Ausgabe: November-Dezember 2023
SchwerpunktOsterei und Halloween
Geschichte und Bedeutung von Bräuchen
Bräuche und Rituale sind ein zentraler Bestandteil unseres Alltags. Manchmal sind wir uns dessen bewusst, sei es zu den Festen des Jahreslaufs wie Weihnachten und Ostern oder den Lebenslaufbräuchen wie Taufe und Hochzeit, manchmal ist es etwas versteckter, wie bei Firmenfeiern oder dem Familientreffen – bis hin zu kleinen persönlichen Ritualen. Und manchmal wird viel und teils heftig diskutiert, etwa bei Halloween oder der Frage, wer denn nun „echter“ ist, St. Nikolaus oder der Weihnachtsmann?
Die Unterscheidung von Bräuchen und Ritualen ist nicht immer trennscharf. Für die Beschäftigung mit Ritualen wird meist auf die „Rites des passages“, die Übergangsriten des französischen Ethnologen Arnold van Gennep Bezug genommen. Solche Rituale, die einen lebensgeschichtlichen Übergang markieren und begleiten, finden wir bei uns etwa bei der Firmung, der Hochzeit oder dem Begräbnis. Kennzeichnend ist, dass ein Mensch, vielleicht auch eine Gruppe, von einem Zustand, beispielsweise als lediges Paar, in einen anderen Zustand wechselt, bei der Hochzeit als Ehepaar. Solche Übergänge sind meist mehrstufig gestaltet, angefangen von der Verlobung, über die Bestellung des Aufgebotes und die Vorbereitungen, kleine Brauchelemente wie der Junggesellen- bzw. Junggesellinnenabschied, bis hin zum Höhepunkt: die sprachliche Benennung des neuen Zustandes „…erkläre ich euch zu Mann und Frau“ und der Gabe des Sakraments. Auch der neue Zustand wird dann wieder mit kleinen Handlungen markiert und öffentlich gemacht. Rituale können aber auch die Segnung einer Kirche, die Eröffnung eines Gemeindezentrums oder die Einsetzung einer neuen Regierung sein.
Bräuche haben einige Ähnlichkeiten und finden sich oft verwoben mit Ritualen. Es sind Handlungen, die eine gewisse Wiederkehr und Regelmäßigkeit haben, einen Anfang und ein Ende, und deren Bildsprache und Inhalte einer Gruppe vertraut sind und für diese identitätsstiftend ist. Steht man außerhalb einer Gruppe, dann erscheinen Bräuche manchmal rätselhaft, fremd, vielleicht gar abstoßend – oder auch pittoresk und lustig. Bräuche markieren damit auch Zugehörigkeiten, Integration oder Exklusion. Zu einer Gruppe gehört, wem der Brauch bekannt ist und der in diesen einbezogen wird.
Dabei haben Bräuche oft eine längere Geschichte, haben sich immer wieder verändert, neue Elemente bekommen, andere verloren, auch die Bedeutungen der Handlungen und Gegenstände sind ständigem Wandel unterzogen. Und so braucht es teils intensive Forschungen, um zu erkennen, „wo etwas hergekommen“ ist.
Ostern und Fasching
Ostern ist das zentrale Fest des Christentums, das über die theologische Bedeutung hinaus eine Reihe von Bräuchen begründete, etwa der Brauchkomplex von Fastnacht, Fasching und Karneval, oder die Ostereier. Beides lässt sich nicht aus dem Neuen Testament ableiten und ergab sich allmählich aus der Tradition.
Der verbindende Hintergrund ist die Etablierung der vorösterlichen Fastenzeit. Da diese nicht nur durch Essensregeln (Karneval von Carnis levanum, Wegnahme des Fleisches) markiert wurde, sondern auch weltliche Feste und Geschäfte ruhen sollten, entwickelte sich die Fastnacht (= Abend vor der Fastenzeit) zu einem Termin, bis zu dem nochmals geschlemmt werden konnte (Fasching = Faschanc, Fastenschank). Die Fastnacht war einer der Termine für Zins- und Abgabenzahlungen, die teilweise in Naturalien an die Herrschaft oder die Klöster geleistet wurden. Nachdem in der Fastenzeit auch keine Eier verzehrt werden sollten, die Hühner aber weiterhin legten, gehörten geschlachtete Hühnchen und Speisen mit Eiern zu den beliebten Abgaben und Festspeisen.
Im Laufe der Fastenzeit fielen neue Eier an und die Zahl der Hühner stieg, bis zum Ende der Fastenzeit wieder zahlreiche Eier vorlagen. Eier gehörten und gehören zu den zentralen Bestandteilen der Speisen und Kräuter, die am Morgen des Ostersonntag geweiht werden, ein Brauch, der in vielen orthodoxen Gemeinden auch heute üblich ist. Den geweihten Eiern wurde eine besondere Kraft zugesprochen, sie waren beliebte Geschenke an Paten und Verlobte. Um sichtbar zu machen, dass es sich um ein geweihtes Ei handelt, wurden diese – meist rot – gefärbt. In manchen Regionen entwickelten sich ganz eigene Varianten der Verzierungen, man denke etwa an die ukrainischen Pysanky, die irgendwann auch unabhängig von der Speisenweihe die Osterzeit als Feierzeit markierten.
Dieses heidnische Halloween
Der Name Halloween lässt sich auf das irische „All hallow’s eve[ning]“ zurückführen, also der Abend vor Allerheiligen. Genauso wie bei anderen Hohen Festen begann der Festtag bereits mit der Vigil, die mit Gebet und Lesungen verbrachte Nacht. Zu den frommen Bräuchen zählte auch die caritative Gabe von Speisen an Bedürftige, die an die Türen klopften oder denen man etwas hinstellte. Die meisten Heischebräuche – dazu zählen etwa auch das Sternsingen – finden hier ihre theologische Begründung. Die Verbindung mit dem Totengedenken entstand allmählich durch Verschmelzung der Bräuche von Allerheiligen und Allerseelen.
Mit irischen Auswanderern kam Halloween im 19. Jahrhundert in die Vereinigten Staaten und wieder waren es Arme und Hilfsbedürftige, die um Gaben vor Allerheiligen baten. Teils etwas ruppig und in Verbindung mit Rügebräuchen, bei denen unbotsames Verhalten kritisiert, aber auch Unmut über fehlende Gaben zu Scherzen oder Vandalismus führten – Trick or Treat, gib mir, oder Du bekommst Ärger. Berichtet wird daher auch von Kampagnen für ein friedliches Halloween um die Jahrhundertwende.
Der Reimport von Halloween erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg durch Feste von GIs, Spielfilme (z.B. Halloween, E.T.), die die Bildsprache und die Performanzen des Brauches bekannt machten, und schließlich seit den 1980ern durch die Marketingstrategie der Kürbisindustrie; auch der typische orange Kürbis migrierte aus den Amerikas nach Europa. Aber ein Brauch kann sich nur verbreiten, wenn er Bedürfnisse befriedigt. Nachdem andere Heischebräuche, wie das Sternsingen, schon länger in Spendenkampagnen „gezähmt“ wurden, stößt das „freie Heischen“ zu Halloween auf große Begeisterung bei den Kindern.
Bräuche machen Werte sichtbar
Bräuche und Rituale haben sich schon immer gewandelt und werden sich weiterhin verändern. Teils kommen neue Rituale hinzu, wie etwa das Anbringen von Liebesschlössern durch Verliebte, andere Bräuche müssen inzwischen erklärt werden, manche werden reaktiviert und mit dem Nimbus von „Tradition“ zelebriert. Bräuche bieten einen wichtigen Blick auf Gemeinschaften und Gesellschaft, indem sie Werte, Konflikte und Verhandlungen sichtbar machen. Die Kenntnis von Bräuchen und Ritualen erlauben auch Verständnis und Wertschätzung. Das ist gerade in der heutigen postmigrantischen Gesellschaft sehr wichtig und nicht umsonst werden Ramadam und das Zuckerfest, werden Newroz und Chanukka jedes Jahr auf’s Neue erklärt.
Mit den Menschen kommen auch Bräuche in Kontakt, tauschen sich aus, inspirieren und vermischen sich. Ein Weihnachtsbaum steht nicht nur in einer christlichen Wohnung, der protestantische Adventskranz wird ebenso in einer katholischen Familie angezündet und Karneval wird auch ohne Fastenzeit gefeiert. Dabei lohnt es immer wieder, über Brauchgrenzen hinweg zu schauen. Was ist Ihr liebster Brauch?
Verfasst von:
Helmut Groschwitz
Institut für Volkskunde bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften