Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2023

Schwerpunkt

Inklusion! – davon profitieren alle!

Weltjugendtag-Fusswallfahrt bei St. Afra im Felde im August 2005. Foto: Angelika Prem

Inklusion wird heute weit gefasst und meint ein selbstverständliches Miteinander von unterschiedlichen Menschen. Im Folgenden werden insbesondere die Veränderungsmöglichkeiten und notwendige Öffnungsschritte für und mit Menschen mit Behinderung erörtert.

Teilhabe und, ganz wichtig, auch „Teilgabe“ (Andreas Lob-Hüdepohl), an den Angeboten einer Pfarrei sind erste Bausteine. Während in der Regel bauliche Barrieren minimiert und oft ganz abgebaut werden können durch rollstuhlgerechte Zugänge, Induktionsschleifen etc., sind Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung eher weniger im Blick. Im Zuge der Ambulantisierung sind in den vergangenen Jahrzehnten viele kleinere Wohneinheiten für Menschen mit Behinderung in den politischen und damit auch in den kirchlichen Gemeinden entstanden, die für alle Beteiligten eine große Herausforderung sind. Wie können Menschen mit Behinderung am Gemeindeleben partizipieren?

  1. Inklusion in kirchlichen Gemeinden braucht eine große Offenheit und Mut, sich auf etwas Neues, auf andere Lebenswelten einzulassen. Vor allem gilt es, Barrieren in den Köpfen und Herzen abzubauen.
  2. Betroffene wollen am kirchlichen Leben partizipieren und schätzen ihren Glauben, vor allem auch als Bewältigungsstrategie für ihr Leben mit einer Behinderung.
  3. Kleine geistliche Gemeinschaften von Menschen mit und ohne Behinderung sind eine geeignete Grundlage, Diakonie und Spiritualität gemeinsam zu leben und davon zu profitieren. Das LyDiagebet in Augsburg ist zum Beispiel ein offenes Angebot für Alle. In Leichter Sprache wird an jedem Werktag mit einer „3“ im Datum in der Liturgie ein diakonisches Anliegen aufgegriffen. Im Anschluss ist Begegnungsmöglichkeit im Café. Auch die heilige Lydia (vgl. Apostelgeschichte) stellte ihr Haus für Gottesdienst und Begegnung zur Verfügung.
  4. Es braucht ein wechselseitiges Aufeinander-Zugehen. Aufgrund von Verletzungen und Empfindsamkeiten, die sich aus den gesellschaftlichen Bedingungen ergeben, tut es Betroffenen gut, wenn sie eigens eingeladen werden und auf diese Weise Wertschätzung erfahren. Hier braucht es anfangs eine nachgehende Seelsorge: Wo und wie leben Menschen mit Behinderung auf dem Gebiet unserer Pfarrei?
  5. Für den inklusiven Prozess sind Begegnungsräume für Menschen mit und ohne Behinderung wesentlich. Jeder Gemeinde sollte es deshalb ein Anliegen sein, Begegnungs- und Entwicklungsräume zu schaffen, damit Menschen mit und ohne Behinderung die Erfahrungen ihres Lebens und Glaubens miteinander teilen können.
  6. In den größer werdenden Seelsorgeeinheiten ist ein großer runder Tisch geeignet, einen inklusiven Prozess anzustoßen und zu begleiten. In vielen Pfarreiengemeinschaften gibt es den Pastoralrat. Gerade hier können sich Betroffene (Menschen mit Behinderung, Angehörige) zusammen mit Fachleuten, Hauptamtlichen aus dem Seelsorgeteam, Vertretern aus den Pfarrgemeinderäten etc. mit ihren spezifischen Kompetenzen und Erfahrungen einbringen.
  7. Es ist für Betroffene weiterhin wichtig, auch exklusive Angebote anzubieten wie beispielsweise Selbsthilfegruppen, Gesprächs- und Bibelkreise etc. Hier können sich Betroffene unter ihresgleichen austauschen, was ebenfalls zur gegenseitigen Bestärkung und Lebensbewältigung beiträgt.
  8. Kirche gewinnt an Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft, weil sie so authentisch das Evangelium lebt. Dies kann aber nicht die einzige Motivation sein, denn es geht um einzelne Menschen, die sich begegnen. Damit kommt ein dynamischer Prozess in Gang!

 

Menschen als gleichwertige Partner akzeptieren und deren gegenseitige Beziehungen durch einen Dialog ‚auf gleicher Augenhöhe’ gestalten, könnte als Überschrift unter einer inklusiven Gemeinde stehen. Das ist ein Prozess, der nie abgeschlossen sein wird. In der Gemeinde St. Ulrich und Afra in Augsburg beispielsweise wurde im Rahmen der sogenannten Tage des sozialen Engagements zum Weltjugendtag (WJT) in Köln folgendes Projekt ins Leben gerufen. Gemeindemitglieder des Caritas - Ulrichsheims (Wohnheim für Erwachsene mit geistiger Behinderung) und den angegliederten Außenwohngruppen der Caritaswohnstätten planten mit dem WJT-Projektteam aus der Kirchengemeinde eine gemeinsame Aktion mit den ausländischen Gästen aus Polen und Frankreich. Dabei kam es allen Beteiligten darauf an, dass die „Besichtigung“ des Ulrichsheims nicht die Lösung sein kann. In der Gesprächsrunde vom WJT-Vorbereitungsteam mit Vertretern der Wohnstätte wurde deshalb überlegt, was man denn gemeinsam tun könne. So wurde eine Fußwallfahrt von der Basilika „St. Ulrich und Afra“ über das Ulrichsheim durch den Augsburger Siebentischwald bis St. Afra im Felde (ca. 5 km; nach der Überlieferung der Martyriumsort der Hl. Afra) geplant und organisiert. Es gab unterwegs drei geistliche Stationen, von denen eine von Menschen mit Behinderung, eine von den ausländischen Jugendlichen und eine von Jugendlichen aus der Pfarrei vor Ort gestaltet wurden. Vorgabe war, die Texte und Lieder möglichst in einfacher Sprache zu gestalten. Ganz unterschiedliche Stationen (Gebete, Szenen aus dem Leben der Heiligen in Gewändern der damaligen Zeit, Musik) regten zum Nachdenken und zum Gespräch an. Beeindruckend war dabei, dass die polnischen und französischen Jugendlichen mit den jungen Erwachsenen mit Behinderung sehr gut ins Gespräch kamen. Da trug die einfache Sprache dazu bei. Sprachbarrieren gab es dadurch erstaunlicherweise kaum. [Die 30 Gäste aus Polen und ebenso viele aus Frankreich, sowie die jungen Leute mit und ohne Behinderung zeigten sich begeistert. Nach Beendigung des WJT bekamen wir aus Polen noch einen Dankesbrief des dortigen Pfarrers, indem es hieß, dass der Tag des Sozialen Engagements bei ihnen den größten Eindruck von allen Erlebnissen der Reise in Augsburg und Köln hinterlassen hätte. In dem Brief kam auch klar zur Sprache, wie bewundernswert Diakonie und Spiritualität in Verbindung gebracht werden konnten.]

Seit 2005 wird die jährlich stattfindende Pfarrwallfahrt auf ähnliche Weise gestaltet. Das Ziel der Wallfahrt ist barrierefrei. Das bedeutet zum Beispiel: Die Lieder werden in Brailleschrift ausgedruckt, eine mobile induktive Höranlage ist mit dabei und die verwendeten Texte (zum Beispiel das Evangelium in Leichter Sprache) sind möglichst einfach gehalten. Inzwischen wird auch das LeiGoLo (Gotteslob in Leichter Sprache) mitverwendet. Bei Bedarf ist auch ein Gebärdendolmetscher vor Ort. Seit 2015 gibt es zudem einen ebenfalls jährlich stattfindenden ökumenischen – möglichst inklusiven - Ausflug. Es hat sich etwas be-wegt: Auf dem ökumenischen Pfarrfest tanzt eine Gruppe aus dem Ulrichsheim. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mischen sich unter die Festbesucherinnen und -besucher. Mitglieder der Pfarreiengemeinschaft sind als Begleitpersonen bei religiösen mehrtägigen Freizeiten der Behindertenseelsorge engagiert.

Zu alldem brauchte es einen langen Atem! Doch es hat sich gelohnt!

Unser“ Glaubensbekenntnis fasst das vielleicht am besten zusammen:

V/A   Ich glaube an Gott

V/A   Er ist wie ein guter Vater oder eine gute Mutter

V/A   Für Dich für mich für alle

V/A   Ich glaube an Jesus Christus

V/A   Er ist wie ein Bruder und bester Freund

V/A   Für Dich für mich für alle

V/A   Er hat gelitten und ist am Kreuz gestorben

V/A   Für Dich für mich für alle

V/A   Er ist auferstanden von den Toten

V/A   Für Dich für mich für alle

V/A   Ich glaube an den Heiligen Geist

V/A   Er schenkt Gemeinschaft, Freude und Leben.

V/A   Für Dich für mich für alle

V/A   Am Ende meines Lebens hat Gott eine Wohnung bereitet

V/A   Für Dich für mich für alle

V/A   Amen.

 

Von einer inklusiven Gemeinde, die Menschen mit und ohne Behinderung, deren Freude und Hoffnung, aber auch Trauer und Leid einbezieht (Zweites Vatikanum, Gaudium et Spes), profitieren alle Menschen.


Verfasst von:

Thomas Schmidt

Leiter der Behindertenseelsorge und Diakon in der Pfarreiengemeinschaft St. Ulrich und Afra/St. Anton im Bistum Augsburg