Ausgabe: Juli-August 2023
ÖkumeneWarum die Welt so kompliziert ist

Christliche Bildungshäuser bemühen sich um breiten Diskurs zu politischen Themen
In jeder Diözese Bayerns gibt es sie: Katholische Häuser, in denen Menschen zusammenkommen, um über aktuelle Fragestellungen zu diskutieren und sich politisch zu bilden. In Würzburg erfüllt die Domschule diese Aufgabe. Im Juli 2023 gab es hier zum Beispiel eine Veranstaltung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die heuer 75 Jahre alt wird. Während der Corona-Zeit wurde kontrovers zum Thema „Impfpflicht“ diskutiert.
Jede Politikerin und jede Partei will das, was sie tut und was sie getan hat, in günstigem Licht darstellen. Ganz logisch. Schließlich möchte man Wählerstimmen gewinnen. Manches jedoch, was auf den ersten Blick günstig und vorteilhaft erscheinen mag, ist es beim zweiten, tieferen Blick nicht. Politische Bildung bemüht sich um tiefere Blicke. Jenseits von Parolen werden Themen facettenreich beleuchtet. Eben darum bemühte sich die Würzburger Domschule in einer zusammen mit der Uni Würzburg veranstalteten Ringvorlesung zum Thema „Menschenrechte“. In zwölf Einzelveranstaltungen wurden bis Juli 2023 verschiedene Aspekte des Themas fokussiert.
Politische Bildung will zum Hinterfragen anregen und sie will hellhörig machen. Dies geschieht dadurch, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen, mit beruflich bedingt ganz unterschiedlichen Einsichten und mit ganz unterschiedlichen Erkenntnissen zusammenkommen und sich austauschen. Einen Austausch zu führen, ist heute allerdings alles andere als einfach, meint Rainer Dvorak, Direktor der Würzburger Domschule: „Und zwar vor allem deshalb, weil unsere Gesellschaft sehr plural geworden ist.“ Die Herausforderung besteht darin, diese Pluralität zu bewältigen. Wird der Austausch unterbunden, drohen Gefahren für den sozialen Frieden.

Bedeutet es nun aber ein letztlich inkonsequentes Verhalten politischer Bildner, wenn sie zum Beispiel Funktionäre der AfD von vornherein ausschließen? Eine heikle Frage. „Bei einer unserer Mitgliederversammlungen hatten wir darüber eine lange Diskussion“, sagt Achim Budde, Direktor der Katholischen Akademie in Bayern und Vorsitzender der Katholischen Erwachsenenbildung. Am Ende sprachen sich die Mitglieder, verbunden mit einer Öffnungsklausel, für ein Teilnahmeverbot von AfD-Funktionären aus. Dabei sei es jedoch nicht darum gegangen, Diskurse einzuengen, unterstreicht Budde. Man habe nur die Erfahrung gemacht, dass AfD-Funktionäre oft keine gute Diskurskultur pflegen.
„Auch uns ist es wichtig, Denk- und Diskursräume offen zu halten“, betont Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing: „Dies gilt für das Nebeneinander von sich ergänzenden Perspektiven wie auch für die Kontroverse.“ Das Tutzinger Angebot zielt laut Udo Hahn darauf ab, dass sich die Teilnehmenden am Ende selbst ein Urteil bilden können. Bei einer Wochenendtagung dürfen darum bis zu 15 Referentinnen und Referenten ihre Positionen vorstellen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werde versucht, Themen so differenziert wie möglich zu bearbeiten.
Alles ist hochkomplex
Seit der Jahrtausendwende hat sich die Welt dramatisch verändert. Als Folge der Terroranschläge am 11. September 2001 startete der Krieg gegen Afghanistan. Am 20. März 2003 begannen, wie wir heute wissen, mit einer unwahren Behauptung, die „militärischen Operationen zur Entwaffnung des Iraks“. 2011 half die Nato, unter, wie der Spiegel damals schrieb, Umgehung des Gewaltverbots in der UNO-Charta, den Rebellen in Libyen, den dortigen Diktator zu verjagen. 2014 annektierte Russland die ukrainische Krim, 2022 begann der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Jedes einzelne Ereignis ist hochkomplex. Jedes einzelne kann kontrovers diskutiert werden.
Gerade angesichts dieser Komplexität müsste im Grunde noch viel mehr politische Bildungsarbeit geleistet werden, vor allem gilt es, die eine oder andere Lücke noch zu schließen. „Grundsätzlich nehmen wir ein großes Interesse daran wahr, zu verstehen, warum die Welt so kompliziert ist“, sagt Achim Budde. Vor Ausbruch der Corona-Krise nahmen denn auch rund 150.000 Menschen im Jahr die politischen Angebote der katholischen Erwachsenenbildung in Bayern wahr. Nach wie vor allerdings gibt es Bevölkerungsgruppen, die nur schlecht erreicht werden. Zum Beispiel Menschen, die eine andere als die deutsche Sprache sprechen.
Angesichts der Komplexität dieser Welt ist es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, immer bestens informiert zu sein. Doch interessiert sein, das sollte man als Christ, sagt Siegfried Grillmeyer, Akademiedirektor des Caritas-Pirckheimer-Hauses in Nürnberg. Haben Christen doch den Auftrag, die Welt positiv mitzugestalten. Nun kann man nur das mitgestalten, was man auch kennt. Um die Welt kennen zu lernen, ist es für Siegfried Grillmeyer wichtig, sich „multiperspektivisch“, wie er das nennt, zu informieren. In der politischen Bildungsarbeit gelte es, Begegnungs- und Beziehungsräume zu schaffen.
Verhärtungen aufbrechen

Vor dem Computerbildschirm funktioniert zwar reiner Wissenserwerb. Aber Bildung ist mehr als die Aneignung von nüchternen Fakten. Um auf der Basis von Fakten Welt mitgestalten zu können, braucht es den Austausch. In den aktuell emotional aufgeladenen Zeiten, in denen sich Fronten verhärten und Debattenräume enger werden, man denke nur an die hitzig geführten Gender-Diskussionen, wird dieser Austausch und werden Austauschräume immer bedeutsamer. Grillmeyer lädt in seine Akademie alle ein, die echtes Interesse an Austausch haben. Die inzwischen eingetretenen Verhärtungen aufzubrechen, hat er erfahren, ist in der Praxis alles andere als leicht.
Wer das Parlament als Quasselbude betrachtet und jegliches Vertrauen in öffentliche Institutionen bis hin zum Statistischen Bundesamt verloren hat, bietet keine Grundlage mehr für einen Diskurs. „Studien zufolge lassen sich zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung nicht mehr über Aufklärung erreichen“, so der Nürnberger Akademiedirektor. Erschreckend seien Hinweise darauf, dass die durch radikale politische Einstellungen bedingte Spaltung in der Gesellschaft zunimmt. So seien in der Corona-Krise sogar Partnerschaften an extrem divergierenden Haltungen zerbrochen. Das wiederum zeigt für Grillmeyer, wie essenziell politische Bildung ist, um hier gegenzusteuern.
In sozialen Netzwerken wird man bekanntlich mit Infos aus der eigenen Bubble gefüttert, und zwar intensiv und in einem fort. Sich politisch zu bilden, bedeutet für Barbara Schmidt, Direktorin der Katholischen Landvolkshochschule Niederalteich, genau das Gegenteil: „Es heißt, sich gerade auch mit Meinungen auseinanderzusetzen, die erst mal nicht so angenehm sind.“ Ihr Ziel ist es, Veranstaltungen zu konzipieren, die so kontrovers und facettenreich sind, dass jeder einzelne am Ende mit neuen Erkenntnissen herausgeht.
In einer guten politischen Bildungsveranstaltung trifft derjenige, der aufs Gymnasium gehen konnte, auf den Absolventen einer Mittelschule. Derjenige, der vor Ort arbeitet, trifft auf jemanden, der die Weltlage im Blick hat. Auch Barbara Schmidt ist es wichtig, möglichst unterschiedliche Erfahrungen einzubeziehen. Sehr gut gelang dies unlängst bei einer Veranstaltung zum Thema „Welthunger“. Diskutiert wurde darüber, ob man nicht angesichts der Notwendigkeit, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, auf Blühstreifen verzichten könnte. Gleichzeitig kam eine lebhafte Debatte über die globale Verteilungsgerechtigkeit auf.