Ausgabe: Juli-August 2024
SchwerpunktKirche als kultureller Akteur vor Ort

In höchstem Maße gemeinschaftsbildend
„Was fehlt, wenn die (exzellent) ausgebildeten Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen fehlen?“ „Da wird es still werden in der Kirche“, meinte ein Pfarrer, als er erfuhr, dass sein Kirchenmusiker seinen Dienst beenden würde. Wird es in der Kirche nur still werden, wenn die Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen fehlten? Hier lohnt es sich, einige grundlegende Überlegungen anzustellen.
Zunächst ist festzustellen, dass die Musik mit etwa 18.000 Chören und Musikensembles und insgesamt circa 350.000 Laienmusikern und Laienmusikerinnen den größten katholischen Kulturbereich in Deutschland darstellt. Etwa ein Viertel der Mitglieder in den Chören sind Kinder und Jugendliche. Diese Gruppen werden von circa 14.000 nebenamtlichen und etwa 1.300 (davon 62 Prozent in Vollzeit) katholischen Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen geleitet. Die Zahlen in der evangelischen Kirche bewegen sich auf einem vergleichbaren Niveau. Das sind beeindruckende Zahlen, die belegen, dass die Kirchenmusik und ihre Kirchenmusiker eine zentrale Rolle im Kulturleben Deutschlands spielen. Zudem ist die Kirchenmusik ein gewichtiger Teil des Repertoires weltlicher Ensembles.
Musik im Gottesdienst
Kirchenmusik ist nicht Beiwerk zum Gottesdienst, nicht Umrahmung, sondern Teil der Liturgie, besonders wenn es um den mit dem Wort verbundenen gottesdienstlichen Gesang geht: „Er ist ein notwendiger und integrierender Bestandteil der feierlichen Liturgie“, heißt es in der Liturgiekonstitution des 2. Vatikanischen Konzils (Sacrosanctum Concilium, SC 112).
Die Liturgie lebt maßgeblich vom Gesang und vom Orgel- (und Instrumental)spiel. Ohne Musik gibt es keine „richtige“ Liturgie. Gerade Singen gehört wesentlich zu jeder Feier des Gottesdienstes. Der Kirchenmusiker gestaltet alle Bereiche der Liturgie mit, er schöpft aus dem großartigen Schatz der Kirchenmusik (Tradition), bezieht aber auch das Zeitgemäße in Komposition und Improvisation mit ein: „Auf der Höhe der Zeit sein.“
Warum ist die Musik so fundamental bedeutsam in der gottesdienstlichen Feier, so könnte man fragen? Weil die Musik Bereiche und Sphären im Menschen anspricht, die zum Beispiel das Wort nicht erreichen kann! Viele Menschen sind vordergründig nicht mehr für das Religiöse ansprechbar: durch die Musik bekommen sie oft (wieder) einen Zugang zu Gott und zur Gemeinschaft der Glaubenden, zur Kirche.
Zudem kann mit Hilfe der Kirchenmusik das gottesdienstliche Angebot – gerade auch im Hinblick auf den Priestermangel – in einer Pfarrei durch neue Formen wie Andachten, Meditationen, Even Song, Orgelvesper – geweitet werden.
Der Kirchenmusiker als pastoraler Mitarbeiter

Der Dienst des Kirchenmusikers ist ein wahrhaft pastoraler Dienst, dadurch dass er in alle Bereiche der Seelsorge in einer Pfarrgemeinde eingebunden ist und mit allen Generationen, beginnend bei den Kindern bis zu Senioren, arbeitet. So bereichern der Kirchenmusiker und die Kirchenmusikerin das Pfarrleben, das theologische Engagement der Geistlichen sowie die Glaubenspraxis der einzelnen Gläubigen. Für andere hauptamtliche Mitarbeiter einer Gemeinde ist der Kirchenmusiker und die Kirchenmusikerin ein wertvoller Gesprächspartner.
Durch die musikalische Arbeit mit Vokal- und Instrumentalensembles aller Altersschichten schaffen der Kirchenmusiker und die Kirchenmusikerin lebendige Gemeinden und unverzichtbare soziale Strukturen. Kinder und Jugendliche, die hier angedockt haben, sind oft in Zukunft Ministranten und Ministrantinnen und auch in den kirchlichen Vereinen und Gremien tätig, ihre Eltern haben häufig eine engere Bindung an die Pfarrei.
Genau in diese Richtung zielen Thesen, die Paul Thissen, Kirchenmusiker und Musikwissenschaftler, so formuliert hat:
- Nicht selten sind die kirchenmusikalischen Gruppen die größten und aktivsten in einer
Gemeinde und tragen so zu einer Verlebendigung des Gemeindelebens bei.
- Die Beteiligung kirchenmusikalischer Gruppen an einem Gottesdienst bietet immer auch die
Chance, die jeweilige Familie und Angehörige einzubeziehen. Das gilt in einem besonderen
Maß für Kinder und Jugendliche.
- Es ist mittlerweile unstrittig, dass das Musikmachen die rationale und emotionale Intelligenz
fördert. Die Mitgliedschaft in einer kirchenmusikalischen Gruppe kann gerade für Kinder und
Jugendliche aus schwierigen Milieus eine signifikante Förderung bedeuten.
Ein Regensburger Geistlicher hat es einmal so zusammengefasst: Für eine gegenwärtige, aufgeschlossene und fundierte Pastoral ist ein Dreigestirn notwendig und hilfreich: gute Atmosphäre (im Kirchenraum, bei den Gottesdiensten), ansprechende Predigt und qualitätsvolle Kirchenmusik.
Soziale Kompetenzen und Talentförderung
Ein Kirchenmusiker fördert durch seine musikalische Gruppenarbeit Talente, merkt, wer „mehr“ kann, wer sein Talent ausbauen sollte. Kinder, die musikalische Begabung haben, werden hier gefördert und können ihr Talent zeigen. Wer nicht im Sportverein ist, kann hier eine Bindung finden und Sozialkompetenz erlangen. Gerade in der Pubertät bleibt dann auch die kirchliche Bindung aufrecht, da in dieser Phase junge Menschen eine Ebene brauchen, auf der sie ihre Fähigkeiten zeigen wollen und können.
Im gemeinsamen Musizieren lernen Kinder und Jugendliche über die rein kognitiven Fähigkeiten hinaus soziale Kompetenzen, die durch gemeinsame Unternehmungen (Chorwochenende, Konzertreisen) vertieft werden.
Es würde nicht nur still werden
Es wird nicht nur still in der Kirche, wenn der (aufgeschlossene und kommunikationsfähige) Kirchenmusiker und die Kirchenmusikerin in einer Gemeinde fehlen: durch die musikalische Arbeit mit den verschiedenen Personengruppen der Pfarrei wirken der Kirchenmusiker und die Kirchenmusikerin nicht nur auf kultureller Ebene, sondern in höchstem Maße gemeinschaftsbildend: eine Arbeit, die in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Nicht zuletzt erscheint Kirche in der Gesellschaft durch die Veranstaltung von Kirchenkonzerten positiv. Der Kirchenmusiker und die Kirchenmusikerin fördern kulturelle Wahrnehmung und dient der Kirche als oftmals einziger kultureller Player vor Ort.
Homepage der Hochschule für katholische Kirchenmusik & Musikpädagogik Startseite | HfKM Regensburg (hfkm-regensburg.de)
Zu den konkreten Zahlen empfiehlt sich das Deutsche Musikinformationszentrum (Deutscher Musikrat): „Musik in der Kirche“ von Meinrad Walter.
Die Thesen von Paul Thissen können ausführlicher hier nachgelesen werden: Prof. Dr. Paul Thissen, Kirchenmusik in den Neuen Pastoralen Räumen – Erzbistum Paderborn: Klangraum Kirche – Konzeptpapier Kirchenmusik 2011
Verfasst von:
Franz Josef Stoiber
Professor und Rektor an der Hochschule für katholische Kirchenmusik & Musikpädagogik (HfkM) in Regensburg