Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: November-Dezember 2023

Kommentar

Neue Bräuche sind sehr hilfreich!

Foto: privat

Bräuche und gemeinsame Rituale sind wie ein Geländer, wie eine Führungsstange durchs Jahr, insbesondere durchs Kirchenjahr. Sie geben die Richtung im Jahresverlauf an, bieten Halt und sind sinnstiftend auch für die Menschen, die nicht unbedingt religiös schwer aktiv sind. Dabei müssen wir uns um unsere althergebrachten Bräuche rund um die Feste im Jahreskreis nicht mehr groß kümmern. Weihnachten, Ostern und auch andere im Alltag weniger präsente Feste ohne eigene Feiertage werden immer noch sehr häufig mitgestaltet und zelebriert. Selbst in der Großstadt ziehen bei uns in der Innenstadt an St. Martin bis an die 1.000 Menschen mit unserem Holzpferd und dem seinen Mantel teilenden Heiligen durch die Straßen.

Wichtiger ist es aber gerade die Bräuche in die Erinnerung zu bringen, die im Bewusstsein der Menschen ganz verloren zu gehen drohen. Wer kennt schon die immer noch existierende Läuteordnung unserer Kirchenglocken, das Angelus-Gebet morgens, mittags und abends oder das Freitagsläuten um 11 und 15 Uhr? So stehe ich mit einer Taufgesellschaft samstags um 15 Uhr am Kircheneingang, alle Glocken läuten zusammen den Sonntag ein und ich frage spontan die Anwesenden, ob sie denn wüssten, warum es jetzt läutet? Die Antwort: „Wegen unserem Täufling!“ kam prompt und ist nett gemeint. So quittiere ich sie mit einem etwas launigen: „Das wäre natürlich auch ein guter Grund!“ Nur der nächsten Antwortversuch, weil doch jetzt Feierabend sei, machte mich dann doch etwas sprachlos und alarmierte in mir die Notwendigkeit, wie wichtig einfach Wissensvermittlung und Aufklärung in Sachen gelebtes Brauchtum wirklich sind. Den Grundsatz, dass nur, wer seine Religion und die Abläufe kennt, auch mit anderen darüber sprechen kann, hat man unserer Generation schon als Schüler beigebracht. Es war die fundamentale Begründung des Religionsunterrichts: Wir bewerten hier nicht euren Glauben, sondern Euer Wissen um den Glauben!

Natürlich haben auch Bräuche ein ganz natürliches Verfallsdatum oder sind auf ganz spezifische Örtlichkeiten begrenzt. Genauso können und sollen auch neue Rituale und Gebräuche entstehen. Feste, regelmäßige Termine dafür anzusetzen, ist dabei sehr hilfreich, um neue, vielleicht sogar ungewöhnliche Brauchtumsfeiern zu etablieren. In unserer Pfarrei sind so in den letzten Jahrzehnten neben einer seit 1933 bestehenden Fahrzeugsegnung vor der Reisezeit in den Sommerurlaub auch andere Gottesdienste zu einem Muss und einer jährlich wiederkehrenden Pflichtveranstaltung für sehr viele Menschen geworden: unser Faschingsgottesdienst mit allen Faschingsgilden in und um München am ersten Sonntag nach der Weihnachtszeit, die Viecherlmesse mit der feierlichen Segnung von Tier und Mensch Anfang Juli und eine Hochhaus-Bergmesse mitten in München zu Beginn der Sommerferien.

In einer Großstadtgemeinde sind etliche Bräuche um die großen Kirchenfeste herum, die auch heute zum Zusammenleben im ländlichen Raum gehören, nicht mehr vorhanden. Das ist nun mal den Lebensbedingungen in einer Großstadt geschuldet. Wir sind aber als Gemeinde bemüht, all das den Menschen nahe zu bringen, was noch möglich ist, wie die Feier bekannter Heiliger vom Bischof Nikolaus über den Hl. Josef bis zum eigenen Kirchenpatron St. Maximilian. Die Gestaltung neuer Bräuche und Rituale sind dabei in besonderer Weise hilfreiche Begleiter und Unterstützer und bedeuten keinesfalls das Ausweichen oder Abkehren von früheren Gebräuchen.

 


Verfasst von:

Rainer M. Schießler

Pfarrer in München