Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Juli-August 2023

Schwerpunkt

Rechtskatholizismus – Christen mit „Rechtsdrall“

Besonders mit ausgeschlossenen Gruppen sollten sich Christinnen und Christen solidarisch stellen, proaktiv für ihre Rechte engagieren und sich aktiv mit den Themen Diskriminierung und Rassismus befassen. Foto: Flocu / Adobe stock

Auch unter dem Deckmantel der katholischen Kirche versammeln sich Befürworter radikal rechter Positionen. Der Umgang mit ihnen fordert Gläubige und Kirchenstrukturen heraus.

Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach sind acht Prozent der kirchennahen und zwölf Prozent der kirchenfernen Katholikinnen und Katholiken in Deutschland als tatsächliche oder potenzielle AfD-Wähler bekannt. Das bedeutet, dass 300.000 der kirchennahen und ungefähr 2,5 Millionen der kirchenfernen Katholikinnen und Katholiken reaktionäre und rechtspopulistische Überzeugungen haben. Das Vorgehen, dass Menschen mit rechter Gesinnung versuchen, christliche Strukturen zu unterwandern und für sich zu nutzen, ist nicht neu, weiß Sonja Strube, die als Theologin an den Universitäten Osnabrück und Landau arbeitet. In diesem Spektrum finden sich überwiegend Menschen, die einer antimodernistischen Strömung angehören, die die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnen und die das christliche Gebot der Nächstenliebe eng auslegen: „Diese Menschen deuten den christlichen Glauben ethnozentrisch aus. In ihrer Auffassung bezieht sich Nächstenliebe auf die unmittelbar Nächsten, also in erster Linie auf die Familie. Nächste – das sind dieser Auffassung nach dann nicht die Leute auf anderen Kontinenten, das sind nicht die Fremden.“ Auch wenn man diese Auslegung Strubes Meinung nach biblisch sehr gut entkräften kann, funktioniert sie in bestimmten Kreisen. „Es geht ihnen nicht mehr darum, gut zu begründen. Sondern: Wenn man es nur oft genug sagt, immer wieder wiederholt, setzt sich diese Auslegung in vielen Köpfen fest. Und dann braucht es keine Argumente mehr.“

Andocken an kirchliche Milieus

Kai Kallbach, Leiter des Standorts Südbayern des Kompetenzzentrums Demokratie und Menschenwürde an der Domberg-Akademie der Erzdiözese München und Freising, beobachtet seit Jahren eine Liberalisierung der Gesamtgesellschaft und gleichzeitig die Formierung eines radikal rechten Projektes am Rande, von wo aus die Akteure gezielt – und oft auch erfolgreich – Anschluss suchen: „Das hängt damit zusammen, dass sie es geschafft haben, sich parlamentarisch sehr gut zu festigen und sich an unterschiedliche Subkulturen und andere Milieus anzuschließen. Und da ist die Kirche natürlich besonders relevant, weil sie einen bestimmten normativen Anspruch vertritt, der für einige Bereiche der Bevölkerung durchaus relevant ist.“ Neben den Kirchen spielen auch Bereiche wie Ökologie („Umweltschutz ist Heimatschutz“), Esoterik oder „Antigenderismus“ eine Rolle ebenso wie die Mobilisierung, die über das Thema Abtreibung stattfindet.

Gleichzeitig diene der katholische Glaube auch der politischen Identitätsstiftung, sagt Michaela Hermes. Sie ist betriebliche Datenschutzbeauftragte und Syndikusrechtsanwältin für die Erzdiözese München und Freising und bezeichnet diese Strategie als „belonging without believing“: „Das bedeutet, dass über eine vermeintlich religiöse Argumentation ohne wirkliche Glaubensinhalte eine gemeinsame Identität geschaffen werden soll. Auf diese Weise instrumentalisieren Parteien wie die AfD das Christentum, um sich ein bürgerliches Image zu geben.“ Darum sei es wichtig zu prüfen, ob, wo „christlich“ draufsteht, auch wirklich „christlich“ drin ist, sagt Sonja Strube und betont, wie wichtig es ist, aufmerksam zu sein, wo sich rechte Kräfte Themen zu eigen machen. Kai Kallbach würde sich wünschen, dass jeder dazu in der Lage ist, antidemokratische Gedanken oder Konzeptionen zu identifizieren und zu problematisieren. „Ich sehe, dass eine große Gefahr von rechts außen kommt und was dagegen hilft, ist, wenn Menschen das erkennen können und als das identifizieren, was es ist: nämlich wirklich antidemokratische und menschenfeindliche Ideologie.“ Die Positionierung ist auch Sonja Strube sehr wichtig: „Jede sich eigentlich christlich verstehende Gruppierung, die sich nicht klar abgrenzt, darf man aus meiner Sicht auch rechts nennen. Wer sich nicht abgrenzt und zum Beispiel auf Demonstrationen lieber mitläuft oder das Mobilisierungspotential rechter Gruppen abschöpft, der macht sich mitschuldig.“

Glaube an Gott lässt auch Unbestimmtheiten zu

In das rechte Gedankengut sind laut Kallbach häufig auch Verschwörungstheorien verwoben. Dabei unterscheide sich der Glaube an einen christlichen Gott grundlegend von einem Glauben an eine Verschwörungstheorie: „Die meisten Personen, die an einen christlichen Gott glauben, tun das meines Erachtens in einem bestimmten modernistischen Selbstverständnis, wissen also, dass sie an etwas glauben, dass sich nicht einfach so beweisen lässt, wie wir das im Bereich des objektiven Wissens haben. Es ist ihre bewusste Entscheidung, sich auf diese Erfahrung einzulassen und eine komplexe Beziehung mit Gott einzugehen, die eben auch Unbestimmtheiten zulässt.“ Verschwörungsglaube stehe dem diametral gegenüber, weil er für sich in Anspruch nimmt, die objektive Wahrheit ganz genau zu kennen, wodurch dann auch die Bereitschaft entstehen kann, gewaltvoll zu handeln.

Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage, ab wann diese Handlungen auch juristisch relevant werden. Denn wenn eine rechtskonservative Gruppierung den kirchlichen Gemeindesaal für eine Veranstaltung mieten möchte, mag das für manche irritierend sein – verboten ist eine solche Anfrage nicht. Die Abgrenzung, wann Aussagen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und wann nicht, sei bisweilen schwierig zu ziehen, betont Michaela Hermes. Eine Möglichkeit der juristischen Prävention bestehe darin, dass kirchliche Institutionen Aufklärung in allen Bereichen kirchlichen Lebens fördern. „Wichtig ist dabei auch die Sensibilisierung und Förderung von Selbstkontrollinstanzen, beispielsweise durch eine wachsende digitale Vernetzung im innerkirchlichen Bereich,“ schlägt Hermes vor.

Für diskriminierte Personen ein Safer Space werden

Hoffnungsstiftend ist, findet Sonja Strube, dass Kirche viele gute Präventionsmöglichkeiten gegen rechtes Gedankengut schon immer in sich trägt, vielleicht auch ohne es zu wissen: „Vieles, was Kirche heute zu bieten hat in der Jugendarbeit, in der Erwachsenenbildung, in offenen Treffs, im Religionsunterricht, das ist im Grunde schon primäre Prävention, wo Menschen darin bestärkt werden, sich eine eigene Meinung zu bilden, zu lernen, sich selbst zu orientieren, zu lernen, Unsicherheiten auszuhalten, Empathie zu lernen.“ Gleichzeitig sieht Kai Kallbach noch Nachholbedarf, was die strukturelle Positionierung der Kirche zu rechtem Gedankengut – auch und besonders in den eigenen Reihen angeht – weil es nur selten Grundsatzpositionen zu dem Thema gibt, wie sie zum Beispiel der KLJB-Landesverband Bayern mit seinem Papier „Gemeinsam gegen ‚Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‘. Für ein vielfältiges und buntes Land" verabschiedet hat. Pfarrgemeinderäte können auch eine Unvereinbarkeitsklausel in ihrer Satzung festhalten, die beispielsweise Menschen, die eine Mitgliedschaft bei der AFD oder nachweislich diskriminierende Haltungen haben, von einem Amt ausschließt. „Und Kirchen müssen ein Safer Space werden für diejenigen Gruppen, die von der radikalen Rechten als Feinde markiert werden. Das wäre für mich das christliche Anliegen, das leider nicht immer stattfindet, denn Persons of Color und andere marginalisierte Gruppen fühlen sich nicht immer wohl in Kirchengemeinden.“ Besonders mit diesen Gruppen sollten sich Christinnen und Christen solidarisch stellen, proaktiv für ihre Rechte engagieren, sich auch aktiv mit den Themen Diskriminierung und Rassismus befassen, die sich nicht nur auf den radikal rechten Rand begrenzen, sondern gesamtgesellschaftliche Phänomene sind. So könne man positive Visionen leben und eigene Narrative stärken.

Um diese Themen auch offensiv in Kirchenstrukturen anzugehen, bietet die Domberg-Akademie jetzt auch eine Politiksimulation dazu an, in der die Teilnehmenden die Rolle von fiktiven Akteuren übernehmen, Themen diskutieren und mögliche Handlungsoptionen entwickeln (S. 16 des Magazins der Domberg Akademie): https://issuu.com/domberg-akademie/docs/da2301_web-pdf_230105/16


Verfasst von:

Sarah Weiß

Freie Autorin