Ausgabe: September-Oktober 2023
SchwerpunktInklusive Bildungsarbeit als Auftrag und Antrieb

Akademie für Alle
Bereits vor mehr als 15 Jahren leistete die Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus (CPH) als „Akademie für Alle“ Pionierarbeit auf dem Gebiet der inklusiven Bildung. Die UN-Behindertenrechtskonvention war und ist dem Team des CPH Herausforderung und Auftrag, umfassende und nachhaltige inklusive Bildungsangebote zu entwickeln. Mit historisch-politischer Bildung für alle zu den Themen Nationalsozialismus und den Menschenrechten fing es an. Es folgte das Projekt „Evangelium in Leichter Sprache“, das seit rund zehn Jahren bundesweit Maßstäbe im biblischen Bereich setzt. 2019 nahm das von der Aktion Mensch geförderte inklusive Projekt „Kultouren für alle“ im CPH Gestalt an und 2020 wurde die Akademie zum Modellstandort des inklusiven Projekts „Wie geht Demokratie?“, gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ Grundvoraussetzung für all diese Bildungsangebote ist eine barrierearme Kommunikation, zum Beispiel in Form von Leichter oder leicht verständlicher Sprache.
In den zehn Jahren, in denen Claudio Ettl Bibeltexte in Leichte Sprache überträgt, wurde ihm eine Wundergeschichte im Markusevangelium zum Schlüssel dafür, was Inklusion bedeutet: Der blinde Bettler Bartimäus will unbedingt von Jesus wahrgenommen werden. Seine Umgebung will ihn zum Schweigen bringen, doch Jesus hört ihn und ruft ihn zu sich. Er könnte Bartimäus ganz einfach sehend machen. Aber Jesus stellt zuerst die Frage: „Was willst du, dass ich tun soll?“ (Mk 10,51). Diese Frage verblüfft, denn sie wechselt die Perspektive, kehrt das Verhältnis zwischen scheinbar hilfebedürftiger Person und scheinbar hilfefähiger Person um. Jesus „heilt nicht einfach los“, was heute als Ableismus bezeichnet würde. Er fragt vielmehr, was Bartimäus braucht. Der Blick geht damit nicht von oben nach unten, sondern auf gleicher Augenhöhe vom einen zum anderen. Bartimäus entscheidet für sich selbst, was mit ihm geschehen soll und Jesus handelt entsprechend. Dieser Perspektivenwechsel sollte der Maßstab für Inklusion sein: Achtsam die anderen wahrnehmen und nach ihren Sehnsüchten, Bedürfnissen und Erwartungen fragen. Und erst dann darauf mit dem antworten, was ich bieten kann und was mir zur Verfügung steht.
Die hier vorgestellten inklusiven Projekte der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus bauen auf genau diesem Prinzip auf.
Endlich verständlich – Evangelium und Bibel in Leichter Sprache
Im Projekt „Evangelium in Leichter Sprache“, das im Caritas-Pirckheimer-Haus beheimatet ist, überträgt ein bundesweites Team seit zehn Jahren Bibeltexte in Leichte Sprache. Zum Team gehören: Schwester Paulis Mels von den Franziskanerinnen von Thuine; Lara Mayer vom Katholischen Bibelwerk Stuttgart e.V. sowie der projektverantwortliche Claudio Ettl mit Barbara Reiser als Prüfleserin, beide von der Akademie CPH. Leichte Sprache ist eine barrierefreie Art des Schreibens mit festen Regeln. Sie richtet sich in erster Linie an Menschen mit Lernbeeinträchtigung, die mit ihrer Hilfe gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Damit das gut funktioniert, ist auch hier der Perspektivwechsel wesentlich: Menschen mit Lernschwierigkeiten sind deshalb von Anfang an dabei und wirken bei der Entwicklung eines Textes in Leichter Sprache mit. Alle Texte werden immer wieder von Prüflesenden aus der Zielgruppe getestet – bis die Übersetzung eines Bibeltextes in Leichte Sprache für alle wirklich verständlich und nachvollziehbar ist. Dass das kein schneller Prozess sein kann, liegt auf der Hand. Doch inzwischen liegen sämtliche Evangelientexte der Sonntagsgottesdienste in Leichter Sprache vor. Sie werden ergänzt durch Farbillustrationen sowie durch Kommentare und praktische Hinweise zu den Einsatzmöglichkeiten. Alle Texte sind kostenlos im Internet verfügbar und inzwischen auch in gedruckter Form im Buchhandel erhältlich. Die Webseite www.evangelium-in-leichter-sprache.de bietet außerdem Audiodateien und Videos aller Bibeltexte in Gebärdensprache.
Die Bibeltexte in Leichter Sprache sind in vielen Kirchengemeinden im Einsatz – nicht nur im Bereich der Seelsorge für Menschen mit Behinderung, sondern auch in Kindergottesdiensten, Religionsunterricht und Seniorenarbeit.
2022 startete ein neues Projekt: in den kommenden Jahren werden auch die wichtigsten Texte aus allen Büchern des Alten Testaments in Leichte Sprache übertragen. Das Projektteam überträgt außerdem Texte für unterschiedlichste Anlässe und Veranstaltungen: für Kirchentage und sämtliche Katholikentage sowie den jährlichen Weltgebetstag der Frauen.
Um noch mehr Menschen für die Bibelarbeit in Leichter Sprache zu sensibilisieren, fanden in der Akademie CPH bislang drei bundesweite Werkstatt-Tagungen „Bibel und Leichte Sprache“ statt, zuletzt im Juli 2023. Hier kommen Interessierte aus ganz Deutschland zusammen, um sich zu informieren, mitzuarbeiten, sich zu vernetzen und Anregungen für die inklusive Gemeindearbeit zu holen. Außerdem finden regelmäßig Fortbildungen für Lehrkräfte und pastorale Mitarbeiter, Workshops auf Kirchen- und Katholikentagen statt.
Pionierprojekt mit Strahlkraft

Die Menschen, um die es geht, einbeziehen und die Perspektive wechseln – das war auch für die Projektentwicklung eines inklusiven Kulturprojekts wesentlich, das 2019 im CPH seinen Anfang nahm. Das von der „Aktion Mensch“ geförderte Projekt „Kultouren für alle“ entwickelte sich zu einem bisher einzigartigen Konzept für inklusive Führungen – ein Pionierprojekt, das auf breite Beachtung stößt.
In einer Planungsgruppe mit Menschen mit Assistenzbedarf und dem Behindertenrat der Stadt Nürnberg erarbeitete das Team der Akademie CPH das Konzept. Es sollte um inklusive Stadtführungen gehen, die alle ansprechen und für alle zugänglich sind. Schnell zeigte sich: Gewünscht wurde nicht nur eine Führung für Menschen mit Behinderung, sondern auch von und mit ihnen. Also selbst Führungen planen, ausarbeiten und leiten.
So entstand „Kultouren für alle“. Zweierteams – die sogenannten Kultour-Tandems, bestehend aus einer Person mit und einer ohne Assistenzbedarf – leiten eine Führung zu einem besonderen Ort oder Thema in Nürnberg. Im Vorfeld suchten sie sich Ort und Thema aus und erarbeiteten ihre Führung dazu, ganz nach dem Leitsatz: „nichts über uns, ohne uns“. Begleitet von Ausbilderin Petra Schachner und Projektleiterin Diana Löffler begaben sich die Teams zwischen Juli 2021 und November 2022 auf den mehrwöchigen Ausbildungsweg. Dabei standen sie immer im Austausch mit den anderen Tandems und holten sich deren Feedback ein. Alle Einheiten der Ausbildung gingen bewusst über rein inhaltliche Lernziele hinaus: So gehörten inklusive Schulungsmethoden, Stimmbildung und Methodenvielfalt dazu, aber auch Besuche in Museen oder Kirchen und diverse Freizeitaktivitäten.
Und: Alle lernten von allen. Jedes Treffen war automatisch eine Sensibilisierung für unterschiedliche Bedürfnisse, eine Stärkung der Gruppe und der persönlichen Ressourcen. Alle trugen etwas zum Gelingen des Projekts bei.
In den Führungen wird dieses Teilhabeverständnis weitergelebt und weitergegeben. Gäste der Führungen erleben sich selbst als kompetent und wichtig. Sie erfahren etwas über den Ort oder das Thema – und gleichzeitig über gelebte Inklusion. Während des Nürnberger HostTown-Rahmenprogramms 2023 anlässlich der Special Olympics Berlin konnten einige Sportlerinnen und Sportler der österreichischen Delegation diese Erfahrung mit einigen „Kultouren für alle“ machen.
Das große Ziel von „Kultouren für alle“ ist, dass die Kultour-Tandems mit ihren inklusiven Führungsangeboten in Zukunft ganz selbstverständlich den Stadtalltag und die Stadtführungsangebote bereichern. Und dass das Pilot-Projekt „Kultouren für alle“ des Caritas-Pirckheimer-Hauses in Nürnberg ein Vorbild für andere Städte und touristische Zentren ist.
Zur Akademie für Alle und den inklusiven Projekten des CPH
https://www.cph-nuernberg.de/ueber-uns/inklusion
Projekt Bibel in leichter Sprache:
https://www.cph-nuernberg.de/projekte/bibel-in-leichter-sprache
Kultouren für alle:
Verfasst von:
Susanne Kaiser, Claudio Ettl und Diana Löffler
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bzw. stellvertretender Akademiedirektor bzw. Leiterin des Ressorts "Kunst | Kultur | Teilhabe" Katholische Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus