Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Januar-Februar 2024

Interview

„Wir werden Entscheidungen treffen müssen“

Foto: KSD Katholischer Siedlungsdienst e.V.

Im Bereich der Immobilienstrategien und -portfolios der deutschen (Erz-)Bistümer gibt es viele Ungleichzeitigkeiten: Einige beginnen gerade erst mit der Planung, andere haben bereits Handreichungen veröffentlicht oder sind Kooperationen eingegangen. Alle sind sich jedoch einig: Der Immobilienbestand vor Ort wird eine Herausforderung!
Gemeinde creativ hat mit Ulrich Müller, geschäftsführender Vorstand des Katholischen Siedlungsdienstes e.V., darüber gesprochen, wie Immobilienbestände zukunftssicher geplant werden können.

Mit welchen Gedanken und Arbeitspaketen sind Sie als geschäftsführender Vorstand beschäftigt?

Mein Alltag wird bestimmt durch die Wohnungswirtschaft – das beschäftigt mich auch außerhalb der Bürotür, weil das Thema „Bezahlbarer Wohnraum‟ natürlich überall brennt. Daneben wiegt nicht minder schwer der Punkt des klimaneutralen Gebäudebestandes: Es ist völlig unrealistisch, 400.000 Wohnungen klimaneutral zu bauen, auch wenn wir es gerne hätten.
Der Katholische Siedlungsdienst nimmt seinen sozialen Auftrag sehr ernst. Auch die einzelnen Erzbistümer und Bistümer schauen sehr genau, was wir mit dem kirchlichen Gebäudebestand machen.

Viele Menschen in den Pfarrgemeinden sind gerade verunsichert und wissen nicht, wie es mit vielen Gebäuden weitergeht, auch im Bereich von bezahlbarem Wohnraum. Wie gehen Sie mit Anfragen um, die Sie vielleicht erreichen?

Was wir an Rückmeldungen aus den Diözesen bekommen, zeichnet ein Bild vieler Ungleichzeitigkeiten. Auch inwieweit Sakralbauten betroffen sind, ist sehr unterschiedlich. Einig sind sich alle, dass ihnen der Immobilienbestand viele Probleme bereiten wird. Es braucht eine Strategie, wie wir damit umgehen können.
Anfragen beziehen sich zunächst darauf, wo wir weiterhelfen können. Das sind zuerst operative Maßnahmen, die Frage nach einer Strategie: Welche Gebäude will ich behalten und wenn ich sie behalte, was mache ich mit ihnen? Zu welchem Zweck will ich sie behalten und wie stelle ich sie zu ihrem jeweiligen Zweck zukunftssicher auf? Dabei stehen wir bzw. unsere Mitgliedsunternehmen den Bistümern gerne prozessbegleitend zur Seite.
Wenn Erzdiözesen und Diözesen ein Problembewusstsein haben, ist dies schon einmal ein guter erster Schritt: Sie schauen hin, doch vielfach werden noch keine Entscheidungen getroffen. Wir können mit unserem Netzwerk Wissenstransfer bieten, beispielsweise mit unseren KSDigital OnlineSeminaren, die sich an alle unsere Mitglieder richten, an die kirchlichen Wohnungsunternehmen, aber natürlich auch an die Verantwortlichen und Kollegen in den (Erz-)Diözesen. Wir wollen Problemlöser und Personen mit ähnlichen Anliegen an einen Tisch bringen, um die Herausforderungen anzugehen.
Die dann zu treffenden Entscheidungen können wir nicht beeinflussen, denn jede Diözese und Erzdiözese hat ihre eigene Struktur und eigene Trägerschaften. Aber wir können den Input liefern, Lösungen anbieten und Kontakte herstellen.

Wie werden nötige Reparaturen, Instandhaltung und Renovierungsarbeiten für Kirchenimmobilien angegangen?

Zunächst sollte geschaut werden, wie der Status quo ist. Sind die Immobilien einer Pfarrei oder Diözese erfasst, und wenn ja, in welchen Datensätzen? Dazu gehören etwa der CO2-Fußabdruck oder die Kostenstruktur der jeweiligen Immobilie. Viele sind noch ratlos, wissen nicht, wie Kosten und CO2-Fußabdruck verringert werden können – oder ob einfach der Bagger kommen soll. Was Immobilien angeht, müssen jedoch Entscheidungen getroffen werden, denn eine Vogel-Strauß-Politik verbrennt sehr viel Geld und schiebt das Problem nur weiter in die Zukunft.
Instandhaltung ist das eine; daneben kommen Abbruch, Neubau oder Umnutzung und Zusammenlegung in Frage. Auch kann man schauen, was für weitere kirchliche Strukturen und Institutionen vor Ort vorhanden sind, beispielsweise karitative Einrichtungen (Caritas, skf, skm …). Oder was vielleicht bei einer evangelischen Geschwisterkirche vorhanden ist, ob sich Synergieeffekte ergeben können, wenn man über den eigenen Kirchturm hinausschaut. Wenn jede Pfarrei ihre Strukturen doppelt und dreifach vorhält, ist das unsinnig und teuer. Da braucht es die kurze Kommunikation vor Ort, den großen runden Tisch, der Entscheidungen trifft und fragt, wie die Gemeinde in 20, 30, 70 Jahren aussehen wird – und welche Immobilien es künftig noch für welche Zwecke braucht.
Wichtig ist dabei der Informations- und Wissensaustausch über Strategien und Portfolios, damit die Informationen auch dorthin kommen, wo die Verantwortlichen sitzen.

Gibt es langfristige Pläne für die Entwicklung von bezahlbarem Wohnraum und Immobilien in kirchlicher Trägerschaft in den Gemeinden? Was würde der Gesellschaft fehlen, wenn sich kirchliche Träger zurückziehen?

Wenn sich Kirche aus Trägerschaften zurückzieht, ist das zunächst einmal ein Verlust. Dramatisch wäre es, wenn kirchliches Handeln nicht mehr sichtbar wäre, auch als starker Kulturträger der Gesellschaft. Daneben würde natürlich ein wichtiges Angebot der Sinnstiftung verloren gehen und anderen Akteuren am Markt überlassen… Klar ist: Wir wären nicht gut beraten, unsere Präsenz in den Stadtvierteln, aber auch im ländlichen Raum aufzugeben. Wir wollen den Ansatz vermitteln: Behalte kirchliche Präsenz im Quartier bei – Verkündigung braucht Raum, egal, wie dieser Raum gestaltet ist! Kirche ist nicht nur Liturgie und Sakralgebäude, Kirche ist vielfältig, Verkündigung ist vielfältig – etwa in Form karitativer, diakonischer Angebote, wie Kindergärten, Seniorenbetreuungseinrichtungen, Quartierscafés, Beratungsangeboten – und natürlich auch in Form von Wohnungen! Die Siedlungswerke sind hier der Akteur, der bezahlbaren Wohnraum schafft. Gemeinden sind natürlich immer dazu eingeladen, sich an das jeweilige in ihrem Bistum aktive Siedlungswerk zu wenden.
Eine Gemeinde kann sich verändern und trotzdem vor Ort präsent bleiben. Zunächst einmal sollte man, wenn man sich entschließt, ein Grundstück nicht länger selbst zu nutzen, prüfen, ob nicht mit einem anderen kirchlichen Akteur, einem kirchlichen Investor, kooperiert werden kann – die Liegenschaft wird dann anders genutzt, bliebe aber weiterhin in kirchlicher Hand. Gemeinsam kann man dann auch übereinkommen, einen Teil dieses Grundstücks weiter kirchlich zu nutzen, etwa mit einem Gemeindesaal, einem Andachtsraum, mit Orten der Begegnung und Beratung etc. Auch hier gilt es, über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen.

Wie informiert die Kirche die Gemeindemitglieder über Immobilienangelegenheiten und -entscheidungen?

Wir haben unser Verbandsmagazin „domus, in dem wir regelmäßig über aktuelle Bauvorhaben, Leuchtturmprojekte und Um- bzw. Neunutzungen von Kirchengebäuden informieren. Das bietet viele gute Beispiele, wie Kirche in diesem Bereich positiv wirken kann.
Geht es Gemeindemitgliedern um konkrete Vorhaben in ihrer eigenen Gemeinde vor Ort, ist die jeweilige Diözese der erste Ansprechpartner. Erhält man dort keine Informationen, sollte man sich als Kirchenvorstand durchaus an die Bistumsleitung wenden und die direkte Nachfrage nicht scheuen! Denn Träger der Liegenschaft ist in der Regel die Pfarrgemeinde und man muss nicht zwingend warten, bis vom Generalvikar ein Immobilienentwicklungskonzept vorgelegt wird, sondern selbst anregen, beispielsweise beim nächsten Kirchweihfest mit den verantwortlichen Personen aus der Region zusammenkommen und über die Zukunft der Gemeindeliegenschaften diskutieren. Denn letztendlich sind es die Grundstückseigentümer, die die Entscheidung treffen – die Entscheidung treffen müssen, wie man sich mit seinen Gemeindeimmobilien zukunftsfest aufstellen möchte. Im Idealfall gibt es aber eine abgestimmte Immobilienstrategie, die alle Gebäude in kirchlicher Hand umfasst.

Gibt es noch weitere Informationen oder Ressourcen, die Sie empfehlen würden, damit die Gemeindemitglieder die Immobilienstrategie besser verstehen können?

Eine gute Idee wäre eine Handreichung zur Entwicklung einer Immobilienstrategie, die vor Ort zur Entlastung, zur Information und als Prozessbegleitung dienen könnte.
Bauen, Vermieten und das Management von Immobilien werden immer schwieriger. Einige Diözesen, auch einige Pfarreien, haben bereits Handreichungen und Leitfäden für ein Immobilienportfolio vorgelegt, bieten Hilfe, damit sich Akteure vernetzen und für Wissensaustausch sorgen können.

Vielen Dank für das Interview!

Der KSD Katholischer Siedlungsdienst e.V. ist im Internet vertreten unter www.ksd-ev.de. Das Verbandsmagazin „domus“ finden Sie unter KSD e.V. - domus (ksd-ev.de).

Ulrich Müller ist geschäftsführender Vorstand des KSD Katholischer Siedlungsdienst e.V., dem Dachverband der katholischen und der Kirche nahestehenden Wohnungsunternehmen in Deutschland. Zu den Mitgliedern des KSD gehören – neben den 27 deutschen (Erz-)Bistümern – 46 bauende Wohnungs- und Immobilienunternehmen, die in ganz Deutschland für lebenswerten, bezahlbaren Wohnraum, Wohneigentum für Familie sowie die Projektentwicklung und Baubetreuung, insbesondere für kirchliche und karitative Einrichtungen engagiert sind.

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) ist im Vorstand des KSD mit ihrem Beauftragten Prälat Dr. Jüsten (Kommissariat der Deutschen Bischöfe/Katholisches Büro Berlin) vertreten.


Verfasst von:

Hannes Bräutigam

Redaktionsleiter