Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2023

Schwerpunkt

Mit dem Rolli nach Rom

Auch Kinder im Rollstuhl können Messdiener werden, allerdings muss für den Dienst am Altar oft eine Assistenz organisiert werden. Foto: Pat Christ

Ministrieren mit Handicap

Junge Leute haben heute die Qual der Wahl, wie sie ihre Freizeit verbringen. Vielfältige Angebote locken. Nicht zuletzt in der digitalen Sphäre. Dabei bleibt manches auf der Strecke, was früher selbstverständlich war. „Wir haben zum Beispiel nur noch wenige Ministranten“, sagt Stefan Menzel, Pfarrer von Puchheim. Auf zwölf Messdiener kann er derzeit zurückgreifen: „Früher waren es 80.“ Wobei er in Kürze einen neuen Ministranten aufnehmen wird. Der Junge ist zehn Jahre alt. Und hat eine leichte geistige Behinderung.

Obwohl wir in Zeiten der Inklusion leben, ist es nach wie vor etwas Besonderes, wenn ein junger Mensch mit Behinderung Messdiener wird. Umso mehr freut sich Stefan Menzel auf Bruno (Name geändert). „Ich persönlich sehe es auch nicht als etwas Außergewöhnliches an, ein Kind, das nicht der ‚Norm‘ entspricht, als Ministranten aufzunehmen“, betont der Priester. Schon Brunos großer Bruder, der ebenfalls kognitiv eingeschränkt ist, war Ministrant gewesen. „Mit diesen jungen Menschen muss man lediglich ein kleines bisschen mehr Geduld haben, sie brauchen ein wenig länger, um die Abläufe zu verstehen“, sagt Stefan Menzel.

Bruno selbst bat darum, Ministrant werden zu dürfen: „Das war also nicht der Wunsch seiner Eltern.“ Dass Bruno aus eigener Motivation heraus diesen Wunsch gehabt hat, findet Stefan Menzel „großartig“. Gleichzeitig tut er alles dafür, mit Bruno so „normal“ wie möglich umzugehen. Der Theologe möchte es vor allem nicht an die große Glocke hängen, dass in seiner Ministrantengruppe auch Kinder mit einer Behinderung sind. „Exponiert man diese Kinder und Jugendlichen, verhindert man, was man erreichen will, nämlich Normalität“, unterstreicht er.

Wird aus irgendwelchen speziellen Anlässen über die Ministranten im Pfarrverband mit Bild berichtet, entsteht immer ein Foto der ganzen Gruppe. Innerhalb der Gruppe war Brunos Bruder nie als „besonders“ aufgefallen. Das soll künftig auch bei Bruno so sein. Stefan Menzel betont, dass es überhaupt Sensibilität braucht, um ein geistig behindertes Kind zu inkludieren: „Diese Menschen haben zum Beispiel auch etwas andere Ausdrucksformen.“

Viel emotionaler

Gerade Bruno ist sehr viel emotionaler als seine Altersgenossen. Er zeigt Freude intensiver. Und ebenso Traurigkeit. „Gefühle werden wesentlich unmittelbarer, wesentlich unverfälschter und viel authentischer geäußert, als wir das gewohnt sind“, erläutert der Pfarrer. Damit kommt nicht jeder sofort zurecht. Die anderen Kinder und Jugendlichen aus der Ministrantengruppe müssten dafür sensibilisiert werden.

In einer Pfarrei der Stadtkirche Traunstein gibt es aktuell einen Ministranten im Rollstuhl. „Er ist mit großer Begeisterung dabei“, schildert Konrad Roider, der seit Januar als Stadtpfarrer fungiert. In diesem Fall stößt die Inkludierung allein deshalb auf Schwierigkeiten, da der Altarraum nicht barrierefrei gestaltet ist. Ministriert der Junge im Rollstuhl, ist die ältere Schwester stets mit dabei. Das macht es dem Messdiener möglich, bei der Gabenbereitung den Kelch zu nehmen. Dafür braucht er seine beiden Hände: „In diesem Moment kann er also nicht den Rollstuhl bewegen, deswegen wird er von seiner Schwester zum Altar hingefahren.“

Wenn die Ministranten im nächsten Jahr nach Rom pilgern, soll der Junge im Rollstuhl mit von der Partie sein. „Zumindest, wenn er selbst das will und wenn sich seine Eltern das vorstellen können“, sagt Konrad Roider. Sicherlich wird das Kind dann an vielen Stellen Hilfen benötigen. Aber der Priester hat keine Bedenken, dass die Fahrt dennoch zu bewältigen sein wird: „Wir haben in unserer Ministrantengruppe einen starken Zusammenhalt.“

 

Hilfe beim Einstieg

Die Fahrt selbst läuft über das Jugendamt der Diözese. Busse sollen die jungen Leute nach Italien bringen. Die Schwierigkeiten werden damit beginnen, dass der Junge im Rollstuhl nicht aus eigener Kraft in den Bus steigen kann. Darauf ist Konrad Roider allerdings vorbereitet: „Ich werde ihn in den Bus tragen, das wird sicher funktionieren.“ Recht wäre es dem Theologen, wäre die Schwester des Jungen wieder bereit, mitzufahren und Assistenz zu leisten.

Viele Kirchen sind nicht barrierefrei zugänglich. Im Fall der Würzburger Kirche Stift Haug kommen Rollstuhlfahrer zumindest über den Seiteneingang ins Innere hinein. Foto: Pat Christ

„In meinem näheren Bereich in Höchberg gibt es einen Ministranten mit einer leichten körperlichen und sprachlichen Behinderung“, berichtet Matthias Lotz, Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Höchberg bei Würzburg. Der junge Mann sei allerdings völlig integriert. Der Priester denkt beim Thema „Inklusion“ allerdings nicht nur an Rollstuhlfahrer. Er ist auch sensibilisiert dafür, dass soziale Verhältnisse in den Familien für potentielle Ausgrenzung sorgen könnten. „Bei uns gibt es jedoch keine Angebote, an denen jemand aus finanziellen Gründen nicht teilnehmen könnte“, sagt er. Entstehen Kosten, werden sie von der Pfarrei getragen.

In der Volkacher Pfarrkirche St. Bartholomäus ministriert mit Martin (Name geändert) seit vielen Jahren ein junger Mann mit Down-Syndrom. Inzwischen ist Martin Ende 20. „Die Anfrage kam damals über die Mutter, die sehr engagiert ist“, berichtet Pastoralreferent Malte Krapf, der im Pastoralen Raum St. Benedikt, wozu Volkach gehört, für die Ministrantenarbeit zuständig ist. Niemand würde heute mehr bezweifeln, dass Martin ganz und gar zur Gruppe der Ministrantinnen und Ministranten gehört: „Er ist fest eingebunden.“ Keinen Hehl macht Malte Krapf allerdings daraus, dass sich Gemeinden, die inklusiv werden wollen, auf gewisse Herausforderung einstellen müssen.

Martin winkt

In einer Gruppe von Ministranten fällt ein Jugendlicher mit einem kognitiven Handicap nicht weiter auf. Foto: Pat Christ

Menschen mit geistigem Handicap, bestätigt er die Erfahrungen von Stefan Menzel, haben Eigenarten, die, wurde jemand damit noch nie im Leben konfrontiert, ein wenig irritieren können. Martin zum Beispiel winkt mitunter beim Auszug fröhlich in die Gemeinde hinein. Am Anfang hatte das für etwas Unruhe in den Kirchenbänken gesorgt. Nach all den Jahren jedoch stört dies keinen der Gottesdienstbesucher mehr. Keiner hat mehr Berührungsängste. Jeder weiß, dass Martin in mancherlei Hinsicht ein wenig anders ist. Und das ist auch gut so.

Laut Korbinian Krapf, bis vor kurzem Oberministrant in Volkach, war es für Martin am Anfang wichtig gewesen, dass es Ministranten gab, die ihn ein wenig führten. Unterstützung benötigt Martin beim Dienst am Altar dem 23-Jährigen zufolge bis heute vor allem dann, wenn ein Gottesdienst anders als routinemäßig abläuft. Eine Christmette oder ein Festgottesdienst an Ostern zum Beispiel stellen laut Korbinian Krapf hohe Ansprüche an ihn. Etwas unsicher wird Martin außerdem, kommt als Urlaubsvertretung ein fremder Pfarrer oder besucht der Bischof die Gemeinde und zelebriert den Gottesdienst mit. Selbstverständlich darf er sich auch dann einbringen.

Für sein Alter ist Martin reichlich impulsiv, ergänzt Malte Krapf. Auf der anderen Seite müsse man sich vor Augen halten, dass er intellektuell auf der Stufe jener Kinder steht, die erst vor kurzem in die Ministrantenarbeit eingestiegen sind. Vergegenwärtigt man sich diesen Umstand, wird sein Verhalten nachvollziehbar.

Dadurch, dass es Martin gibt, ist Inklusion in St. Bartholomäus zu etwas völlig Selbstverständlichem geworden. Auch Hannah Dittmann, derzeit Oberministrantin, kann sich nicht daran erinnern, dass sie jemals Berührungsängste Martin gegenüber gehabt hätte. „Durch diesen Jugendlichen lernt die gesamte Gemeinde, sich mit Anderssein auseinanderzusetzen und es zu akzeptieren“, so das Fazit von Malte Krapf.


Verfasst von:

Pat Christ

Freie Autorin