Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2023

Ökumene

Das Grundgesetz der Ökumene

20 Jahre Charta Oecumenica

Vor 20 Jahren wurde die sogenannte „Charta Oecumenica“ auf deutscher Ebene von 16 Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) unterzeichnet. Damit stimmen sie überein, sich die darin enthaltenen Verpflichtungen zu eigen zu machen. Wir haben mit der Geschäftsführerin der ACK in Deutschland, Dr. Verena Hammes, und dem Geschäftsführer der ACK in Bayern, Georgios Vlantis, über die Bedeutung und die Wirkung des „Grundgesetzes der Ökumene“ gesprochen.

Gemeinde creativ: Was war der Kontext der Entstehung der Charta?

Verena Hammes: 2001 wurde die Charta Oecumenica auf europäischer Ebene unterzeichnet. Europa stand mit dem Fall der Mauer vor neuen Herausforderungen und man hat sich überlegt, wie wir eigentlich gemeinsam auch als Kirchen ein Europa bilden können und ob wir uns miteinander auf verschiedene Leitlinien verpflichten wollen. In Deutschland wurden relativ schnell diese Leitlinien diskutiert und überlegt, wie die Charta hier rezipiert werden könne und wie wir dabei sein wollen. Da bot sich der erste Ökumenische Kirchentag an, diese Entwicklung damals war ziemlich einzigartig.

Georgios Vlantis: Um die Charta in ihren Kontext einzuordnen, muss man sich tatsächlich an die Aufbruchstimmung nach dem Niedergang des Kommunismus erinnern, sowie an die damaligen großen Identitäts(neu)bestimmungsprozesse, die mit dem Jugoslawienkrieg verbundenen Sorgen, an die Fluktuation der europäischen Bevölkerung, usw. was für Zeiten!

Wie sah Ökumene damals aus, wie Ökumene heute?

Hammes: Die Herausforderungen waren ähnlich, es gab damals schon gesellschaftliche Umbrüche. Globalisierung und Pluralisierung brachten den Gedanken hervor, dass es besser wäre, man täte sich zusammen. Wir merken, dass durch Migration internationale Gemeinden wachsen, so dass die institutionalisierte Ökumene heutzutage nicht mehr unbedingt alles das abbildet, was sich ökumenisch auch außerhalb der Strukturen entwickelt.

Vlantis: Zu der Zeit wurde auch ein wichtiges katholisch-lutherisches Dokument unterschrieben: die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Dadurch entwickelte sich eine gewisse Dynamik, immer mehr Kirchen schlossen sich an. Ende der 1990er entstand eine große Krise, die die Beteiligung der Orthodoxie an der Ökumene betraf. Heute scheint diese Krise mehr oder weniger überwunden zu sein, aber gleichzeitig sind die innerorthodoxen Spannungen sehr stark. Es gibt Kirchen, die heute als willkommene und angenehme Gesprächspartner in der Ökumene wahrgenommen werden; früher stand man ihnen mit einer Hermeneutik des Verdachts gegenüber.

Welche Bedeutung hat die Charta für die gegenwärtige ökumenische Diskussion?

Hammes: Ich glaube, es ist wichtig, tagtäglich die Charta immer wieder als Fahne hochzuhalten und zu sagen: Bitte schaut, dass ihr die anderen mit einbezieht und die Stimmen der anderen hört. Andererseits muss man in aller Ehrlichkeit auch sehen, dass oft die Ressourcen nicht so da sind, wie das beispielsweise bei den großen Kirchen der Fall ist. Das ist der Spagat, in dem wir stehen, und trotzdem ist es ganz wichtig, nicht nur in dieser bilateralen Ökumene verhaftet zu bleiben, egal, ob das jetzt bei gesellschaftspolitischen Themen der Fall ist oder bei theologischen.

Vlantis: Immer wieder hervorheben, dass Ökumene auch die Kunst des respektvollen Zuhörens ist und darauf hinwirken, dass das gute theologische Argument gewinnt; zu verstehen, warum sie so denken, wie sie denken – nicht aus der Perspektive einer Überheblichkeit heraus, sondern aus dem ernsthaften und ehrlichen Willen, von ihnen zu lernen: Was sind ihre theologischen Gründe und welche historischen Erfahrungen gehören dazu? In allen Kirchen erleben wir Asymmetrien, jede Kirche wächst in bestimmten Kontexten und hat ihre Lasten und ihre Gaben. Ich würde jedenfalls vor maximalistischen Anliegen von der Ökumene warnen. So was erzeugt nur Frustration und würde den Menschen ein wichtiges Stück Freude am Glauben und Evangelium rauben.

In vielen Bereichen des kirchlichen Lebens gibt es immer noch konfessionelles Kirchturmdenken. Wird das besser oder schlimmer?

Hammes: Die Charta ist sicherlich eine Verpflichtung, die noch nicht eingelöst ist, sie ist auch kein Allheilmittel. Wir müssten vielmehr betonen, dass nicht das, was wir gemeinsam tun, begründungspflichtig ist, sondern das, was wir immer noch getrennt tun. Gerade in den großen Kirchen wird noch viel um sich selbst gedreht. Wenn die Luft dünner wird, fokussiert man sich eher auf die Kerngemeinden und den konfessionellen Kirchturm. Da wünsche ich mir etwas mehr Freiheit für ökumenische Aufbrüche, aber ohne Frage, es gibt auch ganz großartige Initiativen vor Ort.

Vlantis: Von den großen Krisen durch Austritte und mangelnder Aufarbeitung und Transparenz sind mehrere Kirchen betroffen. Eine Chance läge in der Zusammenarbeit: Wie sieht es aus in der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen? Wie gehen etwa Nachbargemeinden in der Aufarbeitung, der pastoralen Versorgung und der Immobilienfrage um?

Was können die Menschen, die sich noch vor Ort engagieren, angesichts des „Grundgesetzes der Ökumene“ tun, wie sie motivieren?

Hammes: Ich glaube, da gibt es kein Allheilmittel, dass jede Gemeinde eine Checkliste bekommt, sondern es ist auf die lokale Situation zu schauen: Gibt es überhaupt schon Kontakte? Ich glaube, das wichtige ist immer die persönliche Begegnung. Menschen aus anderen Konfessionen, Kirchen und Gemeinden einladen, im Kirchenraum die Liturgie mitzuerleben, dann vielleicht im Nachhinein ein kleines Gespräch haben. Ganz wichtig ist mir die innere Haltung, dass mir der andere Partner nichts Böses will. Ich glaube erst einmal fest daran, dass er ebenso wie ich Glied am Leib Christi ist. Das Bistum, die Landeskirche, die regionale ACK haben ebenfalls Angebote. Das Thema Ökumene soll mehr Entlastung sein als Belastung. Es geht nicht um einen freien Kalendertermin, an dem ich noch ein wenig Ökumene mache. Manche Termine könnte auch der Kollege oder die Kollegin aus der anderen Konfession übernehmen.

Vlantis: Mir ist es sehr wichtig, dass die Gemeinden die Freude an der Theologie neu entdecken. Wir sind geprägt von Überzeugungen, die auch die verschiedenen konfessionellen Profile ausmachen und die sich auch in der Vielfalt der Theologien ausdrücken. Christinnen und Christen könnten neugieriger werden – und das ist spannend: Was ist das gottesdienstliche Verständnis eines Freikirchlers, was glaubt ein anderer über den Heiligen Geist, wie ist es mit der Musik bei den anderen Kirchen? Die Menschen können auch stolz auf die Vielfalt dieser Traditionen sein. Begegnungen auf persönlicher Ebene sind von absoluter Bedeutung. Wie oft laden wir Menschen aus anderen Konfessionen ein, um etwas von ihrer Tradition zu erzählen? Warum machen wir nicht all das gemeinsam, was gemeinsam getan werden kann?

Vielen Dank für das Interview!

 

Foto: Fotoagentur Kiderle

Verena Hammes ist als promovierte römisch-katholische Theologin seit 2019 Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Sie leitet die Geschäftsstelle, die Ökumenische Centrale, in Frankfurt am Main und hat dort das römisch-katholische Referat inne.

 

Foto: Fotoagentur Kiderle

Georgios Vlantis arbeitet seit Mai 2016 als als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Bayern; er ist der erste orthodoxe Christ in diesem Amt. Er ist noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Theologischen Akademie von Volos, Griechenland tätig.

 

 

 


Verfasst von:

Gemeinde Creativ

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