Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2023

Kommentar

Zukunftsbilder der Kirche

Foto: KNA

Über Zukunftsbilder der Kirche nachzudenken, ist das eine; Kirche vor Ort in der Gemeinde kreativ zu gestalten das andere. Derzeit geschieht beides. Synodale Räte diskutieren um eine Zukunftsfähigkeit der Kirche in unserer Gesellschaft und ringen um zentrale Fragen. Die Abschlusssitzung des Synodalen Wegs in Frankfurt Anfang März lässt bei den einen Hoffnung aufkommen, andere sehen ihre Bedenken bestätigt: neue Herausforderungen, kulturelle Unterschiede, nationale Interessen, theologisches Lagerdenken in zentralen Fragen – das alles charakterisiert die unterschiedlichen Prozesse in der theologischen Suche nach der Zukunft der Kirche national wie international.

Manchmal mag man irritiert sein, wie wenig von diesen Diskussionen in der Gemeinde vor Ort ankommt. Nicht dass kein Interesse daran bestände, wie die Zukunft der Kirche aussieht. Aber oft ist es eine gewisse Müdigkeit, sich immer wieder neu an Themen abzuarbeiten, die dann in der Umsetzung scheitern. Inhaltliche Auseinandersetzungen über theologische Herausforderungen sind vor Ort ebenso wichtig, aber um zielführend zu handeln, müssen gerade die konkreten Herausforderungen der Menschen eines Sozialraums im Vordergrund stehen. Dies setzt voraus, dass man umfassende Kenntnisse über die Sozialstruktur einer Gemeinde oder eines Pfarrverbandes, die unterschiedlichen Milieus der Bewohnerinnen und die Bedürfnisse der Menschen versucht zu erkennen. [Ein solcher Erkenntnisprozess birgt zwar auch die Gefahr, in Analysen aufzugehen und schließlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen, aber erscheint mehr als notwendig, um über Wirklichkeiten sich auszutauschen und nicht der Ideologie des „Wir kennen schon unsere Leute“ zu erliegen. Alle Bemühungen müssen sich an den Bedarfen und Bedürfnissen der Menschen ausrichten. Es geht darum zu erkennen, was braucht der Einzelne, was braucht die Familie, was braucht die Gruppe der Senioren, was brauchen die Kinder und Jugendlichen, was brauchen Menschen mit Migrationshintergrund usw. – und was können wir miteinander entwickeln? So gesehen würde die Gemeinde sich mehr und mehr wandeln und zu einem Ort der Begegnung, der Beratung, der Bildung und der Betreuung werden.

Die Gemeinde als Ort der Begegnung ist einladend, offen für alle, gastfreundlich. Das Problem ist oftmals eine gewisse „Burgenmentalität“ vor Ort, die keine niederschwelligen Zugänge ermöglicht. Stehen die Türen unserer Einrichtungen wirklich offen oder bedarf es erst eines Prozesses, um wirklich für eine Öffnung bereit zu sein? Begegnung lässt sich nicht gänzlich steuern. Begegnung ist immer ein Wagnis und eine Herausforderung. Aber in der Begegnung geschieht Dialog, Auseinandersetzung und es entsteht Neues.

Die Gemeinde als Ort der Beratung geht auf die Notsituationen der Menschen vor Ort ein. Sie ist mit entsprechenden Anbietern vernetzt und wird so zu einer Anlaufstelle im Sozialraum für Unterstützung und Beratung. Damit öffnet sich die Gemeinde den sozialen Herausforderungen, sie schafft Möglichkeiten für Menschen, die auf der Suche nach Hilfe und Unterstützung sind. In der Kooperation mit der Caritas oder anderen Anbietern lassen sich erste Anknüpfungen herstellen, entstehen Beratungsangebote, in denen Menschen Hilfe erfahren und so die kirchliche Gemeinschaft als in ihrer Nähe stehend erleben.

Die Gemeinde als Ort der Bildung greift das Bedürfnis nach lebenslangem Lernen auf. Dabei geht es nicht primär um berufsqualifizierende Inhalte, sondern um Persönlichkeitsbildung, religiöse, kulturelle und kreative Bildung sowie gruppenspezifische Angebote beispielsweise für Familien. Die Erwachsenenbildung muss fester Bestandteil unseres Handelns sein, ausgerichtet auf ein partizipatives, gleichberechtigtes Miteinander in Kirche und Gesellschaft.

Kirche als Ort der Betreuung wartet auf mit räumlichen und personellen Angeboten. In vielen Gemeinden gibt es Krippen, Kindergärten und Horte oder Mittagsbetreuungen, die tagtäglich Eltern eine ganzheitliche Betreuung für ihre Kinder ermöglichen. Welchen Stellenwert nehmen Kitas im pastoralen Handeln der Gemeinde ein? Werden diese Orte als Zentren kirchlichen Handelns begriffen oder als Störenfriede? Nutzen wir die Chancen, mit jungen Familien in den Kontakt zu treten, um Möglichkeiten zu schaffen von Christus zu erzählen, Glauben erfahrbar zu machen, das Leben zu feiern?

Die Gemeinde vor Ort hat eine Zukunft, wenn sie sich in die jesuanische Rolle begibt und anderen mit der Frage begegnet: Was soll ich dir tun? Diese Frage muss ehrlich sein, offen und am Beginn eines Dialogs stehen. Dann wird es auch möglich sein, miteinander unseren guten Gott zu feiern – in schönen Stunden wie an schweren Tagen. Die Verkündigung des Reiches Gottes muss bei den Bedarfen der Menschen und ihrer Nöte beginnen. Dabei wird es zunehmend wichtig sein, die digitalen Gewohnheiten der Menschen zu nutzen, um auf unterschiedlichen Wegen miteinander zu kommunizieren.

Hierarchien werden in diesem Prozess abgebaut. Ein Miteinander von allen Getauften jeden Geschlechts in unterschiedlichen Funktionen und Berufungen entsteht, indem gemeinsam Ausschau gehalten wird, wie die befreiende Botschaft des Reiches Gottes mit der Existenz eines jeden in Verbindung gebracht werden kann.

Dann wird das Wort Jesu Christi lebendig: Ich will, dass ihr das Leben habt, und es in Fülle habt! Das sollte der Zukunftsanspruch von Christinnen und Christen und aller sein, die sich festmachen in unserem guten Gott!


Verfasst von:

P. Alfons Friedrich SDB

Geistlicher Beauftragter des Landeskomitees der Katholiken in Bayern