Ausgabe: Januar-Februar 2024
SchwerpunktDie Kirche bleibt im Dorf
Kategorisierung Immobilien im Bistum Würzburg
Wer Würzburg besucht, den beeindruckt die Stadtkrone, die aus zahlreichen Kirchtürmen besteht. Die alte Mainbrücke ist von Heiligenstatuen besetzt und Stadtführer verbreiten immer noch den Eindruck einer klosterreichen Stadt. Auch das fränkische Umland mit Kirchen, Kapellen und Bildstöcken verfestigt diesen Eindruck. Dies alles trug zu einer gewissen volkskirchlichen Prägung bei, die außerhalb Bayerns längstens verloren gegangen ist. Doch auch in Unterfranken, das fast deckungsgleich mit dem Bistum Würzburg ist, ändern sich die Dinge.
Das Bistum Würzburg hat nach Passau und Regensburg den höchsten Katholikenanteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Doch während in den 1990er Jahren das Bistum noch etwa 930 000 Mitglieder hatte, waren es zum 31.12.2022 nurmehr 665.710! In der Bischofsstadt stellten die Katholiken 2011 noch die Bevölkerungsmehrheit, im Jahr 2022 jedoch lediglich 38,5 Prozent. Auch ohne weitere Kennziffern machen diese Zahlen deutlich, das auch die Diözese Würzburg sich in einem massiven Veränderungsprozess befindet.
Nachdem der Haushalt des Bistums in Schräglage geraten war, wurde als eine der Maßnahmen im Sommer 2018 ein Baumoratorium erlassen, das drei Jahre galt. In diesem Zeitraum wurden keine neuen Baumaßnahmen begonnen. Damals kam Generalvikar Thomas Keßler auf mich zu und bat mich, die Leitung des Projektes „Kategorisierung Immobilien“ zu übernehmen. Ich habe damals relativ zügig zugesagt. Als Leiter der Abteilung Kunst, in deren Zuständigkeit traditionell Inventarisation, Denkmalpflege sowie neue liturgische Ausstattungen gehören, ist mir die Sakrallandschaft unseres Bistums eine Herzensangelegenheit. Seit wir mit dem Projekt um die Jahreswende 2021/22 in die Öffentlichkeit gegangen sind, geschah dies daher immer unter der Überschrift „Wir lassen die Kirche im Dorf!“ und mit der Zielsetzung, dass das reiche bauliche Erbe der Diözese in die Zukunft fortgeschrieben und nicht zerschlagen wird.
Ländlich geprägt und ohne Vorbilder
Das Gebäudekonzept für ein ländlich geprägtes Bistum wie das unsere konnte sich daher kaum Anleihen bei Diözesen wie Köln, Aachen oder Essen holen, die hier bereits mehr Erfahrungen hatten. Würzburg besteht aus circa 600 Pfarreien und nochmals etwa 200 Filialgemeinden, die Hälfte dieser Gemeinden hat weniger als 500 Mitglieder! Bis zum Erlass des Baumoratoriums entfaltete sich im Bistum eine reiche Renovierungstätigkeit, die auch die kleinsten Orte erfasste. Bestandteil der Renovierungen war stets eine neue liturgische Ausstattung, so dass an den Wochenenden mitunter mehrere Altarweihen stattfanden. Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass die Maßnahmen zu optimistisch waren, da in vielen Gemeinden die Häufigkeit der Eucharistiefeiern stark nachgelassen haben. Auch hat man sich in Orten, wo sich mehrere Kirchen befinden, keine Gedanken über Nutzungskonzepte gemacht.
Kluges Vorgehen
Aufgrund der reich differenzierten Kirchenlandschaft verbot sich ein allzu schlichtes Raster, um die Wirklichkeit abbilden zu können. Wir haben daher fünf Kategorien für Kirchen eingeführt, die zukünftige Förderungen durch die Diözese festlegen. Die C-Kategorie „Klassische Ortskirche“ definiert den Normalfall und erfasst daher die Mehrzahl der etwa 800 kategorisierten Kirchen. Hier werden weiterhin die Instandhaltung sowie die Schaffung der Barrierefreiheit mit 50 Prozent gefördert. In der Kategorie A befinden sich Kirchen mit überörtlicher Bedeutung, wo weiterhin eine umfangreiche Generalsanierung (50%iger Zuschuss) möglich ist, dies sind etwas mehr als 20 Bauten. Mit B sind die zentralen Kirchen der ehemaligen Pfarreiengemeinschaften klassifiziert, die heute in 43 sogenannten Pastoralen Räumen aufgegangen sind. Diese etwa 150 B-Kirchen sollen weiterhin verlässliche Zentren kirchlichen Lebens sein, weshalb hier mit der Hälfte der Kosten auch energetische Sanierungen gefördert werden. In Kategorie D finden sich Kirchen in Orten mit weniger als 100 Katholiken oder solche ohne regelmäßigen - mindestens 14-tägigen - Gottesdienst. Hier wird mit 70 Prozent der Erhalt der Verkehrssicherheit innen und außen gefördert. In der Kategorie E befinden sich Kirchen für eine neue Nutzung, dabei wird lediglich die Verkehrssicherheit im Außenbereich mit 70 Prozent bezuschusst. Solche Kirchen für eine neue Nutzung sind aufgrund unseres Mottos „Zweitkirchen“, also Kirchen in Orten, wo nach 1945 eine weitere Kirche errichtet oder eine neue Pfarrei aus der alten gegründet wurde. Nach heutigem Stand sind dies etwa 80 Kirchen, bei denen perspektivisch nach einer neuen oder Misch-Nutzung zu suchen sein wird. Mehrere hundert Kapellen fallen nach derzeitigem Stand aus jeder Förderung, darunter sind schlichte Wegkapellen, aber auch eine bedeutende vom Barockbaumeister Balthasar Neumann errichtete Kapelle, die einst einen Geldschein zierte.
Keine Totengräber ihrer Kirchen
Der Prozess baut sich aus einem Wechselspiel von Vorschlägen der Projektgruppe des Bischöflichen Ordinariates nach Beratung mit den Hauptamtlichen vor Ort und der Möglichkeit der Rückmeldung der Ehrenamtlichen aus den Pastoralen Räumen auf. Wichtig war uns stets das Gespräch miteinander auf Augenhöhe. Der Prozess sollte auf keinen Fall eine Entscheidung am „Grünen Tisch“ sein. Bis zum Jahresende 2023 wird das Projekt weitgehend abgeschlossen sein. Im Bistum Würzburg sind wir damit sicherlich am zielstrebigsten in Bayern vorgegangen. Klar war allen Beteiligten, dass der Prozess auch Emotionen hervorbringen würde, aber diese Emotionen zeigen, wie wichtig die Kirchen für die Menschen vor Ort sind. Es gab gelegentlich Vorwürfe, dass das Projekt die Abwärtsspirale, in der Kirche sich derzeit befindet, noch beschleunigt. Kirchenpfleger und andere Verantwortliche äußerten zudem die Sorge, als Totengräber ihrer Kirche angesehen zu werden. Zudem gibt es hie und da konservative Kreise, die das Projekt als kirchenfeindlich, ja sogar „dämonisch“ ansehen. Das Gros der Ehrenamtlichen war jedoch bereits weiter, als wir dachten. Das Schwinden der personellen und finanziellen Ressourcen macht ein schlichtes „Weiter so“ immer schwieriger.
Kirchen gehören allen
Nach nun zwei Jahren als Leiter und trotz mancher Belastungen sehe ich nach wie vor das Projekt als eine Chance. Wir sprechen nun offen über unsere Möglichkeiten nach dem Ende der Volkskirche und in der Bistumsleitung erlebe ich eine große Offenheit. Bis vor nicht allzu langer Zeit dienten Kirchen ausschließlich für den Gottesdienst, Besucher störten eher. Heute werden wir uns mehr und mehr bewusst, dass Kirchen stets mehr waren als reine Gotteshäuser: Sie waren der Stolz ihrer Kommunen, Wachttürme bei Feuersnot, Fluchtorte bei Kriegen und vieles mehr. Der laufende Prozess öffnet nun diese Nutzungen wieder auf die Gesamtgesellschaft hin. Das ist ein großer Pluspunkt: Kirchen gehören allen, ob getauft oder ungetauft oder ausgetreten. Die zahlreichen Initiativen in Ostdeutschland, die sich auch um Dorfkirchen entwickelt haben, können hier Beispiel sein und Mut machen. Zugleich werden durch die Umstände ökumenische Nutzungen vorangetrieben. Wir sind im Bistum hier mit dem Schlagwort „Aufbau von Simultaneen“ unterwegs. Wir werden zwar das hohe Sanierungsniveau der Vergangenheit in Zukunft nicht mehr halten können, mir ist aber um die Zukunft unserer (Dorf)Kirchen nicht bange. Sie haben schließlich schon ein Jahrtausend überstanden.