Ausgabe: Mai-Juni 2024
KommentarWas wäre wenn?

In seinem Buch Welt ohne Christentum – was wäre anders? geht Hans Maier zuerst auf Spurensuche in unterschiedlichen Bereichen wie „Menschenbild“, „Künste“, „Arbeit“ oder „Staat“. Er zeigt auf, wie unsere Religion die abendländische Kultur und das Zusammenleben seit mehr als zwei Jahrtausenden geprägt hat und noch immer prägt. Dann stellt er die entscheidende Frage: Gesetzt den Fall, es hätte das Christentum nie gegeben – wäre unsere Welt eine bessere? Oder schlechtere? Für Hans Maier ist klar: Die Welt, sie wäre eine andere. Und genau das arbeitet er im zweiten Teil seines Buches heraus. „Die Kirchengeschichte ist voll von Aufbrüchen und Gründungen“, schreibt der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). „Sie ist aber auch voll von zerstörten Kirchen, verschwundenen Gemeinden; vieles erinnert uns an unwiderruflich untergegangenes, einstmals blühendes Kirchenland.“ Kirche sein, bedeutet Veränderung – als Engagierte für unsere Kirche spüren wir das momentan an allen Ecken und Enden. Hans Maiers Buch kann daher auch ein Mutmacher für uns sein. Die katholische Kirche hat sich in ihrer mehr als 2.000-jährigen Geschichte immer wieder gewandelt, hat neue Impulse aufgenommen und auf Strömungen reagiert. Und sie hat überlebt. Daher steht für mich außer Frage, dass die Idee des Jesus von Nazareth auch die Krisen unserer Zeit überdauern wird.
Was uns als Staatswesen und als Gesellschaft fehlen würde, gäbe es die Kirche nicht, das hat Hans Maier trefflich beschrieben. Und auch wenn seine Ausführungen aus dem Jahr 1999 stammen, aktuell sind sie noch immer. Dieser Blickwinkel ist gerade für der Kirche ohnehin schon skeptisch gegenüberstehende Menschen wichtig und vielleicht auch heilsam – weil er zeigt, dass unser Gemeinwesen ohne das Engagement der Kirche nicht funktionieren würde.
An dieser Stelle sei jedoch auch eine persönliche Perspektive erlaubt: was würde mir, was würde in meinem Leben fehlen, gäbe es die Kirche nicht? Sind es die Freundschaften, die man schon in den Jugendgruppen geschlossen hat, und die noch heute tragen? Die Begegnungen mit Menschen, die das eigene Leben bereichert und deren Engagement und Haltung uns zu neuen Sichtweisen geführt haben? Das Gefühl, zu etwas Größerem dazuzugehören, gesehen und wertgeschätzt zu werden in seinem Tun? Haben uns nicht die Menschen, denen wir im kirchlichen Ehrenamt, in den Räten und Verbänden, begegnet sind, in unserem Tun und Handeln geprägt, sind wir nicht gemeinsam an Aufgaben und Herausforderungen gewachsen? Sind es nicht auch genau diese Erfahrungen – so individuell sie auch sein mögen –, die unsere Kirche bis heute ausmachen, die Lebendigkeit und Gemeinschaft in den Pfarrgemeinden garantieren und die es wert sind, in die Zukunft getragen zu werden?