Ausgabe: Mai-Juni 2024
ÖkumeneUnter einem Dach – ein funktionierendes Nebeneinander
Ökumene am Scheideweg
Eine Marienikone, Kerzen, Weihrauch und ein orthodoxer liturgischer Gesang. Das Besondere an diesem Gottesdienst zur Einweihung der Ikone ist neben der evangelischen, orthodoxen und katholischen Beteiligung der Ort: Eine evangelische Kirche mit nüchternen weißen Wänden; bis auf ein Kreuz ohne Schmuck, wie es für die reformierte Tradition typisch ist. Und hier hängt nun dauerhaft eine Marienikone, die durch die sonst kahlen Wände besonders ins Auge sticht. Das ist ein starkes ökumenisches Zeichen und doch von Vielen kaum bemerkt.
So ist es häufig mit der Ökumene. Sie ist zum einen schon immer nur von wenigen Engagierten explizit vorangetrieben worden, zum anderen hat sie sich in einem gewissen Maß so sehr etabliert, dass sie selbstverständlich geworden ist und nur bedingt wahrgenommen wird. Der Weltgebetstag der Frauen, Gottesdienste zu bestimmten Anlässen, Bibelsonntag oder Bibeltage gehören in den meisten Gemeinden fest zum Kirchenjahr dazu. Am Beginn der russischen Invasion in der Ukraine oder nach dem Terrorakt der Hamas in Israel war es vielerorts selbstverständlich, gemeinsam um Frieden zu beten. Solche Formate werden genannt, wenn man nach dem ökumenischen Leben am Ort fragt.
Daneben gibt es ökumenische Initiativen, die von einer bestimmten Gruppe getragen werden oder nur eine eingegrenzte Zielgruppe haben und darum weniger bewusst sind. Dazu gehören die vielen Schulgottesdienste am Anfang oder Ende des Schuljahres. Taizé-Gebete gibt es mehr oder weniger häufig in den meisten Städten, möglicherweise begleitet von einem ökumenischen Chor. Die starke Zuwanderung von Geflüchteten verschiedener Länder hat in den letzten Jahren viele ökumenische Unterstützungsangebote hervorgebracht, Weltläden sind schon vor Jahrzehnten gemeinsam aufgebaut worden, es gibt gemeinsam getragene Sozialstationen, Angebote oder Institutionen für Familien und der Erwachsenenbildung.
Viel passiert
Schauen wir einige Jahrzehnte zurück, war die Situation eine ganz andere – die jetzigen Rentner und Senioren kennen das noch. Es war in vielen Familien schwierig, wenn die Ehepartner verschiedenen Konfessionen angehörten. Gemeinsame Gottesdienste waren den Katholiken verboten und auch das nichtkirchliche soziale Leben verlief nicht selten entlang der konfessionellen Grenzen. Der Blick zurück zeigt, wie viel im Vergleich zur mehr als zweitausendjährigen Kirchengeschichte in verhältnismäßig kurzer Zeit erreicht wurde. Auch wenn häufig ökumenisch noch mehr möglich wäre – nicht nur vonseiten der Kirchenleitungen, sondern ebenso in den Gemeinden –, sind all die etablierten Angebote wichtig, denn sie sind so fest verankert, dass sie nicht mehr von einzelnen Personen abhängen und weitergeführt werden, wenn hauptamtliches Personal wechselt. Selbst dort, wo Beziehungen schwierig sind, gibt es meist ein Mindestmaß an ökumenischen Veranstaltungen. Sie zeigen, dass uns bei allen Unterschieden und Konflikten der Glaube an Jesus Christus verbindet und das stärker ist als das allzu Menschliche. Diese Gemeinschaft im Glauben wird sichtbar, wo der Glaube gemeinsam gelebt oder gemeinsam karitativ gehandelt wird, auch wenn es noch so punktuell ist.
Mit den Kirchen scheint auch die Ökumene gerade an einem Scheideweg zu stehen. Angesichts der geringer werdenden Mitgliederzahlen, des Personalmangels und der dadurch in allen etablierteren Konfessionen notwendig werdenden Umstrukturierungen versucht häufig jeder für sich, Lösungen zu finden oder fasst Gemeinden in anderen territorialen Einheiten zusammen. Zudem wird die Ökumene häufig als zusätzliche Belastung und als nicht mehr leistbare Zusatzverpflichtung wahrgenommen. Das ist nicht ökumeneförderlich. Zugleich liegen in den Veränderungen ökumenische Chancen, die zum Teil schon genutzt werden. Der jahrelang intensiv diskutierte und eher als Ausnahme zugelassene konfessionell-kooperative Religionsunterricht ermöglicht bei immer weniger werdenden christlichen Schülerinnen und Schülern, dass überhaupt noch Religionsunterricht stattfinden kann und wird darum zum Regelfall. In Niedersachsen soll ab dem Schuljahr 2025/26 sogar generell christlicher Religionsunterricht eingeführt werden.
Ökumenische Chancen nutzen
Eine weitere, zuerst einmal pragmatische Lösung sind gemeinsam genutzte Gebäude. Für die meisten Konfessionen werden die vorhandenen Gebäude zu groß und sind in der Anzahl zu viele. Da scheint es immer häufiger ein Ausweg zu sein, Gebäude gemeinsam zu nutzen. So kann die kirchliche und konfessionelle Präsenz in der Fläche aufrechterhalten werden, statt sich auf wenige Standorte zu reduzieren. Gemeinsame Neubauten werden eher die Ausnahme sein, sondern es werden eher einige Gebäude verkauft oder umgenutzt und andere vorhandene gemeinsam genutzt. Hauptkriterien, wer bei wem „einzieht“, sind dabei vor allem Alter und Zustand der Gebäude und weniger konfessionelle Eigenheiten. Ökumenische Gemeindezentren, die in früheren Jahrzehnten entstanden sind, zeigen, dass ein gemeinsames Gebäude allein nicht zu mehr oder einem besseren ökumenischen Miteinander führt. Es kann auch weitere Konflikte hervorbringen, da man sich miteinander einigen muss. Und ein funktionierendes Nebeneinander ist weniger mühsam als ein gestaltetes Miteinander. Ob die ökumenische Chance genutzt wird, hängt folglich von den Personen vor Ort ab und erfordert Willen und Engagement.
Mehr Entlastung
Für ein solches Miteinander sind die bestehenden gemeinsamen Angebote eine gute Grundlage; es kann aber auch noch viel weiter reichen. Abgesehen von den Sakramenten ist es mit dem katholischen Kirchenrecht konform, das gesamte kirchliche Leben gemeinsam zu gestalten. *) Und auch bei den Sakramenten gibt es etablierte Formate für Taufen oder Trauungen in einem ökumenischen Gottesdienst. **) Mehr gemeinsame Angebote müssen weder die Aufgabe konfessioneller Eigenheiten noch Mehrarbeit bedeuten. Konfessionelles kann beibehalten werden, wo es am Ort verwurzelt und den Menschen wichtig ist, ansonsten können Doppel- oder Mehrfachstrukturen abgebaut werden. Das Frauenfrühstück, die Kinder- oder Jugendgruppe, der Hauskreis, die Seniorennachmittage, die Exerzitien im Alltag in der Fastenzeit und Vieles mehr können für alle offen sein und von denjenigen angeboten werden, die sich engagieren wollen – unabhängig von ihrer Konfession. Das ermöglicht Begegnung, erhält manche Gruppe am Leben oder ermöglicht sogar ein breiteres Angebot für mehr unterschiedliche Zielgruppen. Diese sogenannte stellvertretende Ökumene ist auch auf hauptamtlicher Ebene möglich: Es müssen nicht alle Konfessionen bei städtischen Anlässen vertreten sein, sondern eine kann alle Christen repräsentieren und auch der Schulgottesdienst kann von einem Zelebranten einer Konfession konfessionsübergreifend gehalten werden. Dann ist Ökumene nicht Mehrarbeit, sondern sogar Entlastung.
Daneben braucht es weiterhin konfessionelle und gemeinsame Angebote, aber die Angebote können je nach Ressourcen und Bedürfnissen am Ort variiert und gemischt werden. Und bei allem ist noch mehr in den Blick zu nehmen: Ökumene ist mehr als zwei. Kooperationspartner sind nicht nur die evangelisch-landeskirchlichen Gemeinden, sondern ebenfalls die verschiedenen Freikirchen, die Orthodoxie oder die neuapostolische Kirche. Hier gibt es noch viel kennenzulernen und Schätze zu entdecken.