Ausgabe: Mai-Juni 2024
Schwerpunkt - Vor OrtDie Spiritualität des Alltags
Kirchliches Leben findet nicht nur in der Kirche statt. Wie kaum andere katholische Einrichtungen schaffen es die (Erz-)bischöflichen Schulen, Kindertages- und Senioreneinrichtungen die Aufmerksamkeit auch solcher Menschen zu gewinnen, die ansonsten nahezu keine Berührungspunkte mehr mit der Institution Kirche haben. Über Orte der Glaubensvermittlung abseits des Gottesdienstes und den Wert christlicher Trägerschaft.
In Bayern besuchen jeden Tag annähernd 200.000 Kinder insgesamt 2.747 katholische Kindertageseinrichtungen, knappe 600 davon befinden sich im Erzbistum München und Freising. Der Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern e.V. vertritt die Interessen der katholischen Träger von Kindertageseinrichtungen mit rund 2.800 Krippen, Kindergärten, Horten und Häusern für Kinder gegenüber Kirche, Staat und Gesellschaft. Für Geschäftsführerin Dr. Alexa Glawogger-Feucht liegt in diesen Einrichtungen eine große Chance: „Die Kitas haben für die Kirche eine ganz wichtige Bedeutung, weil sie Zugang zu allen Familien haben, nicht nur zu denen, die in den Gottesdienst kommen. Hier habe ich die ganze Vielfalt von Eltern und kann eine Beziehung aufbauen.“ Über die Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder können Hemmschwellen gesenkt werden und die ganze Familie kann mit dem Glauben in Kontakt kommen. Familien erleben Kirche hier als lebendig und jung. „Wir möchten Kindern Räume zur Verfügung stellen, in denen sie ganz grundlegende, für unseren christlichen Glauben maßgebliche Werte erleben können: Glaube, Liebe, Hoffnung, Solidarität, Nächstenliebe“, erklärt Glawogger-Feucht. „Sie sollen lernen, sich anzunehmen, so wie sie sind, sich mit den eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen, verzeihen zu können.“ So können bereits im frühen Kindesalter Glaubenserfahrungen grundgelegt werden und Kinder erhalten Leitplanken, an die sie sich im täglichen Leben halten können.
Pastorale Orte der Zukunft
Das erreichen katholische Kindertageseinrichtungen und Schulen durch ihre besondere Haltung zu den Kindern und Jugendlichen, sagt Ordinariatsdirektorin Dr. Sandra Krump, die das Ressort Bildung in der Erzdiözese München und Freising leitet und damit alle kirchlichen Bildungsangebote von der diözesanen Kinderkrippe bis hin zum Fachbereich Seniorenbildung verantwortet. „Allem zu Grunde liegt die positive Haltung, dass jeder Mensch, so wie er da ist, ein Geschöpf Gottes ist. Geschaffen und geliebt. Das sagt eigentlich schon alles. Man muss nicht irgendwelche Zusatzleistungen erbringen oder Merkmale haben. Und so versuchen wir, mit den Menschen umzugehen.“
Formuliert wird diese Haltung auch in den beiden Grundlagenpapieren, die die Diözese zum Thema veröffentlicht hat. Zum einen geht es um „Auftrag und Zukunft“ der Schulen der Erzdiözese München und Freising. Zum anderen wird in „Da berühren sich Himmel und Erde“ das Profil katholischer Kindertageseinrichtungen als ganzheitliche Bildungsorte im Erzbistum München und Freising ausbuchstabiert. Hier werden die Kindertageseinrichtungen bereits im ersten Kapitel als „pastorale Orte der Zukunft“ und Lebensort für mehr als 34.000 Kinder in der Erzdiözese benannt: „Bezieht man die weiteren Familienangehörigen eines jeden Kindes wie Eltern, Geschwister oder Großeltern mit ein, so wird schnell deutlich, dass die katholischen Kitas der Erzdiözese in den Sozial- und Lebensräumen wie kaum eine andere Institution der Kirche flächendeckend präsent sind“, heißt es in dem Papier.
Hierfür gibt es ein pädagogisches Grundkonzept, das sich wie ein Dreieck zwischen „Ich“, „Du“ und „Gott“ aufspannt. „Unsere Bildungsorte sind Orte, an denen wir Wege zeigen zu einem gelingenden Leben aus dem christlichen Glauben heraus. Orte, die die Beziehungsebene zu Gott, die Erziehung zur Gemeinschaft und die Entfaltung der eigenen Talente miteinschließen“, fasst Sandra Krump das Konzept zusammen. Wie die einzelnen Einrichtungen es jeweils umsetzen, ist ganz individuell. Das Erzbischöfliche Pater-Rupert-Mayer-Schulzentrum Pullach, größtes Schulzentrum der Diözese, veranstaltet zum Beispiel unter der Leitung des Schulpfarrers ein Gebet durch die Nacht, das so viel Anklang gefunden hat, dass es mittlerweile nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für die Eltern veranstaltet wird. Gerade durch die immer häufigere Ganztagesbetreuung verbrächten die Kinder und Jugendlichen viel Zeit in der Schule, betont Krump, so ließe sich bei den religiösen Angeboten ein starker Lebensbezug herstellen und die Familien könnten mit eingebunden werden. „Die Einbindung sehen wir auch ganz deutlich. Da werden zum Beispiel Geschwisterkinder in der Schulkirche getauft oder es finden Hochzeiten von ehemaligen Schülerinnen und Schülern statt.“
Werte und Grundverständnis vermitteln
Auf Grund ihrer hohen Qualität erfahren die Einrichtungen eine hohe Nachfrage und die Kirche setze alles daran, um die bestehenden Strukturen aufrecht zu erhalten und weiter auszubauen, sagt Alexa Glawogger-Feucht. Denn auch für Familien, die nicht stark in der Kirche verwurzelt sind, habe die christliche Trägerschaft einen hohen Wert, ergänzt Sandra Krump: „Viele Leute haben, selbst wenn sie selbst keine praktizierenden Christen mehr sind, das Bedürfnis, ihren Kindern christliche Werte und ein Grundverständnis unserer Religion und Kultur mitzugeben. Und deswegen haben viele Interesse an einer christlich wertorientierten Kindertageseinrichtung.“
Altenzentrum als große Gemeinde
Werner Fusenig erlebt in seinem Arbeitsalltag die umgekehrte Situation. Der Diakon ist Leiter des Altenzentrums St. Josef Sassenberg, das in den Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland integriert ist. Ihm begegnen in seiner Einrichtung viele der Kirche zugetane Menschen, die aber auf Grund ihres Alters nicht mehr zum Gottesdienst in ihrer früheren Pfarrgemeinde gehen können und nun im Rahmen ihres kirchlich getragenen Altenheims spirituelle Begleitung suchen.
Ein Faktor, dem in den Augen von Fusenig lange Zeit viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Er witzelt schon lange mit dem Pfarrer der ortsansässigen Pfarrei, dass seine Gemeinde die größere sei und eine Verlegung der regulären Gottesdienste ins Altenheim die sinnvollere Variante wäre. Sie besuchen die Bewohnerinnen und Bewohner seiner Einrichtung häufig und bringen auch ihre Angehörigen mit, die ebenso selbstverständlich die Gespräche mit Diakon Fusenig in Anspruch nehmen. Auch hier gibt es niederschwelligen Zugang zum Glauben – und das 24/7. „Bei uns findet neben den liturgischen Angeboten auch die Spiritualität des Alltags statt, wenn sich der eine um den anderen kümmert.“ Für sein Altenheim bietet die katholische Trägerschaft zwar keine finanziellen Vorteile, dennoch hält Fusenig die Pflege als caritativen Akt für die Kirche für unverzichtbar. „Wenn die Caritas fehlt, gibt es keine Kirche mehr.“ Er versteht Pflegeeinrichtungen nicht als Sackgassen auf dem Weg zum Tod, sondern als lebendigen Teil des pastoralen Miteinanders am Ort. „Wir sind ein Haus des Lebens, in dem wir diese tatsächlich froh machende und begleitende Botschaft Gottes immer wieder deutlich machen dürfen“, sagt Fusenig. Zum Beispiel gibt es mit dem benachbarten katholischen Kindergarten eine Kooperation: Einmal die Woche essen Alt und Jung gemeinsam zu Mittag.
So kommen in kirchlich getragenen Kitas, Schulen oder Senioreneinrichtungen täglich Menschen unter der Trägerschaft der Kirche zusammen. Gerade in diesen alltäglichen Lebenssituationen kann pastorales Leben außerhalb des klassischen Gottesdienstes stattfinden, Kirche in die Gesellschaft hineinwirken und Christentum gelebt werden.
Medientipp: Das Thema „Kita als pastoraler Ort“ finden Sie ausführlich besprochen auch in der ersten Folge des Podcast „KiTalk“ des KTKBundesverbands.