Ausgabe: Januar-Februar 2024
SchwerpunktTransformation und Verantwortung
Glaubwürdige Perspektiven für kirchliche Immobilienstrategien
Durch die Betonung ökologischer Anliegen in Verbindung mit der Sozialpflicht von Eigentum hat Papst Franziskus Akzente gesetzt, die große Resonanz gefunden und die katholische Soziallehre weiterentwickelt haben. Bei den kirchlichen Immobilien kann dieser Anspruch auf die eigene Praxis angewendet werden.
Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einer tiefen Krise. Die Entwicklung geht bergab. Die im Jahr 2019 veröffentlichte „Langfristige Projektion der Kirchenmitglieder und des Kirchensteueraufkommens in Deutschland“ prognostiziert, dass die Anzahl der katholischen Gläubigen bis zum Jahr 2060 um 49 Prozent zurückgehen wird. Ein Blick auf die aktuellen Zahlen zeigt: Das ist wohl noch zu optimistisch gerechnet.
2024 wird der Anteil der christlich-konfessionell Gebundenen auf unter 50 Prozent sinken. Eng verbunden mit dem Mitgliederrückgang ist die Zukunft der kirchlichen Finanzen. Sinken die Mitgliederzahlen, erodiert auch die wichtigste Einnahmequelle, die Kirchensteuer. Liquide Mittel stellen allerdings nur einen Teil des Vermögens einer Institution dar. Mit den Jahren haben die Kirchen einen beträchtlichen Immobilienbesitz angesammelt. Daraus entstehen aber meist keine Einnahmen. Kirchliche Immobilien, vor allem Kirchengebäude, benötigen finanziell aufwendige Maßnahmen für die Bestandserhaltung. Ein Ziel des Handlungsfeldes „Immobilien und Pastoral“ des Gesamtstrategieprozesses der Erzdiözese München und Freising ist daher, „die Zahl der Gebäude und insgesamt die Baulast zu reduzieren“. Das Projekt hat aber auch eine pastorale Note. Die Entscheidung über die Gebäude wird verbunden „mit der Frage pastoraler Schwerpunktsetzungen und der Frage, wie Kirche vor Ort für die Menschen präsent sein möchte“.
Was nicht mehr trägt, verabschieden
Die sinkenden Finanzen drohen allerdings die Blickrichtung einseitig zu fixieren. Es besteht die Gefahr, den Umgang mit Immobilien vorrangig als eine Selbsterhaltungs-, wenn nicht gar Rückzugsstrategie zu interpretieren. Richtig daran ist: Aktuell gilt es Verabschieden, was nicht mehr trägt. Auch die Kirche erlebt eine Zeitenwende. Sie ist damit konfrontiert, dass das Ende der volkskirchlichen Ära nicht mehr nur eine Prognose, sondern Realität ist. Der italienische Marxist und Philosoph Antonio Gramsci bezeichnet eine Zeit, in der das Alte sterbend ist, das Neue noch nicht geboren wurde, als Interregnum. In solchen Zeiten des Übergangs ist es wichtig, das Alte gut zu verabschieden und gemeinschaftliche Prozesse des Trauerns zu gestalten. In den Transformationswissenschaften wird von der Exnovations-Kompetenz gesprochen. Zeiten des Interregnums können aber auch dafür genutzt werden, neue Ideen „zu gebären“ und transformative Praktiken zu etablieren.
Ein von der „Anerkennung der Realität“ ausgehender Transformationsimpuls kann auch in kirchlichen Immobilienstrategien zum Tragen kommen. Dann sollte es aber nicht einfach nur um ein Gesundschrumpfen gehen. Wenn beispielsweise pastoral genutzte Immobilien (Pfarrheime, Pfarrhäuser, Kirchen und Kapelle) sozial-räumlich betrachtet werden, kann daraus eine kirchliche Verortungspraxis entstehen, die auf eine vernetzte Pluralität von flexiblen und lebensweltnahen pastoralen Orten zielt. Ein Aspekt davon wäre, mit karitativen Verbänden, anderen Kirchen oder den Kommunen zu kooperieren und gemeinsame Nutzungen zu ermöglichen.
Parallel zum sozial-räumlichen Denken und Handeln gilt es, die soziale Verantwortung und Gemeinwohlorientierung in die Immobilienstrategien zu integrieren. Kirchliche Immobilien sind nicht nur ein großer Ausgabenposten, sondern tragen auch zu den Einnahmen bei. Mit ihren verschiedenen Rechtsträgern ist die katholische Kirche in Deutschland Eigentümerin von geschätzt 130.000 Wohnungen. Bei einem bundesdeutschen Durchschnittspreis von 3.372 Euro pro Quadratmeter und einer laut Statistischem Bundesamt durchschnittlichen Fläche von 92 Quadratmetern läge der hypothetische Verkehrswert dieser Wohnungen bei rund 40 Milliarden Euro. Eine wirklich überzeugende Schätzung ist hier kaum möglich. Sie sollten nicht nur bei den Ausgaben, sondern auch bei den Einnahmen aufgeführt sein.
Mut zur Gründung einer Genossenschaft
Davon ausgehend kann bedacht werden, welche soziale und ökologische Verantwortung mit dem Eigentümerstatus verknüpft ist. Im deutschen Grundgesetz ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 GG) festgelegt. Im gemeinsamen Sozialwort aus dem Jahr 1997 verpflichten sich die Kirchen dazu, „in der Orientierung am Gemeinwohl Grundstücke für öffentliche und soziale Zwecke, vornehmlich für den sozialen Wohnungsbau gegebenenfalls in Erbpacht, zur Verfügung zu stellen“. Bisher werden allerdings sozialethische Aspekte des kirchlichen Immobilieninvestments nur ansatzweise unter die Lupe genommen. Diese Herausforderung gilt es zu berücksichtigen, wenn Pfarrheime und Pfarrhäuser zu Mietobjekten transformiert werden.
Der sozialen Verantwortung wird man beispielsweise gerecht, wenn Pfarrhäuser und Wohnungen für Wohngemeinschaften von Studierenden und Auszubildenden oder für die Unterbringung von Flüchtenden freigegeben werden. Sozialeinrichtungen sollten in Umnutzungsstrategien vorrangig berücksichtigt werden. Eine transformative Wirkung kann durch die Kooperation mit Genossenschaften entfacht werden, die Erfahrung in der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum haben. Warum nicht initiativ werden und selbst eine Genossenschaft gründen? Es gilt aber auch die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen ernst zu nehmen und sich bei der Verwertung oder Umnutzung von Gebäuden am Ziel der Klimaneutralität zu orientieren.
Gesellschaftlich verantwortlich agieren
Eine wichtige Voraussetzung für die Implementierung von sozialen und ökologischen Aspekten in kirchliche Immobilienstrategien besteht darin, auf Gemeinde-, Stadtkirchen-, Dekanats- und Bistumsebene verbindliche Leitplanken festzulegen. Ethisch verantwortliche Entscheidungsprozesse setzen Regeln und Normen voraus. Bei Organisationen und Unternehmen spricht man von Governance- und Compliance-Standards. Die unterschiedlichen kirchlichen Problemfelder, an vorderster Stelle die Missbrauchskrise, hängen nicht zuletzt mit dem Fehlen oder der Verletzung von Regeln und Normen zusammen.
Es ist längst überfällig, sich systematisch mit dem Themenkomplex „Kirchliche Corporate Governance“ und „Compliance-Management“ auseinanderzusetzen. Mit der Berücksichtigung von Normen und Regeln, in denen sich die soziale und ökologische Verantwortung widerspiegeln, kann auch ein Gegenakzent zum Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche gesetzt werden. Empirische Untersuchungen zur Kirchenbindung weisen auf die zentrale Bedeutung des sozialen Engagements hin. Die Menschen erwarten nicht, dass sich die Kirchen ins Religiöse zurückziehen. Stattdessen erwarten sie, dass sie gesellschaftlich verantwortlich agieren. In der kirchlichen Sozialverkündigung und in den Sozialverbänden hat dieser Anspruch einen Niederschlag gefunden, der in der Öffentlichkeit durchaus Beachtung findet. Es gilt ihn nun in die eigene wirtschaftliche Praxis zu implementieren. Nur dann sind die Immobilienstrategien im wahrsten Sinn des Wortes glaubwürdig.
Martin Schneider hat bereits in Gemeinde creativ 01/2022 zwei Beiträge zur Wohnungsfrage und zu einem ethisch reflektierten Erbbaurecht veröffentlicht.
Verfasst von:
Martin Schneider
Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der School of Transformation und Sustainability der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt