Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Juli-August 2024

Katholisch in Bayern und der Welt

„Die Königin der Instrumente“

Den Orgelbauer und Theologen Christian Beck hat die Orgel mit ihren verschiedenen Klängen schon als Kind und Jugendlicher begeistert. Foto: Christian Beck

Orgelbau ganzheitlich betrachtet

Wenn die Orgel ertönt, geht es los. Ein Gottesdienst nimmt seinen Lauf. Die Orgel eröffnet, begleitet, beschließt. Kirchenkonzerte stattet sie mit Klang aus. Im Gottesdienst entsteht Besinnlichkeit, im Konzert ein Raum von Anmut und Einkehr. Doch bevor eine Orgel ertönen kann, muss sie erdacht, entwickelt, erbaut werden. Überhaupt lässt die Orgel spannende Blickwinkel und Brückenschläge zu. Darum soll es in diesem Interview gehen.

Christian Beck aus Weidach bei Coburg ist Diplom-Theologe, Krisenseelsorger und Gemeindereferent an St. Stefan in Sonneberg. Im Besonderen und ergänzend soll es allerdings um seine Qualifikation als Orgelbauer gehen. Seine Arbeit als Orgelbauer sieht er auch als einen Dienst an – weil er damit religiösen, kulturellen und künstlerischen Aufgaben dient.

Herr Beck, warum haben Sie einst den Orgelbau als Beruf ergriffen?  

Beck: Mich hat die Orgel sowohl mit ihrem Klang bzw. ihren vielen verschiedenen Klängen als auch als größtes aller Musikinstrumente schon als Kind und Jugendlicher begeistert. Nach meinem Klavierunterricht war es für mich ein erhebendes Erlebnis, auf der Orgel spielen zu können und die Kirchen, in denen ich als Organist spielte, mit lauten und leisen, besinnlichen und festlichen Klängen zu füllen.

Was bedeutet Orgelbau für Sie persönlich?

Der Orgelbau vereint nicht nur an die zehn verschiedene Handwerksberufe in sich, sondern ist wohl auch Berufung. Die meisten Orgeln entstehen ja für sakrale Räume (daneben gibt es noch Konzertsaalorgeln). Während der Montage einer Orgel verbringt man viele Wochen in einer Kirche. Da wird immer wieder deutlich, wie sehr die Orgel einen Bezug zum Glauben hat. Für mich als Gläubigen sind Gottesdienste ohne Musik, besonders ohne Orgelmusik, nur halbe Gottesdienste.

Worin besteht die Kunst des Orgelbaus? Warum steckt in einer Orgel viel mehr als das bloße Handwerk des Erbauens und Bespielens?

Der Orgelbauer muss sich sowohl mit der Architektur der jeweiligen Kirche befassen als auch mit ihren klanglichen Besonderheiten. Die Orgel soll sich in den Kirchenraum integrieren und sie muss in dem jeweiligen Raum klingen. Die Orgel ist kein Musikinstrument, das man in einen beliebigen Raum mitnehmen kann wie eine Violine; sie ist auch nicht einfach nur ein Klavier, das im Wohnzimmer steht. Sie ist immer auch ein integraler Bestandteil der Gesamtausstattung. Sie ist sowohl Instrument als auch „Möbelstück“.

Warum genau ist Orgelbau für Sie ganzheitliches Tun?

Nicht warten, bis sie den Geist aufgibt: Eine Orgel bedarf der Pflege! Foto: Christian Beck

Der Orgelbau vereint Menschen mit sehr verschiedenen Begabungen. Zum Bau einer Orgel braucht man Schreiner, Elektriker, Metallverarbeiter, Intonateure, Schmiede, Musiker, Architekten etc. Das ist die handwerkliche Dimension. Die Orgel vereint in sich sehr viele verschiedene Klangfarben, ist also ein ganzes Orchester. Im Orchester ist das Zusammenspiel der einzelnen Musiker das Entscheidende. So müssen auch in einer Orgel die Register genau aufeinander abgestimmt werden. Das ist die musikalische Dimension. Schließlich dient die Orgel noch liturgischen Handlungen, sie greift die Stimmung auf, die der Gottesdienst passend zur Zeit im Kirchenjahr braucht – nachdenklich in der Fastenzeit, triumphierend an Ostern. Das ist die theologische Dimension.

Wie gelangen wir von der Orgel zur Theologie?

Ich weiß nicht, ob das die richtige Frage ist. Aber als Orgelbauer und Theologe kann ich die Frage zumindest persönlich beantworten. Ich wurde zunächst Orgelbauer, obwohl ich nach meinem Abitur durchaus überlegt hatte, Theologie zu studieren. Aber verschiedene Aspekte schreckten mich zunächst davon ab. Beim Orgelbau erlernte ich natürlich zuerst einmal das Handwerkliche.

Wenn man sich aber mit Orgelbau intensiv beschäftigt, ist das ein so weites Feld, dass sich fast zwangsläufig auch ganz andere Aspekte aufdrängen: geistige. Sie können sich mit der Geschichte der Orgel beschäftigen. Sie ist also ein Forschungsfeld für Historiker. Sie können sich mit den musikalischen Möglichkeiten der Orgel befassen. Dann ist sie von Interesse für die Musikwissenschaft. Sie können sich auch den akustischen Eigenschaften der Orgel zuwenden. Dann wird sie zum Objekt der Physik.

Und genauso drängt sich einem Interessierten irgendwann die Frage auf, was die Orgel mit Religion, mit Glaube, mit Gott zu tun hat; die seelische Dimension von Musik. Dann sind Sie bei der Theologie angekommen – bei dem, was am allerschwersten mit Worten beschreibbar ist. Wenn Sie in einem Orgelkonzert die Musik hören, erschließt sie sich Ihnen nicht historisch oder musikwissenschaftlich oder physikalisch. Das sind nur die äußerlichen Phänomene der Musik. Zum Wesen der Musik stoßen Sie erst durch die Philosophie, die Psychologie und die Theologie vor. Letztere interessiert sich für die Ganzheit: Leib, Seele und Geist. Und ich finde, die Orgel ist in ihrer Komplexität ein Organismus mit Leib (Gehäuse), Seele (Pfeifen) und Geist (Technik).

Auf welche Weise wirkt die Orgel gemeinschaftsfördernd?

In einem Gottesdienst sind mehrere Menschen versammelt. Sie sind schon eine Gemeinschaft – aber sie werden erst richtig sichtbar und besser hörbar, wenn sie sich im Gesang, begleitet durch die Orgel, zum Chor vereinen. Und nicht nur miteinander, sondern auch mit Gott. Es geht um Gemeinschaft der Menschen untereinander und um Gemeinschaft der Menschen mit Gott. Musik fördert beides. Orgelmusik fördert beides in ganz besonders deutlicher Weise.

Wie können Pfarreien die Orgel besser ins Gottesdienstgeschehen einbinden? Oder die Orgel nochmals völlig neu, ganz anders entdecken? 

Zum einen sollten sich Kirchengemeinden bewusst sein, was sie an ihrer Orgel haben. Generationen vor den jetzigen Kirchenmitgliedern hat man sich ein teures und gutes Instrument bauen lassen. Das hat viel gekostet. Uns ist es aufgetragen, diesen Wert zu erhalten. Leider merken Gemeinden oft erst, was sie an der Orgel haben, wenn sie nicht mehr funktioniert, weil Jahre und Jahrzehnte keine Wartung und Stimmung stattgefunden haben. Orgeln müssen also gepflegt werden. Das Zweite: Die Orgel wirkt auch dadurch, dass sie schweigt. Am Karfreitag wird das besonders deutlich. Die Gemeinde singt ohne Orgelbegleitung. Und zum Dritten: Die Orgel kann mehr als nur Liedbegleitung. Gute Organisten greifen durch ihr improvisiertes Spiel die jeweilige Stimmung der Gläubigen, der Jahreszeit, des Anlasses auf und geben ihr einen musikalischen Ausdruck. Das sollten Gläubige und Hauptamtliche in der Kirche schätzen und die Orgel auch einmal ganz solistisch agieren lassen.

Abschließend gefragt: Ist für Sie die Orgel die Königin der Instrumente? Oder wer könnte ihr hier noch den Rang ablaufen?

Die Orgel war, ist und wird für mich die Königin der Instrumente bleiben. Ich kenne kein anderes, ähnlich komplexes und klanglich ausdrucksstarkes Instrument. Die Orgel ist im Kirchenraum ja auch nicht nur mit den Ohren hörbar, sondern mit dem ganzen Körper fühlbar. Sicher schaffen das auch monströse Lautsprecherboxen auf Open-Air-Konzerten. Aber die Orgel ist nicht nur ein Musikinstrument, sondern ihr Charakteristikum besteht darin, dass jede Orgelpfeife für sich schon ein vollständiges Musikinstrument ist. Wenn also eine Orgel etwa 3.000 Pfeifen hat, dann können Sie nicht nur diese 3.000 Einzelinstrumente hören, sondern eine unendliche Vielzahl von Ton- und Klangkombinationsmöglichkeiten. Ich wüsste nicht, wo es das sonst noch gibt.

Nun wollen wir unbedingt noch wissen: Wo, in welcher Kirche, steht Ihre Lieblingsorgel?

Das ist eine Frage, die kaum beantwortbar ist. Ich kenne so viele Orgeln, habe am Bau etlicher mitgewirkt, habe etliche renoviert und noch mehr gespielt. Doch eine Orgel hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich Orgelbauer wurde. Ich halte sie für eines der besten je gebauten Instrumente: die Hauptorgel im Würzburger Dom.

Vielen Dank, Herr Beck, für diese interessanten Einblicke.


Das Gespräch führte Diana Schmid.


Verfasst von:

Diana Schmid

Freie Autorin