Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Juli-August 2024

Schwerpunkt

„Wer singt, betet doppelt“

Sängerin Bine Trinker berät ihre Kundschaft bei der Musikauswahl für ihren Gottesdienst. Foto: privat

Musik bei Zeremonien

Sie ist das Erste und Letzte, was im Gottesdienst zu hören ist, sie rahmt, vertieft, und strukturiert – Musik ist nicht wegzudenken aus der christlichen Zeremonienpraxis. Aber warum ist das so? Welche Rolle spielt Musik hier? Und warum gehen die Meinungen über eine angemessene musikalische Gestaltung bisweilen so stark auseinander?

Die Geschichten, die in Erinnerung bleiben, sind natürlich nicht die, in denen alles normal läuft, sondern die Ausschläge nach unten und oben, bei denen alles entweder ganz großartig oder besonders schwierig gelaufen ist. Wie die Diskussion über die musikalische Gestaltung einer Beerdigung, nach der der Bruder des Verstorbenen an die Musikerin schreibt: „Ich würde die Liedauswahl nochmal verändern. Der schimpfende Pfarrer hat mich in meinen Träumen verfolgt.“

Viele kennen es aus eigener Erfahrung: Wir planen eine Hochzeit, Taufe oder Beerdigung. Auf der Liste der Dinge, die organisiert werden müssen, steht neben Priester, Blumenschmuck, Gästeliste und Einladungen auch die musikalische Gestaltung der Zeremonie. Dass hier in der Vorbereitung unterschiedliche Geschmäcker aufeinandertreffen können, ist eine Seite – dass es so belastende Ausmaße annimmt, wie in oben genanntem Beispiel, eine andere. Was ist hier passiert?

 

Nicht nur eine Frage des Geschmacks

Stephan Zippe ist Diözesanmusikdirektor der Erzdiözese München und Freising und Professor für Gregorianischen Choral und Deutschen Liturgiegesang am Institut für Kirchenmusik der Hochschule für Musik und Theater München. Er betont, dass Musik bei Zeremonien nicht nur eine Frage des Geschmacks sei. Es gibt von kirchlicher Seite Kriterien, was musikalisch in einem Gottesdienst stattfinden sollte und was nicht – auch wenn die oft Auslegungssache sind. „Grundlegend ist die Frage, ob es sich um geistliche oder weltliche Musik handelt. Das ist bei vielen Stücken schon mal schwer zu entscheiden, vor allem bei Instrumentalmusik. Bei Vokalmusik kann man es am Text festmachen: wenn man erkennt, es ist ein Gebetstext oder ein spiritueller Text im weitesten Sinn, kann es seinen Platz haben.“ Darüber hinaus haben bestimmte Formen von Liturgie auch bestimmte Regeln, sei es bei der Eucharistiefeier, bei einem Gloria, Sanctus oder Halleluja. „Da ist man meiner Meinung nach gut beraten, diese Dinge auch so zu füllen, wie sie vorgesehen sind, sonst wird es ein beliebiger Ablauf von Musikstücken, die ohne Zusammenhang zu den netten Texten dazwischen sind, die vorgelesen werden.“ 

An der Hochschule für Musik und Theater München wird im Bereich Kirchenmusik auch Orgel unterrichtet. Foto: Hochschule für Musik und Theater München

Und genau hier öffnet sich das Spannungsfeld: wenn sich die Trauergemeinde zum Beispiel ein besonderes Lieblingslied der Verstorbenen wünscht oder das Brautpaar eine Leidenschaft für Filmmusik hat. Man müsse die Leute dabei gut beraten, betont Zippe, was nicht immer einfach sei mit der pastoralen Komponente auf der einen Seite und dem Dienstleistungsgedanken auf der anderen. „Gerade wenn sie eh schon emotional aufgewühlt sind, positiv oder negativ, will man ihnen nicht auch noch mit Regeln oder Vorschriften kommen. Da ist sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt, aber ich denke, es gibt irgendwo eine rote Linie, wo man sagt, wenn man Liturgie feiern will, dann muss auch die Musik zu dieser Liturgie passen und wenn man ein Wunschkonzert will, kann man dafür eine andere Feier anberaumen.“

Rein rechtlich hat bei der Musikauswahl der Gottesdienstleiter das letzte Wort, Zippes Eindruck ist allerdings, dass viele hauptamtliche Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker sowieso eine besondere Liebe zur Liturgie haben und diese Verantwortung ganz bewusst und mit Gefühl auf sich nehmen. Das wird bei der Ausbildung auch berücksichtigt, wenn die Zahl der Absolventinnen und Absolventen auch recht klein ist: Am Institut für Kirchenmusik der Hochschule für Musik und Theater München, wo Stephan Zippe Dozent ist, gibt es pro Jahr im Schnitt drei Studienabgängerinnen und Studienabgänger, bei der zweijährigen Diözesankirchenmusikausbildung ungefähr zehn. Dennoch nimmt Zippe gerade in München einen hohen Stellenwert der Kirchenmusik wahr, ganz selbstverständlich neben Oper und Theatern. Und auf dem Land ist sie für ihn häufig das einzige, das in der Kontinuität und Qualität musikalisch praktiziert wird. Hier ist Kirchenmusik ein großer Kulturträger.

Ein Akt der Willkommenskultur im Gottesdienst

Bine Trinker singt, seit sie ein Kind ist, viele Jahre auch im katholischen Jungendchor ihrer Heimatgemeinde. Seit 2008 ist sie als freiberufliche Sängerin selbstständig und kann unter anderem für Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen gebucht werden. Sie sieht sich dabei klar als Dienstleisterin, für die die Wünsche ihrer Kundschaft im Vordergrund stehen. Viele ihrer Kundschaften wünschen sich moderne und weltliche Lieder für den Gottesdienst. Sie möchten ihre Lieblingslieder in diesen besonderen und emotionalen Momenten gerne dabeihaben. Die meisten Priester, die Bine Trinker trifft, sind sehr offen in Bezug auf eine weltliche Liedauswahl. Es gebe aber auch Pfarrer, die einschränken, beispielsweise keine englischen Lieder erlauben oder auf das gemeinsame Singen von Liedern aus dem Gotteslob bestehen. „Da ist die ganze Bandbreite dabei, wobei die meisten, auf die ich treffe, sich freuen, dass jemand kommt und Musik macht, auch bei moderner Liedauswahl. Die hören ja privat auch nicht nur Bachchoräle.“ Meistens ergibt sich dann eine Mischung aus weltlichen Stücken und Kirchenliedern.

Umgekehrt sieht Trinker in der musikalischen Gestaltung der Gottesdienste eine große Chance: „Gerade bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen kommen so viele Leute als Gäste in die Kirche, die da sonst nicht hingehen würden. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, die Menschen wieder für Kirche zu begeistert. Da fände ich es so wichtig, die Gottesdienste auch musikalisch so zu gestalten, dass die Leute sich denken: Hey, hier in der Kirche fühle ich mich wohl. Hier fühle ich mich gesehen. Hier fühle ich mich willkommen.“ Dass sich Kundschaft etwas absolut Unpassendes gewünscht hätten, sei ihr noch nie passiert. „Die meisten machen sich durchaus Gedanken, was sich in der Kirche gehört und was nicht“. Im Zweifelsfall passt Bine Trinker Texte aber auch einfach an: „Wenn in einem Liedtext zum Beispiel das Wort ‚Scheiße‘ fällt, ist das natürlich total deplatziert. Dann nehme ich mir die Freiheit und schreibe den Text an dieser Stelle einfach um.“

Wer singt, betet doppelt

Die Feierlichkeit ist für Stephan Zippe auch mutmaßlich der Grund, warum Musik im Gottesdienst überhaupt Teil unserer christlichen Tradition ist. „Die Grundlage waren wohl Psalmen im Judentum, die auch in irgendeiner Form gesungen beziehungsweise rezitiert wurden. Das hat der christliche Kult übernommen.“ Durch den Gesang wurden die Menschen stärker involviert, die Musik umgeht den Verstand und adressiert direkt die Emotionen. „Es gibt dieses schöne Wort von Augustinus: Wer singt, betet doppelt. Ich denke, das war schon auch der Grund, dass mit dem Gesang eine intensivere Aussage verbunden ist, ein emotionalerer Ausdruck.“ Das sei auch verknüpft mit der Tradition, dass bei größeren Festen oder bei höheren Feierlichkeiten hin und wieder die Lesung kantilliert vorgetragen wird, was ihr einen stärkeren Ausdruck verleiht. Diese besondere spirituelle Erfahrung spürt er auch selbst beim Singen oder Musizieren in der Kirche: „Es gibt diese Momente, in denen man Musik macht, und das Gefühl hat: Ja, das ist gut so, diese Aussage kommt auch aus mir.“

Institut für Kirchenmusik der Hochschule für Musik und Theater München:   Institut für Kirchenmusik - Startseite (hmtm.de)

 

Homepage der Sängerin Bine Trinker: Sängerin Bine Trinker aus München: Live Musik für Ihr Event buchen (binesingt.net)


Verfasst von:

Sarah Weiß

Freie Autorin