters schlüpfen.

Bortel weiß: Um dieses Spannungsfeld beherrsch- und wahrnehmbar zu halten, erfordert es bei allen Beteiligten eine hohe Toleranz für die verschiedenen Auffassungen und Lebensentwürfe. „Wir brauchen eine klare, wertschätzende Kommunikation unter den Betroffenen, gepaart mit einem Grundwissen von komplexen Soziosystemen und der Bereitschaft sich permanent damit auseinander zusetzten.“ Der gemeinsame Glaube darf in verschiedenen Ausprägungen und Intensitäten gelebt werden. So erhofft er sich, die Menschen wieder mit und in ihrem Alltag zu erreichen. Doch die Entwicklung birgt auch Risiken: „Es besteht die Gefahr eines Gemischtwarenladens, der auch abschrecken kann. Daher müssen wir den Auferstandenen mit seinem Wirken und Worten ins Zentrum des Handelns stellen und uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass der Glaube das Band ist, das alles zusammenhält.“

Einfachheit und Weite – zurück zu den Quellen

Für den Bischöflichen Beauftragten für Geistliches Leben im Bistum Augsburg, Christian Hartl, darf sich die Kirche der Zukunft wieder mehr an dem Bezugsrahmen orientieren, den die Apostelgeschichte vorgibt. Dort wird die Gemeinde idealtypisch als ein lebendiges „Wir“ beschrieben, das heißt als eine Gemeinschaft, in der ein guter Geist spürbar ist. Es gibt keinen, der Not leidet, denn man teilt miteinander und hat die Armen im Blick. Die Gebete und Gottesdienste werden „in Freude und Lauterkeit des Herzens“ gestaltet. Und man spricht über die Auferstehung Jesu, gibt Zeugnis von seiner inspirierenden Präsenz. Hartl ist überzeugt: „Dieses Zeugnis ist kraftvoll, denn es geht um die eigenen Glaubenserfahrungen und Überzeugungen.“ Er ist dankbar dafür, dass er als Seelsorger in vielen Gemeinden Facetten dieser vier Grunddimensionen wahrnehmen konnte – mal mehr, mal weniger deutlich. Als Hauptgeschäftsführer des Ost-Europa-Hilfswerkes Renovabis wurde ihm auch mancher Einblick in Ortskirchen anderer Länder geschenkt. Zurückgekehrt in die eigene Diözese denkt er: „Wir dürfen als Kirche ursprünglicher, einfacher und herzlicher leben.“ Heißt im Klartext: Kirche in Deutschland ist sehr gut organisiert, manchmal auch recht bürokratisch, sie bewegt sich – wie Bischof Kamphaus das vor Jahrzehnten schon formuliert hat – „mit Volldampf im Leerlauf“. Deshalb zurück zu den Ursprüngen! Außerdem waren Einfachheit und Weite zu Beginn charakteristisch für das Christentum, so Adolf von Harnack. Und herzlicher: Weil im herzlichen Miteinander von Menschen etwas vom belebenden Geist des Evangeliums aufleuchtet. „War nicht das Zweite Vatikanische Konzil von dem Grundsatz geprägt: ad fontes – zurück zu den Quellen? Das ist meines Erachtens eine gute Devise.“


Titelfoto: Raus aus dem Kirchengebäude bedeutet nicht, raus aus der Kirche. Jugendliche wünschen sich mehr Aktivitäten, Kirche da, wo sie selbst gerne sein wollen, beispielsweise bei einem Kletterausflug.


Verfasst von:

Sarah Weiß

Freie Autorin