Ausgabe: Mai-Juni 2024
SchwerpunktJugendverbandsarbeit
Mehrwert für Gesellschaft und Kirche
Neben der Entwicklung des eigenen Glaubens ist die Jugendverbandsarbeit insbesondere ein Ort, an dem junge Menschen eine Fülle verschiedenster persönlicher und sozialer Kompetenzen erlernen und ausbauen können.
Es ist ein später Nachmittag im Herbst. Es knistert. In der Mitte der Gruppe junger Menschen flackert ein Lagerfeuer in einer Feuerschale. Sie sitzen in dem Garten ihrer Heimatpfarrei, auf der Wiese vor dem Kellerabgang zu ihren Jugendräumen. Sie sind oft hier, gehen fast wie zuhause hier selbstverständlich ein und aus. Heute ist ein besonderer Abend, denn an diesem Abend wird das Pfadfinderversprechen abgelegt. Die Jugendlichen im Alter von elf bis vierzehn Jahren haben sich in ihren letzten wöchentlichen Gruppenstunden, begleitet durch ihre beiden Leitungskräfte, damit auseinandergesetzt, was sie gegenüber sich selbst, der Gruppe und gegenüber Gott versprechen wollen. Sie haben sich klare Ziele gesetzt. Sie wollen die Umwelt schützen, ihre Zeit am Smartphone bewusst verbringen, regelmäßig in die Gruppenstunden kommen und mit Freundschaft und Liebe anderen begegnen.
So oder so ähnlich läuft es zigfach ab, wenn sich junge Menschen in der Jugendverbandsarbeit zusammenfinden. Unter dem Dach des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) schließen sich deutschlandweit 17 verschiedene Jugendverbände zusammen. Sie alle haben ihre eigene Kultur, eigene inhaltliche Schwerpunkte, eigene Formen der Spiritualität, eigene Rituale und eigene Zielgruppen. In dieser Verschiedenheit bildet die Jugendverbandsarbeit ein breites Spektrum an Orten, in denen viele verschiedene junge Menschen eine Heimat finden können.
Heimat, Gemeinschaft, Engagement
Bei all dieser Unterschiedlichkeit hat die katholische Jugendverbandsarbeit doch grundlegende Prinzipien, die alle Verbände gemein haben. Auf der Grundlage des christlichen Glaubens, dem Lebensweltbezug von Kindern und Jugendlichen, Partizipation, Selbstorganisation, Demokratie, Freiwilligkeit und Ehrenamtlichkeit engagieren sich junge Menschen in ihrem Jugendverband. Dies geschieht jedoch nicht im stillen Kämmerlein, versteckt hinter in den Pfarreimauern, sondern mit einem klaren Bezug zu den aktuellen Zeichen der Zeit. Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen in ihrer aktuellen Lebenswelt bringen junge Menschen in Gesellschaft und Kirche ein. Jugendverbände sind Teil der Kirche, in dem junge Menschen in unterschiedlichen Räumen ihre individuelle Spiritualität entwickeln können. Besonders durch diese Offenheit sind die Jugendverbände Orte, in denen auch zunächst kirchenferne Personen eine Heimat und Gemeinschaft finden können. Diese ermöglicht einen Zugang über die lebensweltspezifischen und interessensbasierten Themen und bietet damit einer breiteren Gesellschaft ein Engagement innerhalb von Kirche.
Junge Menschen erfahren Selbstwirksamkeit und übernehmen für sich und für andere Verantwortung. Diese Verantwortungsübernahme kann innerhalb der Jugendverbandsarbeit in unterschiedlicher Intensität stattfinden. So gibt es hier die Möglichkeit, sich für einen längeren Zeitraum zu einem Amt zu verpflichten und eine Leitungsrolle verantwortungsvoll auszufüllen. Es gibt aber auch projektbezogene Engagementformen, in denen man sich in einem zeitlich begrenzten Rahmen einbringen kann. Dies trägt insbesondere den unterschiedlichen Lebensplanungen junger Menschen Rechnung und ermöglicht auch ein flexibles Einbringen der eigenen Charismen. Auch das erfolgreiche Scheitern wird erprobt, für welches es auch Raum braucht. Durch Selbst- und Gruppenreflexionen werden Schlüsselstellen erkannt und so Lernen ermöglicht.
Aus eigenem Antrieb Angebote schaffen
Neben dem aktiven Lernen sind Jugendverbände auch Orte des Lebens und der Gemeinschaft für junge Menschen. So sind das Ausrichten von Jugendpartys für die Gemeinde eine beliebte Form, wie junge Menschen für ihre Altersgruppe vor Ort aus eigenem Antrieb heraus Angebote schaffen. Das stärkt nicht nur die Kompetenzen der Ausrichtenden, sondern hebt auch die gesellschaftliche Relevanz des Ortes „Pfarrgemeinde“ im persönlichen Nahraum. Dadurch bietet die Jugendverbandsarbeit einen geschützten Erfahrungsraum für junge Menschen und schafft Gemeinschaft. Damit wirkt sie aktiv Vereinsamung entgegen.
Werkstätten der Demokratie
Die Interessensfindung, Jahresplanung oder Positionierung zu politischen Themen geschieht grundsätzlich auf der Grundlage von demokratischen Prozessen. So finden innerhalb der Jugendverbände regelmäßig Versammlungen und Konferenzen, insbesondere auf Ortsebene, statt, in denen nicht über junge Menschen entschieden wird, sondern in denen sich alle einbringen können. Selbst die Jüngsten sind hier gefragt, haben Stimmrecht und können sogar teilweise mit Stimmenmehrheit die Leitungskräfte überstimmen. Dadurch wird innerhalb der Jugendverbände im wahrsten Sinne politische Bildung betrieben, indem Partizipationsmöglichkeiten aufgezeigt und selbstwirksam eingeübt werden. Somit sind Jugendverbände Werkstätten der Demokratie, in denen junge Menschen die Kompetenzen der Formulierung der eigenen Interessen im politischen Diskurs erlernen und Selbstwirksamkeit innerhalb demokratischer Prozesse erfahren.
Diese Kompetenzen befähigen junge Menschen aus der Jugendverbandsarbeit, mündig Gesellschaft mitzugestalten, und das ist auch ihr formuliertes Ziel. Jugendverbände adressieren klar die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen und sind damit verlässliche Partner für Politik und Verantwortungsträger in Kirche. Seien es Themen der eigenen Lebenswelt, wenn es beispielsweise um das Leben junger Menschen auf dem Land oder in prekären Arbeitssituationen geht, sind Jugendverbände Anwälte für die Interessen und Bedürfnisse junger Menschen. Gespräche und Debatten sind aber nicht die hauptsächliche Handlungsform der Jugendverbände. Sie sind aktiv und gestalten Gesellschaft durch ihr soziales Engagement vor Ort. Dieser Erfolg ist anhand der 72-Stunden-Aktion, der bundesweiten Sozialaktion des BDKJ, deutlich zu erkennen. Hier zeigt sich, dass junge Menschen aus Jugendverbänden die Welt ein bisschen besser machen möchten und sie dem Glauben dabei Hand und Fuß verleihen.
Kirche braucht das motivierte Handeln
Dieses Interesse zeigt sich insbesondere im globalen Kontext. Viele Jugendverbände sind eingebunden in internationale Bewegungen, Kooperationen und Freundschaften. Hier wird ein kultureller Austausch ermöglicht und die Welt erfahrbar. Dabei sind die jungen Menschen jedoch nicht etwa touristisch unterwegs. Sie sind Teil von internationalen Bewegungen und Verbänden, welche interkulturellen und interreligiösen Dialog auf Basis eines gemeinsamen Wertekontextes ermöglichen. Insbesondere dadurch ist auch die Verantwortung für die Bedürfnisse von jungen Menschen im globalen Süden präsent.
In all ihrem Tun sind Jugendliche in Jugendverbänden nicht allein gelassen. Sie werden aktiv begleitet von Ehrenamtlichen und pädagogischen Fachkräften. Sie können sich darauf verlassen, dass sie im persönlichen Nahraum Ansprechpersonen haben und erreichen, die ihre Bedürfnisse wahrnehmen und ein offenes Ohr haben. Besonders bei Problemlagen in Schule, in Familie oder psychischen Belastungen kann diese Begleitung das Wachsen von Kindern und Jugendlichen stark unterstützen.
Ein Verlust der Jugendverbände hieße damit für die Gesellschaft und Kirche in Zukunft weniger Menschen, die sich aktiv für die Demokratie und unsere Gesellschaft verantwortungsvoll und gestaltend einsetzen. Ein Verlust der Jugendverbände hieße aber auch ein aktives Zeichen an das gemeinsam pilgernde Volk, dass ein selbstverantwortetes und motiviertes Handeln junger Menschen keinen Platz in der Kirche hätte.
Mehr zur 72-Stunden-Aktion finden Sie hier.