Ausgabe: Juli-August 2023
InterviewIhr seid auf dem richtigen Weg!

Erstmals wurde ein Nichtpriester Leiter des Katholischen Büros Bayern. Dr. Matthias Belafi bildet die Spitze der Kontaktstelle zu Politik und Gesellschaft. Mit Gemeinde creativ hat er über das Verhältnis von Politik und Kirche in Bayern gesprochen, über die Rolle von religiösen Argumenten in politischen Debatten und darüber, dass engagierte Gläubige kein Sonderfall sein dürfen.
Gemeinde creativ: Ich hoffe, Sie haben sich bereits gut eingelebt in Ihren neuen Räumen, wie sieht Ihr Arbeitsalltag gerade aus?
Matthias Belafi: Die ersten Wochen und Monate sind davon geprägt, mich in meiner neuen Position vorzustellen und Gremien zu besuchen. Die vielen verschiedenen Beteiligten kennenzulernen, ist momentan das A und O, sei es im staatlichen, gesellschaftlichen oder innerkirchlichen Bereich. Bei diesen Antrittsbesuchen geht es zunächst nicht um eine inhaltliche Agenda, aber im gegenseitigen Austausch kommen dann immer gleich auch die inhaltlichen Themen auf.
Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Politik und Kirche in Bayern beschreiben?
Das ist in Bayern schon ein besonderes Verhältnis. Aufgrund der starken Verwurzelung der Kirche in der Gesellschaft pflegen beide Bereiche einen intensiven Umgang miteinander. Das finde ich schön und das erleichtert auch Vieles. Zudem gibt es viele verschiedene Player, mit denen man sich vernetzen muss. Gleichzeitig kann diese besondere Verwobenheit natürlich immer mal wieder auch ein Punkt der Kritik sein und Anlass für die Forderung, das Zueinander neu zu gestalten. Doch das Verhältnis einer Trennung von Kirche und Staat bei gleichzeitiger Möglichkeit der Kooperation hat sich bewährt: Kirche soll nicht der Staat sein und der Staat keine Kirche. Beide kümmern sich jedoch um die gleichen Menschen und sie arbeiten dort zusammen, wo sie gleiche Anliegen haben. Es heißt ja oft, in Bayern gehen die Uhren anders, aber ich glaube, oftmals gehen sie auch nur nach. Das betrifft allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen wie die Säkularisierung. Das wird in Bayern nicht auf ewig ausbleiben, die Veränderungen gibt es auch hier und die potenzielle Fallhöhe ist in Bayern noch größer. Aber meine Hoffnung ist trotzdem, dass Bayern immer auch ein wenig besonders bleibt.
Wie können Konflikte zwischen religiösen Gruppen und politischen Entscheidungsträgern gelöst werden?
Aufgrund der gesellschaftlichen Verschiebungen durch die zunehmende Säkularisierung wird auch das Konfliktpotential größer. Ich glaube allerdings, dass das Problem gar nicht so sehr in wirklichen Konflikten liegt, sondern eher in einem zunehmend mangelnden Verständnis für kirchliche oder noch besser gesagt: für religiöse Fragen insgesamt. Denn mit Religion sind ja immer auch Besonderheiten verbunden sind. Einerseits geht es um spezielle Bedürfnisse und auch spezielle Ansprüche, Kirche und Religion leisten aber vor allem auch spezifische Beiträge für die Gesellschaft und das Gemeinwohl. Und meine Sorge ist, dass das Verständnis dafür ein stückweit verloren geht.
Wie können Politiker sicherstellen, dass sie bei Entscheidungen, die die Religionsfreiheit betreffen, die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger respektieren?
Zunächst umfasst die Religionsfreiheit eine positive und eine negative Dimension, also sowohl die Freiheit zu glauben als auch die Freiheit nicht zu glauben. Der Staat ist allen Bürgern verantwortlich und muss beide Dimensionen schützen. Bei einer zunehmenden gesellschaftlichen Säkularisierung kommt aber vor allem die positive Religionsausübung unter Druck. Deshalb muss die individuelle, gemeinsame und institutionelle Religionsausübung gewährleistet werden. Auch in Bayern wird es zu mehr Anfragen an das Selbstbestimmungsrecht der Kirche kommen, inwieweit das alles noch zeitgemäß ist. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir ein sehr freiheitliches Religionsverfassungsrecht haben, das auch dem Wohl der Gesellschaft dient, gerade wenn im Zuge der Pluralisierung weitere Religionen mit ins Spiel kommen. Denn unser Religionsverfassungsrecht kann auch nur Bestand haben, wenn es für alle gleichermaßen gilt. Das ist der Lackmustest, den wir noch bestehen müssen.
Würden Sie sagen, dass religiöse Argumente in politischen Debatten eine Rolle spielen sollten?
Vielleicht geht es weniger darum, ob sie eine Rolle spielen sollen als ob sie eine Rolle spielen dürfen. Und das ist zu bejahen. Dafür sollten sie aber – ganz im Sinne von Habermas - rational zugänglich und damit auch gesellschaftlich anschlussfähig sein. Dann werden religiöse Argumente auch gehört. Und in diesem Sinne sollten sie meines Erachtens dann auch eine Rolle in der gesellschaftlichen Debatte spielen, gerade weil Religionen auch Fragen beantworten können, die andere nicht mehr beantworten. Wenn es beispielsweise um die Letztbegründung der Menschenwürde geht, da macht es einen Unterschied, ob ich im christlichen Kontext aus der Unverfügbarkeit des Menschen heraus argumentiere. Das christliche Menschenbild ist ein vernünftiges und realistisches Menschenbild. Es geht vor allem auch von der Fehlerhaftigkeit des Menschen aus. Das kommt heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen und Debatten gar nicht mehr vor, z.B. in der perfekten Social-Media-Welt oder bei der Diskussion um Straßenbenennungen. Dabei gibt es den perfekten Menschen ja gar nicht.
Sollte die Kirche in politischen Fragen eine Meinung haben und diese öffentlich äußern?
Kirche muss sich unbedingt einmischen. Nicht gerade bei kleinteiligen tagespolitischen Fragen. Ich weiß nicht, ob die Kirche nun wirklich besser weiß, ob der Mindestlohn bei exakt 13,10 statt 12,80 EUR liegen muss. Die Kirche ist nicht die bessere Partei. Doch bei Grundsatzfragen muss Kirche selbstverständlich ihre Stimme erheben. Denn es ist Bestandteil unseres Glaubens, nicht nur auf jenseitige Erlösung zu hoffen, sondern sich jetzt schon für Gerechtigkeit und Frieden, für eine bessere Welt einzusetzen.
Wie beeinflusst die religiöse Überzeugung von Politikern ihre politischen Entscheidungen?
Natürlich haben alle Menschen und damit auch alle Politiker unterschiedliche Prägungen. Aber es ist schön, dass es gerade in Bayern noch sehr viele Menschen gibt, die sich gerade auf Grundlage ihrer christlichen Überzeugung in der Politik engagieren. Trotzdem muss man in einer pluralen Gesellschaft auch bereit sein, mit allen anderen in Kontakt und Dialog zu treten. Der Anspruch an einen Politiker ist natürlich, Politik für alle Menschen zu machen. Dazu muss man auf einer vernünftigen Basis überlegen, was dem Menschen gemäß ist, und darf keine allzu partikularen Interessen einbringen. Und da hilft es meines Erachtens dann auch wieder, dass das christliche Menschenbild so anschlussfähig ist, dass es eine gute Grundlage für politische Entscheidungen bilden kann.
Wie wird die Zusammenarbeit zwischen Pfarrgemeinden und politischen Institutionen in Bayern organisiert?
Mir ist es wichtig, dass wir ehrenamtlich Engagierte unterstützen und ermutigen. Wer sich vor Ort in der Pfarrei engagiert, ist kein Sonderling, sondern wir sind als Kirche eine große Gemeinschaft von ganz vielen Engagierten. Mir ist in den vielen Gesprächen der letzten Monate noch einmal klar geworden, wie stark für viele der Auftrag, für andere da zu sein, mit dem Christentum verbunden ist. Auch Menschen, die sich christlich motiviert in der Politik engagieren, sollten von Seiten der Kirche nicht nur kritisiert werden, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, sondern sollten vor allem ermutigt werden. Insgesamt ist für das gesellschaftliche Engagement aus der katholischen Soziallehre so ein reicher Schatz zu heben. Viele katholische Verbände pflegen das schon seit jeher. Vielleicht muss man in der Zukunft auch neue Formen finden, wie man Engagierte stärken und ihnen noch mehr sozialethisches Wissen mitzugeben kann.
Was würden Sie sich von der Landespolitik wünschen und was von den bayerischen Bischöfen?
Von der Landespolitik würde ich mir wünschen, dass sie sich das Verständnis bewahrt für das, was Kirche ausmacht, was Religion ausmacht, für ihre Besonderheiten, und dass man nicht nur auf die Zahl der Mitglieder schaut, sondern vor allem darauf, was die Kirche beizutragen hat. Von den Bischöfen würde ich mir wünschen, dass sie ein Gespür dafür haben, was es an politischen Notwendigkeiten und Zwängen gibt, dass Politik Kompromisse erfordert, und dass sie in diesem Sinn stets die Zeichen der Zeit erkennen und die gesellschaftlichen Entwicklungen, in die wir als Kirche hineingestellt sind, auch mitbegleiten. Wenn beide Wünsche in Erfüllung gehen, dann spricht das auch in Zukunft für ein gedeihliches Miteinander von Staat und Kirche.
Haben Sie einen Appell oder eine Ermutigung für die vielen ehrenamtlich Engagierten vor Ort?
Ich denke, die Ermutigung besteht schon darin zu sagen: Ihr seid gar nicht allein, wir stehen als ganze Gemeinschaft ein. Ihr seid nicht die Ausnahme, auch wenn man sich oft fragt: Wozu mache ich das alles eigentlich? Aber genau diese Engagierten machen es gerade richtig. Es ist wichtig, sich für andere einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Davon lebt die Gesellschaft. Ihr seid auf dem richtigen Weg und nicht diejenigen, die sich zurückziehen.
Matthias Belafi
Die bayerischen Bischöfe beriefen den promovierten Politologen Matthias Belafi (45) zum 1. März 2023 an die Spitze der Verbindungsstelle der katholischen Kirche zu Politik und Gesellschaft. Matthias Belafi leitete in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf seit 2018 das Referat „Kontakte zu Kirchen, jüdischen Kultusgemeinden und sonstigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Religionsverfassungsrecht“. Davor war er mehr als zehn Jahre lang im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn als Geschäftsführer der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen mit der bundes- und europapolitischen Positionierung der deutschen Bischöfe befasst. Belafi ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der Synodalversammlung des Synodalen Wegs. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.