Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Juli-August 2024

Schwerpunkt

Kirche in Stimmung bringen

Foto: HALFPOINT / Adobe stock

Wie Musik eine Gemeinde lebendig macht

 „Wir müssen endlich mal was Neues machen.“ Oder: „Kirche sollte auf die Menschen zugehen.“ Nicht selten fallen solche Sätze in mündlichen Statements, Pastoralpapieren oder Sitzungen. Die Intensität der guten Absicht geht jedoch oftmals einher mit dem Mangel an Ideen. Dass musikalische Aktivitäten dabei eine Rolle spielen könnten, wird jedoch vielerorts außer Acht gelassen. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein und seien es nur Rivalitäten zwischen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern und Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Auch im Bildungsbereich hat die Musik einen schweren Stand, wird doch immer wieder diskutiert, finanzielle Mittel zu kürzen oder Musikunterricht komplett zu streichen.

 

 „Wir müssen endlich mal was Neues machen.“ Oder: „Kirche sollte auf die Menschen zugehen.“ Nicht selten fallen solche Sätze in mündlichen Statements, Pastoralpapieren oder Sitzungen. Die Intensität der guten Absicht geht jedoch oftmals einher mit dem Mangel an Ideen. Dass musikalische Aktivitäten dabei eine Rolle spielen könnten, wird jedoch vielerorts außer Acht gelassen. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein und seien es nur Rivalitäten zwischen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern und Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Auch im Bildungsbereich hat die Musik einen schweren Stand, wird doch immer wieder diskutiert, finanzielle Mittel zu kürzen oder Musikunterricht komplett zu streichen.

 

Weit über das gesprochene Wort hinaus

Wie sehr solche Überlegungen an der Realität vorbeigehen und wertvolles Potential (vor allem für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen) dadurch nicht ausgeschöpft wird, zeigen die Ergebnisse der Forschung: Im Bereich der allgemeinen Bildung kommt der Musik eine bedeutende Funktion zu, denn Untersuchungen in Deutschland und der Schweiz haben nachgewiesen, dass Musizieren und Singen die Sprach- und Ausdrucksfähigkeit von Kindern und Jugendlichen verbessern. Diese Erkenntnisse lassen sich auf den Gemeindeaufbau übertragen, denn Gemeinde als soziale Lebens- Solidaritäts- und Vernetzungsgemeinschaft kann nur lebendig bleiben, wenn ihre Mitglieder sprach- und ausdrucksfähig bleiben: Im Diskutieren, Ringen, Beten und in einer Vielfalt des Glaubensausdrucks. Menschliche Kommunikation geht dabei jedoch über das geschriebene beziehungsweise gesprochene Wort hinaus.  Hier kann Musik zum Katalysator für das Unaussprechliche, Vorsprachliche innerhalb einer Gemeinde und zu einem Erkennungszeichen der Gemeindemitglieder werden. Ich wage die Behauptung, dass am Gesang einer Gemeinde herausgehört werden kann, wie viel Lebendigkeit in ihr steckt.

 

Ein offenes Ohr für leise Stimmen

Wo Musik nicht nur als Lücken- und Pausenfüller verwendet wird, entsteht eine Kultur des Zuhörens, Mithörens, Hinhörens und erhöhter Aufmerksamkeit. Wer sensibel wird für Klänge, Stimmungen, Harmonien und Disharmonien, wird auch innergemeindliche Dissonanzen besser wahrnehmen und ein offenes Ohr für die leisen Stimmen haben, die im großen Konzert der vielen Debatten und Aktionen unterzugehen drohen. Gerade die Kirchenmusik hält in Produktion und Rezeption unterschiedliche Möglichkeiten von Nähe und Distanz offen und vermag gemeindlich-soziale und konfessionelle Grenzen zu überschreiten. Insofern kann sie ein wichtiges Medium der Diakonie sein, nämlich dann, wenn bedürftige, notleidende, alte und kranke Menschen durch musikalisches Engagement konkrete Hilfe und Stütze erfahren. Ein effektives und zugleich niederschwelliges Projekt kann ein Singangebot in einer Senioreneinrichtung sein. Realisieren lässt sich ein solches Angebot ohne größeren Aufwand, das heißt, es braucht einen Raum mit Stühlen und ein Instrument (Gitarre oder Klavier), um den Gesang möglichst gut zu stützen, sowie eine Person, die das gemeinsame Singen anleitet und im besten Fall mit der eigenen Stimme unterstützen kann. Wenn es die Situation zulässt, können die Stühle im Kreis oder Halbkreis, bei letzterem ein- oder zweireihig, aufgestellt werden. Wichtig ist, dass eine Atmosphäre geschaffen werden kann, in der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ganz auf das Singen konzentrieren können, das heißt, dass der Raum nicht parallel anders genutzt wird, zum Beispiel sich dort eine Kaffeemaschine befindet, die ständig in Betrieb ist. Bei der Repertoireauswahl eignen sich Volkslieder sowie Kirchenlieder.

Experimentieren und Wünsche umsetzen

Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Vorlieben von Seniorinnen und Senioren in den nächsten Jahrzehnten stark verändern werden, da das Volksliederrepertoire bei der nächsten Generation weniger geläufig ist. An dieser Stelle lohnt es sich, zu experimentieren und die Wünsche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer abzufragen. Bei der konkreten Durchführung kann es hilfreich sein, Anfang und Schluss mit immer demselben Lied zu gestalten. Dies schafft eine Atmosphäre der Sicherheit und ermutigt die Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sich auf das gemeinsame Singen einzulassen. Generell sollte das gemeinschaftliche Erleben Vorrang vor Perfektion oder dem Bemühen, alles störungsfrei zu gestalten, haben. Um die Möglichkeiten der Partizipation noch zu erweitern und auch weniger Singfreudigen die Teilnahme zu ermöglichen, empfiehlt sich der Einsatz von Orff-Instrumenten. Das Aufgeben der eigenen Wohnung bedeutet für ältere Menschen nicht nur den Verlust materieller Sicherheit, sondern auch das Wegbrechen emotionaler Stabilität, verbunden mit der Herausforderung, in einem neuen sozialen Gefüge seinen Platz zu finden. Das gemeinsame Singen schafft eine neue Art von Gemeinschaft, dadurch dass eine Kultur des Aufeinanderhörens und Hinhörens etabliert wird. Zudem kommen Menschen verschiedener Charaktere zusammen, die etwas Gemeinsames entdecken und übereinkommen, was dem griechischen symphoneín (zusammenklingen) entspricht. Hinzu kommt, dass Menschen mit dementiellen Veränderungen durch Musik wieder zu einem Gefühl von Sicherheit gelangen können, das ihnen durch die mit der Krankheit einhergehende Verunsicherung im Alltag oft fehlt. Wenn sie jedoch merken, dass ein mehrstrophiges Lied weiterhin problemlos singbar ist, stärkt dies ihre Selbstwirksamkeit und bestätigt sie, selbst noch etwas bewirken und steuern zu können.

Die Botschaft in verschiedene Sprachen übersetzen

Das Beispiel eines Singangebots in einer Senioreneinrichtung stellt nur eines von vielen dar, wie eine Gemeinde sich mittels der Musik weiterentwickeln kann. Der Grundstein dafür kann bereits durch eine solide Kinder- und Jugendchorarbeit gelegt werden. Musik und Gemeindeaufbau sind trotz allem kein Selbstläufer. Damit einher geht die Frage, für wen Gemeinde eigentlich da sein will, das heißt, wer Adressat und Adressatin der Kirchenmusik sein soll. Eine Kultur des aufmerksamen Hörens impliziert auch das Hören auf Suchende, Zweifelnde und Fragende außerhalb der Gemeinde. Zudem kommt es darauf an, welche Musikrichtung in der Gemeinde praktiziert wird. Die Engführung auf einen bestimmten Musikstil würde den Impuls des Evangeliums, alle Menschen mit der frohen Botschaft zu erreichen, behindern, denn es gilt, diese Botschaft in verschiedene Sprachen zu übersetzen und einladend zu formulieren.

Zum Weiterlesen empfiehlt sich:

  • Bubmann, Peter: Von Mystik bis Ekstase, 1997.
  • Nauer, Doris: Seelsorge. Sorge um die Seele, 2014.
  • Danzeglocke, Klaus: Kirchenmusik als gemeindebildende Kraft, in: Bönig, Winfried (Hg.): Musik im Raum der Kirche. Fragen und Perspektiven, 2007.
  • Rauhe, Hermann: Musik zum Helfen und Heilen, in: Kuratorium Deutsche Altershilfe (Hg.): Menschen mit Demenz erreichen – Hilfen zur Kommunikation., 2004, 32-33.
  • Mehlem, Marcel: Das Potential von Musik in einer ganzheitlichen Seelsorge, Theologische Reihe: Band 104, 2016.

Verfasst von:

Marcel Chopard

Pfarreiseelsorger St. Sebastian und St. Anton Wettingen