Ausgabe: Mai-Juni 2024
SchwerpunktGesellschaftlich wirksam bleiben

In den Einrichtungen und Diensten in kirchlicher Trägerschaft zeigt sich deshalb glaubwürdig das menschliche, den Menschen dienende Gesicht der Kirche. Sie können dazu beitragen, das Profil und die Identität der Kirche zu schärfen und den Glauben erfahrbar, nahbar und relevant zu machen. Und vielleicht auch den ein oder anderen wieder näher an die Kirche heranbringen. Wollen wir das wirklich aufgeben?
Kirche ist relevant! Sie ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, eine tragende Säule des Sozialstaats und auch für ein Funktionieren der wirtschaftlichen Prosperität. Kritiker mögen entgegenhalten, dass all dies nicht Aufgabe einer Kirche ist, sehen deren Aufgabe im Feiern der Liturgie und ansonsten möge man doch bitte die Kirchturmglocken abstellen, damit man keine sonntägliche Ruhestörung zu ertragen habe. Klar ist jedenfalls, dass sich zahlreiche Menschen immer weniger an eine christliche Kirche gebunden fühlen. Viele der Probleme sind hausgemacht und Antworten, die auf die Fragen einer modernen, offenen und nach Gleichberechtigung aller Menschen strebenden Gesellschaft gegeben werden müssten, sind noch nicht gegeben. Aber Kirche ist so viel mehr als das sonn- und feiertägliche Gottesdienstangebot, die Angebote zu Kommunion und Firmung oder zu Hochzeiten und Todesfällen.
Dieses Mehr ist nicht nur eine Zustandsbeschreibung, sondern in die kirchliche „DNA“ als sogenannte Grundvollzüge eingeschrieben. Hinter dem etwas sperrigen Wort „Grundvollzüge“ verbergen sich die vier gleichberechtigten Hauptaufträge der Kirche. Sie sind konstituierend für die Kirche als institutionelle Organisation einer Gemeinschaft der katholischen Gläubigen: Die Verkündigung des Evangeliums und von Glauben Zeugnis (Martyria) abzulegen, der gefeierte Glaube (Liturgia) im Gottesdienst, die praktizierte Nächstenliebe (Diakonia) und die Gemeinschaft durch Teilhabe (Koinonia), die beschreibt, dass Gott in der Gemeinschaft der Glaubenden, die das Leben miteinander teilen, gegenwärtig ist.
Drei Dimensionen kirchlicher Trägerschaft
Die zahlreichen Kirchenaustritte der vergangenen Jahre setzen die Diözesen unter Druck. Sie werfen Fragen nach der eigenen Identität auf, die offensichtlich nicht mehr so verbindend ist wie früher, nach Priorisierungen angesichts immer knapper werdender Ressourcen und auch danach, wie wieder mehr Menschen für die Sache Jesu begeistert werden können. Deshalb stehen auch Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft unter Druck: Kindergärten, Beratungsdienste, Verbände, Bildungseinrichtungen, Jugendeinrichtungen, Schulen und so weiter, die vermeintlich nicht zur „Kernkompetenz“ kirchlichen Handelns gehören, aber dennoch einen wichtigen Teil pastoralen Handelns ausmachen sollten.
Um zu verstehen, was verloren ginge, wenn sich Kirche in diesen Bereichen zurückzöge, lohnt es sich, drei Dimensionen kirchlicher Trägerschaft zu vergegenwärtigen. Zum einen bedeutet kirchliche Trägerschaft ein wirtschaftliches Engagement. In den sozialen Handlungsfeldern, in denen kirchliche Einrichtungen wie Caritas, Schulen, Bildungswerke und andere tätig sind, arbeiten allein in den unter dem Dach der Caritas organisierten Diensten und Einrichtungen in Bayern in 2.319 rechtlich selbstständigen und in der Regel gemeinnützigen Unternehmen und Verbänden 184.000 Menschen, denen im Jahr 2021 rund 4,5 Milliarden Euro an Arbeitsentgelten bezahlt wurden. Dies umfasst alle Bereiche sozialer Dienstleistungen: Frühkindliche Bildung und Förderung, Kindergärten, Tagesbetreuungen, Jugendsozialarbeit an Schulen, Erziehungsberatungsstellen, Wohn- und Arbeitsangebote für Menschen mit Behinderung, Beratungsstellen für Migranten, für Familien, Schwangere, psychisch Kranke, Menschen mit Suchtproblemen, Frauenhäuser, Schuldnerberatungsstellen, ambulante und stationäre Wohneinrichtungen für alte Menschen und viele weitere. Überall dort wird Menschen geholfen, werden sie unterstützt, betreut und ernst genommen.
Zur Wahrheit gehört, dass zahlreiche dieser Dienste von staatlichen oder öffentlichen Kostenträgern zumindest zum Teil refinanziert werden. Aber längst nicht alle und in der Regel nicht auskömmlich. Hinzu kommt, dass für viele, wenn nicht alle dieser Angebote ein sogenannter Eigenanteil zu leisten ist. Und einige Angebote, wie beispielweise die Allgemeine Sozialberatung, die Menschen einen Weg in die Sozialsysteme weist und insbesondere bei finanziellen Fragestellungen weiterhilft, müssen ganz ohne staatliche Unterstützung auskommen.
Sozialstaatliche Leistungen sind deshalb auch keine Almosen, die nach Kassenlage gewährt werden können, sondern harte Wirtschaftspolitik, die zwar schwer messbar, aber dafür volkswirtschaftlicher umso wirksamer ist: Wer geht denn zur Arbeit, wenn Eltern ihre Kinder betreuen müssen, weil keine Kita-Plätze vorhanden sind oder zu Hause Angehörige gepflegt werden müssen? Wem nutzt es, wenn psychische Belastungen frühzeitig erkannt und behandelt werden und Menschen wieder in Arbeit kommen? Wer würde die Fachkräfte abweisen, die zwar eine traumatische Fluchterfahrung mitbringen, aber sich wegen guter Begleitung hier integrieren und auf eigenen Füßen stehen wollen? Von den Steuern, die die genannten 184.000 Menschen jeden Monat bezahlen, ganz zu schweigen.
Christliches Profil erfahrbar machen
Die zweite wichtige Dimension wird durch die grundlegenden Dokumente beschrieben, die eine Trägerschaft erst zu einer kirchlichen machen. Alle kirchlichen Einrichtungen sehen und begründen ihren Auftrag mit Jesu Gebot zur Nächstenliebe. Dieser Auftrag ist nicht neu und so haben zahlreiche Einrichtungen und Dienste historische Wurzeln, die weit über 100 Jahre zurückreichen. Hinzu kommen neuere Dokumente, die eine kirchliche Trägerschaft begründen und wichtiges Charakteristikum sind. Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes beispielsweise gilt für alle kirchlichen Einrichtungen und Verbände. Bis vor einigen Jahren war die Grundordnung, wie sie verkürzt genannt wurde, vor allem ein Verbotsdokument, das klar regelte, wer nicht Teil der Dienstgemeinschaft sein kann. Mittlerweile hat sie eine Überarbeitung und Modernisierung und eine Anpassung an die Realität erfahren. Waren früher katholische Einrichtungen katholisch, weil die Mitarbeitenden katholisch waren, stellt die Grundordnung nun die Vielfalt als Gewinn in den Mittelpunkt. Alle Mitarbeitenden, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Alter, Geschlecht, sexueller Identität und auch von Religion, können – sofern „eine positive Grundhaltung und Offenheit gegenüber der Botschaft des Evangeliums“ mitgebracht wird – „Repräsentantinnen oder Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche sein.“ Hinzukommt, dass die Grundordnung den Auftrag formuliert, das christliche Profil der Einrichtung fortwährend weiterzuentwickeln und zu schärfen. Die christliche Kultur der Einrichtung darf nicht nur in Leitbildern und Konzepten auf geduldiges Papier gedruckt sein, sondern soll für die Menschen, die die Angebote wahrnehmen, erfahrbar werden. Das ist das Mehr, das Angebote in kirchlicher Trägerschaft von anderen unterscheidet.
Und hier kommt die dritte Dimension ins Spiel: die Menschen, die in den Einrichtungen arbeiten und wirken, sind die eigentlichen Träger des Dienstes. Die tragen ganz im oben genannten Sinne dazu bei, die Identität zu schärfen, sie sind diejenigen, die der Menschlichkeit ein Gesicht geben. Auch hier darf man nicht so naiv sein zu meinen, dass Frömmigkeit und fester Glaube im stressigen Alltag in den Diensten und Einrichtungen, insbesondere im Sozialbereich, immer und an jeder Stelle deutlich sichtbar werden und im Vordergrund stehen, natürlich menschelt es. Kritische Personalentscheidungen müssen manchmal getroffen werden, Dienste reduziert und Teams verändert werden – aber die Gottesebenbildlichkeit eines jeden Menschen ist auch eine wichtige Grundlage für das Selbstverständnis der Einrichtungen. Und das macht etwas mit den Menschen, mit Klientinnen und Klienten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch Partnern der Einrichtungen.